BMF - III C 2 - S 7124/20/10001 :001 BStBl 2020 I S. 671

Umsatzsteuer; Umsatzsteuerliche Behandlung der Abrechnung von Mehr- bzw. Mindermengen Gas (Leistungsbeziehungen)

Bezug:

Bezug: BStBl 2014 I S. 1111

I. Der Abrechnung von Mehr- bzw. Mindermengen Gas zugrundeliegenden Leistungsbeziehungen

Nach § 20 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) haben Betreiber von Energieversorgungsnetzen Netzzugangsberechtigten Zugang zu ihren Leitungsnetzen zu gewähren. Zu den Energieversorgungsnetzen gehören nach § 3 Nr. 16 EnWG auch Gasversorgungsnetze über eine oder mehrere Druckstufen mit Ausnahme von Kundenanlagen nach § 3 Nrn. 24a und 24b EnWG. Die Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (GasNZV) regelt die Bedingungen des Netzzugangs.

Zur Ausgestaltung des Zugangs zu den Gasversorgungsnetzen müssen Betreiber von Gasversorgungsnetzen nach § 20 Abs. 1b EnWG Einspeise- und Ausspeisekapazitäten anbieten, die unabhängig voneinander nutzbar und handelbar sind. Zur Abwicklung des Zugangs ist ein Vertrag mit dem Netzbetreiber, in dessen Netz eine Einspeisung von Gas erfolgen soll, über Einspeisekapazitäten erforderlich (Einspeisevertrag). Zusätzlich muss ein Vertrag mit dem Netzbetreiber, aus dessen Netz die Entnahme von Gas erfolgen soll, über Ausspeisekapazitäten abgeschlossen werden (Ausspeisevertrag bzw. Lieferantenrahmenvertrag).

Nach § 8 Abs. 1 GasNZV sind die Netzbetreiber verpflichtet, von Transportkunden (insbesondere Lieferanten und Großhändler) bereitgestellte Gasmengen an Einspeisepunkten des Marktgebiets zu übernehmen und an Ausspeisepunkten mit demselben Energiegehalt zu übergeben.

Abweichungen zwischen den Ein- und Ausspeisemengen werden in einem Bilanzkreis ausgeglichen (§ 22 Abs. 1 GasNZV). Der (vom Fernleitungsnetzbetreiber bestimmte) Marktgebietsverantwortliche führt das Bilanzkreissystem. Dabei ist gegenüber dem Marktgebietsverantwortlichen für jeden Bilanzkreis ein Bilanzkreisverantwortlicher zu benennen (§ 22 Abs. 2 GasNZV). Nach § 22 Abs. 3 GasNZV haben die Bilanzkreisverantwortlichen bei den ihrem Bilanzkreis zugeordneten Ein- und Ausspeisemengen durch geeignete Maßnahmen innerhalb der Bilanzperiode für eine ausgeglichene Bilanz zu sorgen.

Dabei sind Mehr- bzw. Mindermengen an Gas auszugleichen, die durch Abweichungen zwischen zur Ausspeisung bereitgestellten (allokierten) Mengen und der tatsächlichen Ausspeisung am Ausspeisepunkt sowie durch Brennwertkorrekturen entstehen. Diese gelten nach § 25 Abs. 1 GasNZV als vom Ausspeisenetzbetreiber bereitgestellt oder entgegengenommen und werden von diesem mit den Transportkunden abgerechnet. Diese Abrechnung erfolgt mindestens jährlich oder am Ende des Vertragszeitraums.

Der Ausspeisenetzbetreiber hat dabei dem Transportkunden einen Arbeitspreis zu vergüten oder in Rechnung zu stellen (§ 25 Abs. 2 GasNZV). Der Ausspeisenetzbetreiber wiederum rechnet Ausgaben und Einnahmen aus der Mehr- und Mindermengenabrechnung mit dem Marktgebietsverantwortlichen ab, der die Regelenergie bereitstellt (§ 25 Abs. 3 GasNZV). Regelenergie sind die Gasmengen, die vom Netzbetreiber zur Gewährleistung der Netzstabilität eingesetzt werden (§ 2 Nr. 12 GasNZV).

Übersicht über die Abrechnungen zwischen den Marktakteuren:

II. Umsatzsteuerrechtliche Würdigung

Die unter Tz. I. genannten Leistungen sind umsatzsteuerrechtlich wie folgt zu würdigen:

Soweit Ausspeisenetzbetreiber und Transportkunde Mehr- bzw. Mindermengen an Gas ausgleichen, handelt es sich um eine Lieferung entweder vom Ausspeisenetzbetreiber an den Transportkunden (Mindermenge) oder vom Transportkunden an den Ausspeisenetzbetreiber (Mehrmenge). Die Verfügungsmacht an dem zum Ausgleich zur Verfügung gestellten Gas wird verschafft (§ 3 Abs. 1 UStG). Unter den in § 13b Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 5 UStG genannten Voraussetzungen ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner.

Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Marktgebietsverantwortlichem und Ausspeisenetzbetreiber. Der Marktgebietsverantwortliche beschafft die für die Mehr- bzw. Mindermengen benötigten Gasmengen von Händlern am Regelenergiemarkt und stellt diese den Ausspeisenetzbetreibern in seinem Marktgebiet als Mehr- bzw. Mindermenge zur Verfügung oder nimmt sie entgegen.

Hiervon zu unterscheiden ist das Verhältnis zwischen dem Marktgebietsverantwortlichen und dem Bilanzkreisverantwortlichen. Durch den zugrundeliegenden Bilanzkreisvertrag zwischen Marktgebietsverantwortlichem und Bilanzkreisverantwortlichem wird die operative Abwicklung des Transportes, die Übertragung von Gasmengen zwischen Bilanzkreisen sowie der Ausgleich und die Abrechnung von Differenzmengen geregelt. Zwischen dem Marktgebietsverantwortlichen und dem Bilanzkreisverantwortlichen selbst werden keine Mehr- bzw. Mindermengen Gas abgerechnet. Der Bilanzkreisverantwortliche ist zwar gegenüber dem Marktgebietsverantwortlichen aus dem Bilanzkreisvertrag zur Bewirtschaftung seines Bilanzkreises verpflichtet, nimmt diese Tätigkeit jedoch im eigenen Interesse und nicht als Leistung an den Marktgebietsverantwortlichen wahr. Die Meldung von Prognose-, Ein- und Ausspeisedaten seines Bilanzkreises an den Marktgebietsverantwortlichen dient der Bereitstellung bzw. Abnahme von Ausgleichsenergie durch den Marktgebietsverantwortlichen sowie der korrekten Abrechnung von Ausgleichsenergie, Umlagen und Beiträgen und ist daher umsatzsteuerlich als nicht steuerbare Leistungsbeistellung zu beurteilen. Der Bilanzkreisverantwortliche trägt hiermit zur Erbringung der Leistung des Marktgebietsverantwortlichen an ihn bei. Die im Rahmen des Bilanzkreisvertrages zu erbringenden Leistungen sind ausschließlich sonstige Leistungen des Marktgebietsverantwortlichen an den Bilanzkreisverantwortlichen unter Leistungsbeistellung durch den Bilanzkreisverantwortlichen (vgl. Abschnitt 1.7 Abs. 1 UStAE).

III. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom , BStBl 2010 I S. 864, der zuletzt durch das (2020/0767842), BStBl 2020 I S. 668, geändert worden ist, in Abschnitt 1.7 der Absatz 1 wie folgt gefasst:

„(1) 1Die Abgabe von Energie durch einen Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen des sog. Bilanzkreis- oder Regelzonenausgleichs vollzieht sich nicht als eigenständige Lieferung, sondern im Rahmen einer sonstigen Leistung und bleibt dementsprechend bei der Beurteilung der Wiederverkäufereigenschaft unberücksichtigt (vgl. Abschnitt 3g. 1 Abs. 2). 2Das gilt entsprechend für Bilanzkreisabrechnungen beim Betrieb von Gasleitungsnetzen zwischen dem Marktgebietsverantwortlichen und dem Bilanzkreisverantwortlichen, wobei es sich ausschließlich um sonstige Leistungen des Marktgebietsverantwortlichen an den Bilanzkreisverantwortlichen unter Leistungsbeistellung durch den Bilanzkreisverantwortlichen handelt. 3Die zwischen den Netzbetreibern zum Ausgleich der unterschiedlichen Kosten für die unentgeltliche Durchleitung der Energie gezahlten Beträge (sog. Differenzausgleich) sind kein Entgelt für eine steuerbare Leistung des Netzbetreibers. 4Gibt ein Energieversorger seine am Markt nicht mehr zu einem positiven Kaufpreis veräußerbaren überschüssigen Kapazitäten in Verbindung mit einer Zuzahlung ab, um sich eigene Aufwendungen für das Zurückfahren der eigenen Produktionsanlagen zu ersparen, liegt keine Lieferung von z. B. Elektrizität vor, sondern eine sonstige Leistung des Abnehmers.“

IV. Aufhebung von BMF-Schreiben

Das (2014/0576997), BStBl 2014 I S. 1111, wird aufgehoben.

V. Anwendungsregelung

Die Regelung ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden.

Für Umsätze der Marktgebietsverantwortlichen an die Bilanzkreisverantwortlichen und der Bilanzkreisverantwortlichen an die Marktgebietsverantwortlichen im Rahmen der Bilanzkreisabrechnung, die vor dem ausgeführt wurden bzw. werden, wird es - auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs - nicht beanstandet, wenn diese Umsätze von den Beteiligten einvernehmlich bei bilanzieller Überspeisung als sonstige Leistungen des Bilanzkreisverantwortlichen an den Marktgebietsverantwortlichen und bei bilanzieller Unterspeisung als sonstige Leistungen des Marktgebietsverantwortlichen an den Bilanzkreisverantwortlichen abgerechnet wurden bzw. werden.

BMF v. - III C 2 - S 7124/20/10001 :001


Fundstelle(n):
BStBl 2020 I Seite 671
DStR 2020 S. 1921 Nr. 35
UR 2020 S. 856 Nr. 21
UStB 2020 S. 286 Nr. 9
UVR 2021 S. 6 Nr. 1
AAAAH-56512