Leitsatz
[1] Für eine Klage, die auf die Erklärung des Beklagten gestützt wird, die Haftung für den Rückforderungsanspruch einer öffentlich-rechtlichen Investitionsbank gegen den Empfänger einer Zuwendung mit zu übernehmen, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten jedenfalls dann eröffnet, wenn die Haftungserklärung möglicherweise als Bürgschaft auszulegen ist oder ihre Umdeutung in eine Bürgschaft in Betracht kommt.
Gesetze: GVG § 13
Instanzenzug: LG Frankfurt/Main, 3/4 O 93/07 vom OLG Frankfurt/Main, 23 W 48/07 vom
Gründe
I.
Die Parteien streiten in der Hauptsache über einen Anspruch der Klägerin aus einer "Haftungserklärung", die die Beklagte im Zusammenhang mit der Gewährung eines Investitionszuschusses zugunsten eines dritten Unternehmens abgegeben hatte.
Die Klägerin ist eine Anstalt öffentlichen Rechts des Landes Brandenburg, der die Wahrnehmung von öffentlichen Förderaufgaben unter anderem auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft obliegt (§ 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Investitionsbank des Landes Brandenburg in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom , GVBl. S. 258). Die Beklagte hielt 17,43 v.H. der Aktien an der P. AG.
Mit Bescheid vom gewährte die Klägerin dieser Gesellschaft (nachfolgend: Zuwendungsempfängerin) aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung sowie aus Haushaltsmitteln des Bundes und des Landes eine Zuwendung zur Errichtung einer Betriebsstätte. Sie zahlte hieraufhin umgerechnet insgesamt 52.113.129,01 € an die Zuwendungs-empfängerin aus. Die Beklagte unterzeichnete am eine "Haftungserklärung", in der sie für etwaige Erstattungs- und Verzinsungsansprüche der Klägerin gegen die Zuwendungsempfängerin die quotenmäßige Haftung entsprechend ihrem Aktienanteil übernahm. Nachdem über das Vermögen der Zuwendungsempfängerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Geschäftsbetrieb eingestellt worden war, hob die Klägerin durch Widerrufs- und Feststellungsbescheid vom den Zuwendungsbescheid auf und setzte den von der Zuwendungsempfängerin zu erstattenden Betrag auf die an sie zuvor geleistete Summe nebst Zinsen fest.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagte aus der Haftungserklärung vom auf Zahlung von 13.777.649,47 € sowie Zinsen in Anspruch. Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Oberlandesgericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und die Feststellung ausgesprochen, dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Dagegen richtet sich das vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsmittel der Klägerin.
II.
Das Rechtsmittel, das als Rechtsbeschwerde nach §§ 575 ff ZPO zu behandeln ist (BGHZ 152, 213, 214 f), ist statthaft (§ 17a Abs. 4 Satz 4, 5 GVG), auch im Übrigen zulässig und begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Zuwendungsempfängerin sei öffentlich-rechtlicher Natur, so dass auch der gegen diese gerichtete Rückforderungsanspruch öffentlich-rechtlichen Charakter habe. Durch die bürgerlich-rechtliche Mithaftungserklärung der Beklagten werde dieses Verhältnis nur ergänzt, nicht aber in seiner Natur verändert. Die Beklagte sei aufgrund einer "osmotischen" Eigenschaft der bürgerlich-rechtlichen Haftungserklärung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rückabwicklungsverhältnis lediglich zur Pflichtigen im Rahmen der bereits bestehenden öffentlich-rechtlichen Beziehung geworden.
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Vielmehr ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig.
a) Jeweils vorbehaltlich besonderer Regelungen gehören gemäß § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, während die Verwaltungsgerichte nach § 40 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art berufen sind.
aa) Die Beurteilung, ob ein Rechtsstreit bürgerlich- oder öffentlich-rechtlichen Charakter hat, richtet sich, wenn, wie hier, eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Maßgeblich für die Abgrenzung ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt, unabhängig davon, ob dieser eine zivil- oder öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage für einschlägig hält (z.B.: GmS-OGB BGHZ 97, 312, 313 f; Senatsbeschluss BGHZ 162, 78, 80 m.w.N.; - RdL 2008, 238, 239, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; - NJW-RR 2008, 610 Rn. 14).
Die Natur eines durch Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzuordnen ist. Über diese Zuordnung entscheidet, ob die Vereinbarungen mit ihrem Schwerpunkt öffentlich- oder privatrechtlich ausgestaltet sind und welcher Teil dem Vertrag das entscheidende Gepräge gibt (Senatsbeschluss aaO S. 80 f mit umfangreichen weiteren Nachweisen).
bb) Für die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs genügt es allerdings, dass sich der geltend gemachte Anspruch möglicherweise auf eine Rechtsgrundlage stützen lässt, die in die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts fällt. Gewissheit hierüber ist nicht erforderlich (z.B.: Ziekow in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 17 GVG Rn. 32). Eine Verweisung an eine andere Gerichtsbarkeit ist danach nur zulässig, wenn eine in den vom Kläger gewählten Rechtsweg fallende Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts so offensichtlich nicht gegeben sein kann, dass kein Bedürfnis dafür besteht, die Klage insoweit mit Rechtskraftwirkung abzuweisen (Senatsurteil vom - III ZR 166/89 - NVwZ 1990, 1103, 1104; BSG NJW 1995, 1575, 1576; BVerwG NVwZ 1993, 358, 359; Ziekow aaO Rn. 33).
b) Für die von der Klägerin auf die Erklärung der Beklagten, die anteilsmäßige Haftung für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu übernehmen, gestützte Forderung kommt eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage nicht nur möglicherweise, sondern sogar zumindest ernsthaft in Betracht, so dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten unter Anwendung des vorgenannten Maßstabs eröffnet ist.
aa) Die Haftungserklärung dürfte als Bürgschaft zu qualifizieren sein.
Die Rechte und Pflichten aus einer Bürgschaft sind bürgerlich-rechtlicher Natur, auch wenn sie, wie hier, eine öffentlich-rechtliche (Haupt-)Forderung sichert (BGHZ 90, 187, 189 f m.w.N.; 174, 39, 46 Rn. 25; BVerwGE 105, 302, 305 unter Aufgabe der abweichenden Ansicht in BVerwGE 35, 170, 172; OLG Frankfurt NVwZ 1985, 373). Die Bürgschaft begründet eine von der Verbindlichkeit des Hauptschuldners verschiedene, eigene Verpflichtung des Bürgen, für die Erfüllung durch den Hauptschuldner einzustehen. Ihr Rechtscharakter bestimmt sich nicht nach der Hauptschuld. Die Bürgschaft trägt ihren Rechtsgrund vielmehr in dem Sinne in sich, dass sie keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedarf. Sie hat ihre Grundlage in den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die Abhängigkeit der Bürgschaftsschuld von der gesicherten Hauptverbindlichkeit (Akzessorietät) stellt nur sicher, dass der Gläubiger vom Bürgen das erhält, was er vom Hauptschuldner zu bekommen hat. Die Akzessorietät bestimmt aber nicht die Rechtsnatur der Bürgschaft (BGHZ 90, 187, 190; BGHZ 174 aaO).
bb) Allerdings ist der Bürgschaftscharakter von Haftungserklärungen zur Besicherung öffentlich-rechtlicher Beihilferückforderungsansprüche je nach den Umständen des Einzelfalls umstritten. Teilweise werden solche Erklärungen nach §§ 765 ff BGB beurteilt (z.B.: OLG München OLGR München 1998, 272; VGH München NJW 1990, 1006, 1006 f; LG Meiningen ZIP 1998, 991, 992), teilweise als Schuldbeitritt gewertet (vgl. - juris Rn. 45 ff; OVG Magdeburg, Beschluss vom - 1 O 52/97 - juris Rn. 3; VG Meiningen, Urteil vom - 2 K 414/05 Me - juris Rn. 22; VG Weimar ZInsO 2007, 1057, 1058). Im zweiten Fall wäre der Anspruch aus der Erklärung als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, weil ein Schuldbeitritt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers teilt, zu der er erklärt wird (Senatsurteil BGHZ 72, 56, 58 ff; BGHZ 174 aaO Rn. 23).
cc) Für die Bestimmung des Rechtswegs im vorliegenden Streitfall kann allerdings auf sich beruhen, ob die Mithafterklärung der Beklagten (von vornherein) als Bürgschaft oder (zunächst) als Schuldbeitritt einzuordnen ist. Auch wenn Letzteres der Fall wäre, kommt im Ergebnis ein Anspruch der Klägerin aus einer Bürgschaft in Betracht.
Als - öffentlich-rechtlich zu qualifizierender - Schuldbeitritt wäre die Erklärung nichtig, weil die notwendige gesetzliche Schriftform eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (§§ 57, 59 Abs. 1, § 62 Satz 2 VwVfGBbg, § 125 Satz 1, § 126 Abs. 2 BGB) nicht gewahrt wurde (vgl. BGHZ 174 aaO m.w.N.). Die Erklärung ist nur einseitig von der Beklagten abgegeben und unterschrieben worden. Nach § 57 VwVfGBbg in Verbindung mit § 62 Satz 2 VwVfGBbg und § 126 Abs. 2 BGB wäre jedoch erforderlich gewesen, dass die Vertragsparteien auf derselben Urkunde unterzeichnet oder nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB einzeln unterschriebene gleichlautende Urkunden ausgetauscht hätten. Auf der Basis des klägerischen Tatsachenvortrags wäre allerdings sodann zu prüfen, ob ein etwaiger nichtiger Beitritt zu einer öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeit nach § 140 BGB in einen privatrechtlichen Bürgschaftsvertrag umzudeuten ist, für den hinsichtlich der Form lediglich § 766 Satz 1 BGB und § 350 HGB gelten (vgl. BGHZ aaO Rn. 24 ff; hierzu zustimmend Heeg, DB 2008, 391, 392 f; kritisch Bülow, WuB I F 1 d. - 1.08; siehe ferner Senatsurteil BGHZ 76, 16, 28).
Die "Haftungserklärung" kann gemäß § 140 BGB in eine Bürgschaft umzudeuten sein, wenn anzunehmen ist, dass die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit der Mithaftungserklärung eine Bürgschaft gewollt hätten. Davon ist im Zweifel auszugehen, wenn durch dieses Sicherungsmittel derselbe wirtschaftliche Erfolg erreicht werden kann, da es den Vertragsparteien weniger auf die Rechtsform ihres Geschäfts als auf die von ihnen beabsichtigten wirtschaftlichen Wirkungen ankommt und ihnen in der Regel jedes rechtlich zulässige Mittel willkommen sein wird, das diesen Erfolg, wenn vielleicht auch nicht ganz, so aber doch annähernd gewährleistet. Nur wenn die Parteien der von ihnen gewählten Rechtsform eine besondere Bedeutung beigelegt haben, würde das Aufzwingen einer anderen rechtlichen Gestaltung im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB zu einer im Gegensatz zur Privatautonomie stehenden Bevormundung der Parteien führen (BGHZ 174, 39, 47, Rn. 27 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen dürfte der nichtige Schuldbeitritt der Beklagten in einen wirksamen Bürgschaftsvertrag umzudeuten sein. Zwar stellt das Verwaltungsverfahrensrecht mit dem Schuldbeitritt in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ein geeignetes Sicherungsmittel zur Verfügung. Es liegt jedoch nahe, dass die Rechtsnatur der von der Beklagten zu bestellenden Personalsicherheit für die Parteien ohne Bedeutung war. Die Interessenwertung der Parteien und der von ihnen verfolgte wirtschaftliche Zweck sprechen dafür, dass die Beklagte sich auf entsprechenden Wunsch der Klägerin und bei Kenntnis der Rechtslage für die etwaige Verbindlichkeit der Zuwendungs-empfängerin, an der sie einen erheblichen Anteil hielt, verbürgt hätte (vgl. BGHZ 174 aaO Rn. 28).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WM 2008 S. 2153 Nr. 46
GAAAC-93808
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja