BGH Beschluss v. - IX ZB 108/05

Leitsatz

[1] a) In vergütungsrechtlichen Insolvenzbeschwerdeverfahren darf das Beschwerdegericht nicht über den Antrag des Beschwerdeführers hinausgehen.

b) Wendet sich der Beschwerde führende Schuldner ausschließlich gegen die Zuerkennung einer Erhöhung der Regelvergütung an den Insolvenzverwalter, darf das Beschwerdegericht die Berechnungsgrundlage herabsetzen und es bei dem Zuschlag belassen.

Gesetze: InsO § 6; InsVV § 1; InsVV § 3

Instanzenzug: AG Bielefeld 43 IK 199/01 vom LG Bielefeld 23 T 395/04 vom

Gründe

I.

Mit Beschluss vom eröffnete das Amtsgericht - Insolvenzgericht - über das Vermögen des Schuldners ein vereinfachtes Insolvenzverfahren (§§ 304 f InsO) und bestellte den weiteren Beteiligten als Treuhänder. Unter dem erstattete der Treuhänder seinen Schlussbericht; zugleich beantragte er die Festsetzung seiner Vergütung nebst zu erstattender Auslagen und Umsatzsteuer (im Folgenden: Vergütung) in Höhe von insgesamt 121.708,34 €. Als Berechnungsgrundlage für die Vergütung legte er eine Insolvenzmasse im Wert von 450.759,90 € zu Grunde. Darin enthalten war der Wert eines Grundstücks in Höhe von 256.286,18 €. Er machte eine Erhöhung des Vergütungssatzes um 50 vom Hundert geltend.

Das Amtsgericht hat die Vergütung auf insgesamt 82.492,23 € festgesetzt. Es ist ebenfalls von 450.759,90 € als Berechnungsgrundlage ausgegangen, hat indessen nur Zuschläge in Höhe von 20 vom Hundert anerkannt, die durch einen Abschlag in gleicher Höhe aufgezehrt worden sind. Dagegen haben sowohl der Schuldner als auch der Treuhänder sofortige Beschwerden eingelegt. Während der Treuhänder sein ursprüngliches Begehren weiter verfolgt hat, ist der Schuldner ausschließlich der Gewährung der Zuschläge entgegengetreten. Keiner der beiden Rechtsmittelführer hat die Berechnungsgrundlage der Vergütung in Frage gestellt. Durch Beschluss vom hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Treuhänders zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat es die Vergütung auf insgesamt 65.546,11 € herabgesetzt. Es hat den Wert des Grundstücks nur auf 100.000 € veranschlagt und demgemäß die Berechnungsgrundlage auf 294.473,72 € reduziert. Die Zuschläge hat es der Höhe nach nicht beanstandet, allerdings der Art nach teilweise modifiziert. Einen Abschlag hat es nicht vorgenommen. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Treuhänder gegen die Herabsetzung der Berechnungsgrundlage. Die Ablehnung einer über 20 vom Hundert hinausgehenden Erhöhung des Vergütungssatzes wird hingenommen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 InsO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie hat jedoch nur in geringem Umfang Erfolg.

1. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde gilt zwar das Verschlechterungsverbot (BGHZ 159, 122, 124 ff) mit der Folge, dass die Position des (alleinigen) Rechtsmittelführers nicht zu seinem Nachteil verändert werden darf. Das Beschwerdegericht darf deshalb die dem Rechtsmittelführer in erster Instanz zugesprochene Vergütung nicht herabsetzen. Das Beschwerdegericht wird darüber hinaus durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert, bei Feststellung der angemessenen Vergütung im Einzelfall Zu- und Abschläge anders zu bemessen als das Insolvenzgericht, soweit es den Vergütungssatz insgesamt nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ändert (, NZI 2005, 559, 560). Das Verschlechterungsverbot wird auch dann nicht berührt, wenn das Beschwerdegericht die Berechnungsgrundlage zu Lasten dessen, der seine Vergütung begehrt, ändert, diesen Nachteil jedoch durch die Gewährung eines Zuschlags kompensiert. Umgekehrt gilt dasselbe, so dass das Beschwerdegericht einen bisher gewährten Zuschlag versagen kann, wenn es durch eine Erhöhung der Berechnungsgrundlage im Ergebnis einen Nachteil vermeidet.

2. Auch durch die Dispositionsmaxime wird das Beschwerdegericht nicht gehindert, die Berechnungsgrundlage, welche von den Verfahrensbeteiligten "außer Streit" gestellt worden ist, zu überprüfen und gegebenenfalls unter Einbeziehung von allein zur Überprüfung gestellten Zu- oder Abschlägen zu ändern.

a) Die den Zivilprozess beherrschende Dispositionsmaxime gilt im Insolvenzverfahren nur eingeschränkt (MünchKomm-InsO/Ganter, § 5 Rn. 5 f; Braun/Kießner, InsO 2. Aufl. § 5 Rn. 5; vgl. ferner Jaeger/Gerhardt InsO § 4 Rn. 55). Ist dieses erst einmal eröffnet, können die Beteiligten nur noch in engen Grenzen darüber disponieren, etwa durch Zustimmung der Gläubiger zur Einstellung (§ 213 InsO) oder durch Bestätigung eines Insolvenzplans (vgl. § 258 InsO). Die Beteiligten können weder den Verfahrensgegenstand bestimmen noch bestimmte Tatsachen "unstreitig stellen". Dies wäre mit der Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO) nicht zu vereinbaren. "Insolvenzgericht" in diesem Sinne ist auch das Gericht der sofortigen Beschwerde (MünchKomm-InsO/Ganter, § 6 Rn. 53).

Allerdings wird das Beschwerdegericht seine Überprüfung zunächst auf die Punkte beziehen, die der Beschwerdeführer durch die Angabe der Zielrichtung seines Angriffs (vgl. § 4 InsO i.V.m. § 571 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zur Überprüfung stellt. Dabei können neue, verspätet vorgebrachte Angriffsmittel zurückgewiesen werden, wenn durch die Zulassung des verspäteten Vorbringens das Verfahren verzögert würde und die Verspätung nicht genügend entschuldigt wird (§ 4 InsO i.V.m. § 571 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Darüber hinaus ist jedoch die Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts nicht eingeengt.

b) Eine "Bindung des Insolvenzgerichts an die ordnungsgemäße Rechnungslegung des Verwalters" (vgl. dazu LG Frankfurt/Oder ZInsO 1998, 236; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Insolvenzrechtliche Vergütung 3. Aufl. § 1 InsVV Rn. 42) besteht nicht. Das Insolvenzgericht hat eine materielle Prüfungspflicht, welche die Richtigkeit des Ansatzes der einzelnen Positionen des Vergütungsfestsetzungsantrags umfasst (, ZIP 2005, 36; LG Stendal ZIP 2000, 982, 983; FK-InsO/Kind, 4. Aufl. § 66 Rn. 17). Das Beschwerdegericht als zweite Tatsacheninstanz hat grundsätzlich dieselbe Prüfungsbefugnis und - bei Bestehen konkreter Anhaltspunkte - Prüfungspflicht.

Soweit der Senat ausgesprochen hat, bei Feststellung der angemessenen Vergütung könne das Beschwerdegericht im Einzelfall Zu- und Abschläge anders bemessen als das Insolvenzgericht, falls es den Vergütungssatz insgesamt nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ändere ( aaO), ist zwar darauf abgestellt worden, dass die in Betracht kommenden Zuschlags- (oder Abschlags-) Tatbestände - weil sie lediglich beispielhaften Charakter hätten - nicht isoliert zu prüfen seien, vielmehr eine Gesamtwürdigung stattzufinden habe. Diese Begründung kann auf das Verhältnis der Berechnungsgrundlage einerseits zu den Zu- und Abschlagstatbeständen andererseits nur mit Einschränkungen übertragen werden. Die Berechnungsgrundlage bemisst sich nach dem objektiven Wert der Masse, mit welcher sich der Verwalter/Treuhänder hat beschäftigen müssen. Demgegenüber werden Zu- oder Abschläge durch individuelle, konkret tätigkeitsbezogene Merkmale ausgelöst, welche die Tätigkeit des Verwalters/Treuhänders - in erheblicher Abweichung vom Normalfall - erschwert oder erleichtert haben. Gleichwohl sind die Berechnungsgrundlage und die Zuschlags- oder Abschlagstatbestände allesamt nur Berechnungsfaktoren eines einheitlichen Vergütungsanspruchs. Zudem sind sie oft aufeinander bezogen. So ist nach § 3 Abs. 1 Buchst. a, b und c InsVV eine den Regelsatz übersteigende Vergütung festzusetzen, wenn bestimmte Tätigkeiten einen erheblichen Teil der Arbeitskraft des Insolvenzverwalters gebunden haben, ohne dass die Masse - und damit die Berechnungsgrundlage gemäß § 1 Abs. 1 InsVV - entsprechend größer geworden ist. Umgekehrt ist nach § 3 Abs. 2 Buchst. d regelmäßig ein Abschlag gerechtfertigt, wenn die Geschäftsführung geringe Anforderungen an den Verwalter gestellt hat und die Masse groß war.

3. Vergeblich rügt die Rechtsbeschwerde die Festsetzung des Grundstückswerts auf lediglich 100.000 €.

a) Die Rechtsbeschwerde meint, das Grundstück, das nicht verwertet, sondern an den Schuldner zurückgegeben wurde, sei nicht mit dem voraussichtlichen Einzelveräußerungs- oder Liquidationswert, sondern mit dem Fortführungswert in die Berechnungsgrundlage einzustellen. Dies ist unzutreffend. Der Unterschied zwischen Liquidationswert und Fortführungswert ist nur in der Unternehmensinsolvenz hinsichtlich des Betriebsvermögens erheblich. Bei dem Schuldner handelt es sich jedoch um einen Verbraucher; das Grundstück ist noch nicht einmal erschlossenes Ackerland.

b) Ferner vertritt die Rechtsbeschwerde den Standpunkt, das Beschwerdegericht habe nicht einen Wert von lediglich 100.000 € zugrunde legen dürfen, ohne sich sachverständiger Hilfe zu bedienen. Auch dem ist nicht zu folgen. Der Treuhänder hat den Grundstückswert in seinem Sachverständigengutachten vom mit 127.822,97 € angegeben. Am hat er mit einem Interessenten einen notariellen Kaufvertrag zu einem Preis von 100.000 € geschlossen. Zu einem höheren Preis war das Grundstück seinen Angaben zufolge nicht zu veräußern. Den entsprechenden Feststellungen des Beschwerdegerichts ist die Rechtsbeschwerde nicht entgegengetreten. Dass das Beschwerdegericht den eigenen Angaben des Treuhänders mehr Glauben geschenkt hat als der Schätzung des später von ihm eingeschalteten privaten Sachverständigen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

4. Nicht aufrechterhalten werden kann die Beschwerdeentscheidung in Höhe von 1.259,98 €. Insofern hat das Beschwerdegericht gegen den Grundsatz verstoßen, dass nicht über das Begehren des Antragstellers hinausgegangen werden darf (ne ultra petita). Im Vergütungsfestsetzungsverfahren darf das Gericht nicht über das Begehren des Antragstellers hinausgehen (vgl. , ZInsO 2006, 257, 259).

Im vorliegenden Fall hat das Beschwerdegericht zu Lasten des Treuhänders gegen diesen allgemeinen Grundsatz verstoßen. Der Schuldner hatte - bei gleich bleibender Berechnungsgrundlage - den Wegfall der Zuschläge von insgesamt 20 vom Hundert begehrt. Wäre dem voll stattgegeben worden, hätte sich die festzusetzende Vergütung mit Auslagenersatz und Umsatzsteuer auf 66.806,09 € belaufen. Das Beschwerdegericht hat statt dessen - bei gleich bleibenden Zuschlägen - die Berechnungsgrundlage herabgesetzt und ist so zu einer Vergütung von 65.546,11 € gelangt, einen Betrag, der noch niedriger war als derjenige, den der Schuldner mit seiner Beschwerde erreichen wollte.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
ZIP 2006 S. 2186 Nr. 47
WAAAC-19562

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja