Fehlerhafte Ablehnung eines Feststellungsinteresses i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO als Verfahrensmangel; berechtigtes Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage; Verletzung der Mitwirkungspflicht
Gesetze: FGO § 100 Abs. 1 Satz 4, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 119 Nr. 1, AO § 162
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder wenn das Urteil auf einem geltend gemachten und vorliegenden Verfahrensmangel beruhen kann. Wird auf einen dieser Gründe eine Nichtzulassungsbeschwerde gestützt, so muss der betreffende Grund in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde können nur die ordnungsgemäß dargelegten Zulassungsgründe berücksichtigt werden (vgl. , BFH/NV 2009, 176).
2. Die fehlerhafte Ablehnung eines Feststellungsinteresses i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist zwar ein Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. , BFH/NV 2006, 355). Ein derartiger Verfahrensmangel ist im Streitfall aber nicht gegeben.
a) „Berechtigtes Interesse” i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art (vgl. , BFH/NV 1995, 621). Dieses kann sich daraus ergeben, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit die Voraussetzung für den Eintritt einer vom Kläger erstrebten weiteren Rechtsfolge ist (vgl. , BFHE 177, 4, BStBl II 1995, 488; in BFH/NV 1995, 621), oder dass ein konkreter Anlass für die Annahme besteht, das Finanzamt werde die vom Kläger für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen (vgl. , BFH/NV 2004, 1103). Es kann auch unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung (vgl. , BFH/NV 2004, 797) sowie deshalb bestehen, weil die begehrte Feststellung voraussichtlich in einem beabsichtigten und nicht völlig aussichtslosen Schadensersatzprozess erheblich sein wird (vgl. , I S 13/01, BFH/NV 2002, 1317). Die Voraussetzungen hierfür sind substantiiert darzulegen.
b) Im Streitfall ist das Finanzgericht (FG) im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einspruchsbescheids bzw. des ursprünglichen Steuerbescheids in Gestalt des Einspruchsbescheids dargelegt hat.
aa) Der Kläger hat zwar vorgetragen, eine Schadensersatzklage wegen der Verletzung von Amtspflichten erheben zu wollen. Seine eventuell beabsichtigte Schadensersatzklage ist aber offenbar aussichtslos. Eine Amtspflichtverletzung des Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) liegt nicht vor.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FA nicht direkt die festzusetzende Umsatzsteuer, sondern gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, nämlich Umsätze in Höhe von 6 250 € und Vorsteuern in Höhe von 1 000 €.
Soweit das FA von den in den Voranmeldungen erklärten Besteuerungsgrundlagen abgewichen ist, ist die Schätzung nicht zu beanstanden. Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht, indem er die ihm obliegende Jahressteuererklärung nicht abgibt, ist das FA nicht gehalten, im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für das Kalenderjahr Umsätze und Vorsteuerbeträge nur in der Höhe zu schätzen, in der sie vom Steuerpflichtigen bei den Voranmeldungen angegeben wurden. Das FA kann vielmehr wegen der bestehenden Unsicherheiten Zuschläge bei den Umsätzen und/oder Abschläge bei den Vorsteuerbeträgen berücksichtigen. Solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt (vgl. , BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381). Hat der Steuerpflichtige durch sein Verhalten Anlass zur Schätzung gegeben, muss er hinnehmen, dass die Schätzung zu seinem Nachteil ausfällt (vgl. Trzaskalik in Hübschmannn/Hepp/Spitaler, § 162 AO Rz 39).
Im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das FA den Schätzungsrahmen nicht eingehalten hat, auch wenn sich die vorgenommene Schätzung an der oberen Grenze orientiert hat. Im Übrigen ist aus der später eingereichten Steuererklärung für 2005 ersichtlich, dass die dort angegebenen Umsätze von 5 211 € für das gesamte Jahr tatsächlich höher waren als die in den Voranmeldungen erklärten Umsätze von 4 556 €.
Im Hinblick darauf ist nicht (mehr) entscheidungserheblich, ob das FG aufgrund der im Schätzungsbescheid festgesetzten Umsatzsteuer von 0 € den möglicherweise falschen Schluss gezogen hat, dass der Kläger keine Abschlusszahlung zu leisten hatte, obwohl die Voranmeldungen insgesamt zu einem Überschuss zugunsten des Klägers und damit zu einer Erstattung geführt hatten.
bb) Ein berechtigtes Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage konnte nicht damit begründet werden, dass die Gefahr drohe, das FA werde weiterhin angeblich rechtswidrige Schätzungsbescheide gegenüber dem Kläger erlassen. Denn die Anerkennung eines derartigen Interesses würde den Kläger darin unterstützen, sich weiterhin auf eine pflichtwidrige Vorgehensweise –-die Nichtabgabe von Steuererklärungen— einzurichten (vgl. , BFH/NV 2008, 238).
cc) Ein schutzwürdiges Interesse an einer Rehabilitierung ist nicht hinreichend substantiiert. Abgesehen davon, dass dieser Grund erstmals im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht worden ist, hat der Kläger keinerlei Umstände dafür dargelegt, dass die Schätzung über ihren eigentlichen Zweck hinaus einen Vorwurf der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO enthielt.
c) Ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist nicht darin zu sehen, dass das FG im angefochtenen Urteil den Hilfsantrag abgelehnt und damit ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung der Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids vom verneint hat. Selbst grobe Schätzungsfehler, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, führen regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des Steuerbescheids (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381).
3. Soweit der Kläger sinngemäß rügt, das FG sei wegen Befangenheit einer beteiligten Richterin nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 1 FGO), rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision.
Der den Befangenheitsantrag zurückweisende Beschluss des FG ist nach § 128 Abs. 2 FGO nicht anfechtbar. Die Zulassung der Revision gegen das Urteil des FG wegen Vorenthaltung des gesetzlichen Richters durch eine unberechtigte Ablehnung eines Befangenheitsantrages kann nur bei einer greifbar gesetzwidrigen und damit willkürlichen Zurückweisung des Befangenheitsantrages erreicht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2008, 1210, m.w.N).
Anhaltspunkte dafür zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf. Wie schon in seinem Befangenheitsantrag beanstandet der Kläger auch in der Beschwerde vor allem, dass die abgelehnte Richterin eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 FGO gesetzt habe, obwohl hierfür die Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Mit diesem Vorbringen hat sich das FG in dem den Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluss auseinandergesetzt. Allein der Umstand, dass das FG sich nicht der Rechtsauffassung des Klägers angeschlossen hat, macht diese Entscheidung weder greifbar gesetzwidrig noch willkürlich.
4. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen. Der Kläger hat eine Divergenz nicht schlüssig dargelegt. Die von ihm benannten Entscheidungen des (BFH/NV 2002, 1415) und vom II B 90/06 (BFH/NV 2008, 13) betreffen Sachverhalte, die nicht mit dem des Streitfalls vergleichbar sind.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1085 Nr. 7
RAAAD-22367