Zwangsversteigerungsverfahren: Zustellungen an eine Postfachadresse des Zwangsvollstreckungsschuldners; verfahrensfehlerhafte Bestellung eines Zustellungsvertreters
Leitsatz
1. Ein Postfach ist jedenfalls dann eine ähnliche Vorrichtung im Sinne von § 180 Satz 1 ZPO, wenn eine Wohnanschrift desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt oder nicht vorhanden ist.
2. Ein Zustellungsvertreter darf nicht bestellt werden, wenn dem Vollstreckungsgericht die Postfachadresse desjenigen, dem zugestellt werden soll, bekannt ist. Dennoch erfolgte Zustellungen an den Zustellungsvertreter sind unwirksam.
Gesetze: § 180 S 1 ZPO, § 6 ZVG, § 7 Abs 1 ZVG
Instanzenzug: Az: 9 T 715/09vorgehend Az: 272 K 22/06
Gründe
I.
1Der Beteiligte zu 2 betreibt seit 2006 die Zwangsversteigerung des im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundstücks des Beteiligten zu 1.
2Nachdem bekannt worden war, dass der Beteiligte zu 1 im Verlaufe des Verfahrens seine Wohnung hatte räumen müssen und ohne festen Wohnsitz war, bestellte das Vollstreckungsgericht im April 2009 eine Zustellungsvertreterin. Seit Ende Mai 2009 befindet sich ein Vermerk in den Akten, aus dem sich ergibt, dass der Beteiligte zu 1 ein Postfach unterhält. Der Beschluss vom über die Anberaumung eines Versteigerungstermins auf den wurde der Zustellungsvertreterin zugestellt. In diesem Termin blieb der Beteiligte zu 7 Meistbietender. Der Zuschlagsbeschluss wurde der Zustellungsvertreterin am ausgehändigt.
3Der Beteiligte zu 1, der erst am durch ein Gespräch bei dem Finanzamt von dem Versteigerungstermin erfahren haben will, hat am unter Hinweis darauf, dass sein Postfach im Gericht bekannt gewesen sei, Zuschlagsbeschwerde erhoben. Das Landgericht hat der Beschwerde stattgegeben und den Zuschlagsbeschluss aufgehoben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Beteiligte zu 7 die Wiederherstellung dieses Beschlusses. Der Beteiligte zu 1 beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
4Das Beschwerdegericht hält die Beschwerdefrist für gewahrt. Diese habe fünf Monate betragen, da der Zuschlagsbeschluss dem Beteiligten zu 1 nicht zugestellt worden sei. Die Zustellung an die Zustellungsbevollmächtigte sei unwirksam, weil die Voraussetzungen für deren Bestellung angesichts des von dem Beteiligten zu 1 bekannt gegebenen Postfachs nicht vorgelegen hätten. Mithilfe des Postfachs hätte der Zuschlagsbeschluss im Wege einer Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO zugestellt werden können. Die Beschwerde sei begründet, weil dem Beteiligten zu 1 der Beschluss über den Versteigerungstermin nicht vier Wochen vor dem Termin zugestellt worden sei. Schon zu diesem Zeitpunkt hätten die Voraussetzungen für eine Zustellung an einen Zustellungsvertreter nicht vorgelegen.
III.
5Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hält die Zuschlagsbeschwerde zu Recht für zulässig und begründet.
61. Die zweiwöchige Frist für eine Beschwerde gegen die Erteilung des Zuschlags beginnt für Beteiligte, die bei der Verkündung der Entscheidung nicht anwesend waren, mit der Zustellung des Zuschlagsbeschlusses (§ 98 Satz 2, § 88 Satz 1 ZVG i.V.m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie wäre für den Beteiligten zu 1 bei Einlegung der Beschwerde am (Sonntag) daher nur abgelaufen gewesen, wenn die am erfolgte Zustellung des Beschlusses an die Zustellungsvertreterin wirksam oder wenn der Zuschlagsbeschluss dem Beteiligten zu 1 vor dem tatsächlich zugegangen wäre (§ 189 ZPO). Beides ist nicht der Fall.
7a) Die Zustellung des Zuschlagsbeschlusses an die Zustellungsvertreterin ist unwirksam. Nach § 6 Abs. 1 ZVG hat das Vollstreckungsgericht einen Zustellungsvertreter zu bestellen, wenn ihm der Aufenthalt desjenigen, welchem zugestellt werden soll, nicht bekannt ist oder die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung aus sonstigen Gründen (§ 185 ZPO) gegeben sind. So verhielt es sich bereits im Zeitpunkt der Bestellung der Zustellungsvertreterin nicht, weil dem Vollstreckungsgericht - wenn auch einer anderen Abteilung in einem Parallelverfahren - bekannt war, dass der Beteiligte zu 1 ein Postfach unterhielt. Im Übrigen hätte das Vollstreckungsgericht, selbst wenn die Bestellung der Zustellungsvertreterin wirksam gewesen wäre, gemäß § 7 Abs. 1 ZVG von weiteren Zustellungen an diese absehen müssen, nachdem die Akten einen Vermerk über das Postfach des Beteiligten zu 1 enthielten.
8Das Beschwerdegericht geht zu Recht davon aus, dass die Kenntnis von einem Postfach desjenigen, dem zuzustellen ist, nach Sinn und Zweck des § 6 ZVG der Kenntnis von dessen Aufenthalt gleichsteht. Durch die Bestellung eines Zustellungsvertreters sollen Verzögerungen vermieden werden, die infolge einer sonst notwendig werdenden öffentlichen Zustellung von Beschlüssen des Vollstreckungsgerichts entstünden (vgl. Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 6 Rn. 1; Steiner/Hagemann, ZVG 9. Aufl., § 6 Rn. 1 u. 6). Der Vorschrift des § 6 ZVG liegt also die Vorstellung zugrunde, dass nur eine öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) möglich ist, wenn der Aufenthalt desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt ist. Dies entsprach den vor dem Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes vom (BGBl I S. 1206) geltenden Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung, die Zustellungen an eine Postfachadresse nicht erlaubten. Durch das bloße Einlegen von Schriftstücken in einen Briefkasten oder eine ähnliche Einrichtung konnte eine Zustellung nicht bewirkt werden (vgl. § 181 ZPO aF). Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 182 ZPO aF) war nur möglich, wenn der Empfänger an dem Bestimmungsort eine Wohnung hatte (vgl. , NJW-RR 1994, 564; BayObLGSt 1962, 222). Auch die erleichterte Zustellung nach § 4 ZVG durch Aufgabe eines Einschreibens zur Post war bei einem Postfach unmöglich, da diese nur durch ein - die Aushändigung an den Empfänger oder eine andere berechtigte Person erforderndes - sog. „Übergabe“-Einschreiben, nicht aber durch ein sog. „Einwurf“-Einschreiben erfolgen kann (Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 4 Anm. 2.3; vgl. auch BVerwGE 112, 78).
9Die Annahme, einer Person, deren Aufenthalt unbekannt sei, könne ein Schriftstück nur im Wege der öffentlichen Zustellung zugestellt werden, ist durch die genannte Reform der Vorschriften über die Zustellung jedoch überholt. Seither ist nämlich eine Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung möglich, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (§ 180 Satz 1 ZPO). Gedacht hat der Gesetzgeber insoweit zwar primär an Vorrichtungen, die sich in räumlicher Nähe zu der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Empfängers befinden (vgl. BT-Drucks. 14/4554 S. 21). Mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar ist aber auch die Annahme, eine ähnliche Vorrichtung könne ein von dem Empfänger eingerichtetes Postfach sein (so BFH/NV 2005, 229; 2008, 1860, 1861; vgl. auch , ZIP 2010, 395, 396 Rn.10 sowie MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl., § 180 Rn. 4). Jedenfalls dann, wenn eine Zustellung unter der Wohnanschrift des Empfängers ausscheidet, weil diese unbekannt oder - wie hier - nicht vorhanden ist, gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift, das Einlegen des Schriftstücks in ein Postfach als wirksame Ersatzzustellung anzusehen. Zustellungszweck ist es, dem Adressaten angemessene Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks zu verschaffen und den Zeitpunkt dieser Bekanntgabe zu dokumentieren (BT-Drucks. 14/4554 S. 14). Dabei soll insbesondere die Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO dem Adressaten einen leichteren und schnelleren Zugang zu der Sendung ermöglichen, als dies insbesondere bei einer Ersatzzustellung durch Niederlegung der Fall ist (aaO, S. 21). Diesem Anliegen des Gesetzgebers entsprechend ist eine solche Ersatzzustellung auch zuzulassen, wenn zwar kein Wohnort des Empfängers bekannt oder vorhanden, wohl aber eine briefkastenähnliche Vorrichtung zum Postempfang eingerichtet ist. Denn hierdurch wird dem Empfänger die Kenntnisnahme des Schriftstücks in vergleichbar sicherer und einfacher Weise ermöglicht wie bei dem Einlegen in einen Briefkasten; zugleich werden Zustellungsformen vermieden, die den Zugang zu dem Schriftstück deutlich stärker erschweren, insbesondere die öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) oder eine Zustellung nach §§ 6, 7 ZVG.
10b) Das Beschwerdegericht nimmt ferner zu Recht an, dass der Zustellungsmangel nicht vor dem nach § 189 ZPO geheilt worden ist. Die Rüge der Rechtsbeschwerde, der Beteiligte zu 1 habe nicht dargelegt, wann und wie er Kenntnis von dem Zuschlagsbeschluss erlangt hat, ist unbegründet. Dem angefochtenen Beschluss lässt sich entnehmen, dass er erstmals am durch ein Gespräch im Finanzamt von der durchgeführten Versteigerung erfahren haben will. Hieraus erklärt sich zugleich, dass er die Zuschlagsbeschwerde eingelegt hat, bevor ihm der Zuschlagsbeschluss durch die Zustellungsvertreterin ausgehändigt worden ist. Dass eine Beschwerde auch dann wirksam eingelegt werden kann, wenn dem Beschwerdeführer die angefochtene Entscheidung noch nicht zugegangen ist, entspricht allgemeiner Auffassung (vgl. nur Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 569 Rn. 4).
112. Die Zuschlagsbeschwerde ist begründet. Der Erteilung des Zuschlags steht der Versagungsgrund des § 83 Nr. 1 ZVG entgegen, weil die Vorschrift des § 43 Abs. 2 ZVG verletzt worden ist. Danach ist der Versteigerungstermin aufzuheben, wenn dem Schuldner die Terminsbestimmung nicht vier Wochen vor dem Termin zugestellt wurde. Hieran fehlt es, da die Terminsbestimmung vom der Zustellungsvertreterin zugestellt worden ist, obwohl dem Vollstreckungsgericht zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass der Beteiligte zu 1 ein Postfach unterhält. Eine Heilung des Verfahrensmangels (§ 84 Abs. 1 ZVG) hat das Beschwerdegericht mit zutreffenden Erwägungen verneint; die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.
IV.
12Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Dass der Beteiligte zu 7 die Gerichtskosten des von ihm erfolglos betriebenen Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen hat, folgt aus dem Gesetz. Ein Ausspruch über die außergerichtlichen Kosten scheidet aus, weil sich die Beteiligten bei der Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 381 Rn. 7).
13Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist für die Gerichtsgebühren nach dem Wert des Zuschlagsbeschlusses festzusetzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG) und entspricht dem Meistgebot (§ 54 Abs. 2 Satz 1 GKG). Der Wert für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 1 richtet sich nach dem Wert des Grundstücks (§ 26 Nr. 2 RVG), derjenige für die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 7 nach seinem höchsten Gebot (§ 26 Nr. 3 RVG).
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2012 S. 1012 Nr. 16
NWB-Eilnachricht Nr. 40/2012 S. 3224
WM 2012 S. 1497 Nr. 31
CAAAE-14311