Online-Nachricht - Freitag, 14.05.2021

Einkommensteuer | Anspruch auf deutsches Kindergeld in sog. Wohnsitz-Wohnsitz-Fällen (BFH)

Der Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat ist nicht nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, wenn nur ein Anspruch im nachrangigen Staat besteht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch im vorrangigen Staat aber nicht erfüllt werden (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides über Kindergeld. Der Kläger ist polnischer Staatsbürger und verheiratet. Er hat einen Wohnsitz im Inland und war im Streitzeitraum nicht erwerbstätig. Das Kind des Klägers lebt im Haushalt seiner Eltern in Polen. Die Ehefrau des Klägers hat sich damit einverstanden erklärt, dass das Kindergeld an den Kläger gezahlt wird. Die Ehefrau des Klägers war nach ihren Angaben im Kindergeldantrag weder unselbständig noch selbständig erwerbstätig. Das polnische Gemeindezentrum für Sozialhilfe bestätigte, dass die Ehefrau des Klägers keine Familienleistungen erhält. Mit Datum vom bescheinigte die Behörde abermals, dass der Kläger und seine Ehefrau kein Kindergeld für das Kind in Polen beziehen.

Die Familienkasse setzte zunächst Kindergeld in gesetzlicher Höhe fest. Später hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte einen Betrag von 3.544 € zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger es versäumt habe, Nachweise über ausgestellte Rechnungen im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit und Nachweise über den Zufluss seiner Einkünfte einzureichen.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg ().

Der BFH hat die Revision der Familienkasse als unbegründet zurückgewiesen:

  • Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Anspruch auf deutsches Kindergeld nicht durch Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen ist und die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sowie die Rückforderung rechtswidrig sind.

  • Der im Inland wohnende Kläger erfüllt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. mit §§ 62 ff. i. V. mit § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG für seinen in Polen lebenden minderjährigen Sohn. Das Kind lebt in einem gemeinsamen Haushalt des Klägers und der Kindsmutter in Polen. Für den Kläger liegt eine entsprechende Berechtigtenbestimmung gem. § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG vor.

  • Dieser Anspruch des Klägers auf Gewährung von Kindergeld ist nicht nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen. Ist der persönliche und sachliche Geltungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet und liegen konkurrierende Ansprüche im Sinne der Verordnung vor, dann sind die Ansprüche ausschließlich nach Art. 68 der VO Nr. 883/2004 zu koordinieren. Diese Prioritätsregelung ist gegenüber § 65 EStG grundsätzlich vorrangig (, Rz. 17, m.w.N.).

  • Der Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat ist nicht nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, wenn nur ein Anspruch im nachrangigen Staat besteht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch im vorrangigen Staat aber nicht erfüllt sind.

  • Die Koordinierungsregel des Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ist nur anwendbar, wenn konkurrierende Ansprüche im Sinne dieser Vorschrift vorliegen. Im Streitfall haben der Kläger bzw. die Kindsmutter nach den bindenden Feststellungen des FG jedoch keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen.

  • Wird daher in dem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat für einzelne Kinder keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erbracht, weil die nationalen Rechtsvorschriften keinen Anspruch für das Kind vorsehen, müssen die allein durch den Wohnort einer berechtigten Person ausgelösten Ansprüche auf Familienleistungen für in einem anderen Mitgliedstaat lebende Kinder erfüllt sein.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NWB YAAAH-78595