BFH Beschluss v. - III S 31/06 (PKH)

Kindergeldberechtigung bei mehrfacher Haushaltsaufnahme; Rüge fehlerhafter Tatsachenwürdigung; Verletzung der Sachaufklärungspflicht

Gesetze: EStG § 64 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Beigeladene, Beschwerdeführer und Antragsteller (Antragsteller) und die Klägerin haben eine 1993 geborene Tochter (T). Im Juni 2001 trennte sich der Antragsteller von der Klägerin und bezog eine Wohnung, die ungefähr 400 m von der bisherigen gemeinsamen Familienwohnung entfernt war. Im Juli 2003 wurde die Ehe geschieden.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) war unstreitig, dass sich T im Zeitraum Juli 2001 bis März 2003 sowohl bei der Klägerin als auch bei dem Antragsteller aufgehalten hatte und während ihrer Aufenthalte sowohl von der Klägerin als auch dem Antragsteller materiell und immateriell in einem Umfang betreut worden war, „der eine Familiengemeinschaft im Sinne der…Rechtsprechung begründet”.

Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hatte bis März 2003 das Kindergeld an den Antragsteller geleistet. Auf ihren Antrag im März 2003 erhielt die Klägerin ab April 2003 das Kindergeld. Dem Antrag der Klägerin, das Kindergeld an sie rückwirkend ab Juli 2001 auszuzahlen, weil T seit der Trennung vom Antragsteller in ihrem, der Klägerin, Haushalt gelebt habe, entsprach die Familienkasse durch Bescheid vom nicht. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das FG, das den Antragsteller gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) zum Verfahren beigeladen hatte, gab der Klage statt. Es war nach Würdigung des Vortrags der Klägerin und des Antragstellers sowie der Aussagen der vernommenen Zeugen der Überzeugung, T habe sich im Streitzeitraum überwiegend im Haushalt der Klägerin aufgehalten, sei überwiegend von ihr betreut worden und habe daher ihren Lebensmittelpunkt bei der Klägerin gehabt. Ihr stehe daher für die Monate Juli 2001 bis März 2003 nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) das Kindergeld zu.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die beim Senat unter dem Aktenzeichen . anhängig ist, macht der Antragsteller die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie mangelnde Sachaufklärung geltend. Er trägt im Wesentlichen vor: Er und die Klägerin hätten ein sog. Wechselmodell praktiziert und der Tochter im Wesentlichen unter gleicher Verteilung der familiären Lasten die gleiche Betreuung zukommen lassen. Das FG sei jedoch dem nicht beweisbaren Vortrag der Klägerin gefolgt und habe den Lebensmittelpunkt der Tochter bei der Klägerin angenommen. Im Übrigen sei die Vernehmung von Kindern in Anwesenheit ihrer Eltern und der Öffentlichkeit unzulässig. Zur Feststellung des Lebensmittelpunkts hätte das FG die genauen Aufenthaltszeiten von T im Streitzeitraum ermitteln und einander gegenüberstellen müssen. Dann hätte sich herausgestellt, dass es im Streitzeitraum mehrfache Verschiebungen der Betreuungsleistungen gegeben habe und insgesamt ein Betreuungsübergewicht bei ihm, dem Antragsteller, bestanden habe.

Es sei grundsätzlich bedeutsam, wie bei einem Wechselmodell die Betreuungs- und Erziehungszeiten während der Schul- und Ferienzeiten in der Gesamtschau zu bewerten seien. Da das FG trotz schriftlichen Hinweises und Anregung in der mündlichen Verhandlung die Prozessakten zum Umgangs- und Unterhaltsverfahren aus dem Jahre 2003 nicht beigezogen habe, habe es den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt.

Der Antragsteller beantragt, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und Rechtsanwalt X als Prozessbevollmächtigten beizuordnen.

II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde wird abgelehnt.

1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

2. Das Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision, für das der Antragsteller PKH begehrt, hat keine Aussicht auf Erfolg, weil kein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

a) Der Rechtsstreit hat entgegen der Auffassung des Antragstellers keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Die Rechtsfragen, die der Antragsteller im Zusammenhang mit der wechselnden Betreuung und Erziehung von Kindern getrennt lebender Eltern aufgeworfen hat, sind nicht klärungsbedürftig. Durch die Rechtsprechung ist geklärt, nach welchen Grundsätzen zu entscheiden ist, in welchen Haushalt ein Kind aufgenommen ist, das sowohl beim Vater als auch bei der Mutter lebt (, BFHE 208, 220, BFH/NV 2005, 616). Hält sich das Kind in annähernd gleichem Umfang bei Vater und Mutter auf, ist das Kindergeld demjenigen zu zahlen, den die Eltern untereinander bestimmt haben (Senatsurteil vom III R 91/03, BFHE 209, 338, BFH/NV 2005, 1186).

Das FG hat diese Grundsätze seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu der Überzeugung gelangt, dass sich T trotz ihres Aufenthalts sowohl beim Antragsteller und als auch bei der Klägerin überwiegend im Haushalt der Klägerin aufgehalten, überwiegend von ihr betreut worden ist und deshalb ihren Lebensmittelpunkt bei der Klägerin hatte.

Im Kern wendet sich der Antragsteller gegen die inhaltliche Richtigkeit des Urteils. Mit der Rüge der fehlerhaften Tatsachenwürdigung und den in der Darstellung der eigenen Wertung und Rechtsansicht liegenden Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit des FG-Urteils kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (, BFH/NV 2007, 70).

b) Auch die Rüge des Antragstellers, das FG habe die Prozessakten zum Umgangs- und Unterhaltsverfahren aus dem Jahr 2003 trotz schriftlicher und mündlicher Anregung nicht beigezogen, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, welche ermittlungsbedürftigen Tatsachen sich im Einzelnen aus den Prozessakten ergeben und über den unstreitigen Sachverhalt hinaus Erkenntnisse hätten bringen können.

Zudem hat der Antragsteller insoweit sein Rügerecht verloren. Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) gehört zu den verzichtbaren Verfahrensmängeln (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO). Das Rügerecht geht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren. Hat das FG die beantragten Beweise weder vorher noch in der mündlichen Verhandlung erhoben, muss dieses Unterlassen im Termin der mündlichen Verhandlung gerügt werden (Senatsbeschluss vom III B 119/05, BFH/NV 2006, 1844, m.w.N.). Dies hat der Antragsteller ausweislich des Verhandlungsprotokolls nicht getan.

Nicht begründet ist auch der Einwand, das FG hätte die Kinder nicht in Anwesenheit ihrer Eltern und der Öffentlichkeit befragen dürfen. Zum einen hätte der Antragsteller einen eventuellen Verfahrensverstoß ebenfalls bereits in der mündlichen Verhandlung rügen müssen. Zum anderen hatte das FG, wie sich aus dem Verhandlungsprotokoll ergibt, während der Vernehmung der Töchter die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht.

Fundstelle(n):
JAAAC-57775