Online-Nachricht - Donnerstag, 06.08.2020

Verfahrensrecht/Lohnsteuer | Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung sowie Berechnung der 110 €-Freigrenze (BFH)

Weist eine Rechtsbehelfsbelehrung entgegen dem Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO i.d.F. des Gesetzes v. nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Einspruchs hin, ist die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig i.S. des § 356 Abs. 2 AO. Die Einspruchsfrist beträgt dann ein Jahr. Bei der Ermittlung, ob die 110 €-Freigrenze überschritten ist und deshalb Leistungen aus Anlass einer Betriebsveranstaltung als Arbeitslohn zu werten sind, kommt die Aufteilung der Gesamtkosten auf Personen, die mit der Durchführung der Veranstaltung betraut sind und nicht der Belegschaft angehören, nicht in Betracht. Aufwendungen des Arbeitgebers für diesen Personenkreis können jedoch die Gesamtkosten der Betriebsveranstaltung vermindern (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die materielle Rechtmäßigkeit eines (unter Umständen verspätet) angefochtenen Lohnsteuernachforderungsbescheids: In dem streitgegenständlichen Nachforderungsbescheid v. forderte das FA von der Klägerin für die Jahre 2008 bis 2011 Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer nach und hob zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Nachforderungsbescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Diese enthielt keinen Hinweis auf die Möglichkeit, den Einspruch elektronisch einzureichen.

Gegen den Lohnsteuernachforderungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben v. Einspruch beim unzuständigen FA Y ein. Am ging das vom FA Y weitergeleitete Schreiben beim (zuständigen) FA ein.

Das FA verwarf den Einspruch der Klägerin als unzulässig (verfristet). Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 10.10.2017).

Der BFH hob das Urteil auf und wies die Sache an das FG zurück.

  • Vorliegend konnte die Klägerin den Einspruch gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO fristwahrend binnen eines Jahres seit der Bekanntgabe des Nachforderungsbescheids einlegen.

  • Es galt die Jahresfrist, da die dem Lohnsteuernachforderungsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung i.S. von § 356 Abs. 2 Satz 1 AO unrichtig erteilt worden ist. Sie weist entgegen dem Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Einspruchs hin.

  • Ein derartiger Hinweis ist seit dem nach Änderung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO durch das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl I 2013, 2749) nicht länger entbehrlich, da die Möglichkeit, den Einspruch elektronisch einzureichen, nun ausdrücklich im Gesetz genannt ist.

  • Ob die damalige 110 €-Freigrenze in Bezug auf ein im Jahr 2011 stattgefundenes Mitarbeiterfest der Klägerin korrekt berechnet wurde, kann der Senat nicht beurteilen. Denn das FG der ersten Instanz hat den Wert der den Arbeitnehmern zugewandten Leistungen fehlerhaft berechnet.

  • Im zweiten Rechtsgang wird das FG zu prüfen haben, wie viele Personen in welcher Funktion an dem Mitarbeiterfest teilgenommen haben, und den Teilnehmerkreis belastbar zu quantifizieren. Zudem hat es die Gesamtkosten für diese Betriebsveranstaltung um sämtliche Aufwendungen, die nur dem äußeren Rahmen dienten und daher bei den Teilnehmern der Betriebsveranstaltung keinen unmittelbaren Wertzugang bewirkten, zu bereinigen.

  • Hierzu besteht zumindest betreffend die Bewirtungskosten für Personen, die mit der Ausgestaltung der Betriebsveranstaltung befasst waren, und die von der Klägerin getragenen Reisekosten anlässlich der Betriebsveranstaltung Anlass. Denn insoweit bereichern die Aufwendungen des Arbeitgebers die teilnehmenden Mitarbeiter nicht.

Hinweis:

Das Urteil gilt für Betriebsveranstaltungen, die bis zum durchgeführt wurden. Für die Zeit danach ist gesetzlich geregelt, dass die auf die Begleitperson entfallenden Aufwendungen dem jeweiligen Arbeitnehmer zuzurechnen sind. Zudem sind alle Kosten für den sog. äußeren Rahmen in die Gesamtkosten einer Betriebsveranstaltung einzubeziehen. Auch wurde die 110 €-Freigrenze in einen 110 €-Freibetrag umgewandelt, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 5 EStG.

Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:

Die Anbringung eines Einspruchs bei einer anderen als der zuständigen Behörde ist nach § 357 Abs. 2 Satz 4 AO nur dann unschädlich, wenn der Einspruch vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist der zuständigen Behörde übermittelt wird. Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass die Einspruchsfrist gemäß der "Unschädlichkeitsklausel" des § 357 Abs. 2 Satz 4 AO (schon) gewahrt wird, wenn das unzuständige Finanzamt den Einspruch innerhalb der Einspruchsfrist an das zuständige Finanzamt absendet. Denn übermittelt i.S. des § 357 Abs. 2 Satz 4 AO werde ein Einspruch bereits im Zeitpunkt Vornahme der Übermittlungshandlung (Absenden durch das unzuständige Finanzamt an das zuständige Finanzamt) und nicht erst im Zeitpunkt des Übermittlungserfolgs (Eingang beim zuständigen Finanzamt).

Dem ist der BFH nicht gefolgt, sondern hat vielmehr offengelassen, ob er dieser Rechtsauffassung (im Ernstfall) folgen könnte. Der herrschenden Meinung entspricht diese Rechtsauffassung wohl auch nicht.

Zudem ist auf Folgendes hinzuweisen: Das Risiko der rechtzeitigen Übermittlung des fehlerhaft angebrachten Einspruchs trägt der Steuerpflichtige. Denn die fehlerhafte Anbringung eines Rechtsbehelfs begründet nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichte des Bundes regelmäßig die Annahme subjektiv vorwerfbarer Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt. Das steht der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen der Versäumung der Einspruchsfrist in der Regel entgegen.

Andererseits sind Finanzbehörden jedoch grundsätzlich verpflichtet, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Einspruchsschreiben erkennbare Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Hat die unzuständige Behörde die Übermittlung schuldhaft verzögert oder überhaupt unterlassen, kann daher im Falle willkürlichen, offenkundig nachlässigen und nachgewiesenen Fehlverhaltens der Behörde auch bei einer Fehladressierung des Einspruchsschreibens durch den Steuerpflichtigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (ausnahmsweise) in Betracht kommen (, BStBl II 2002, 835).

Lesen Sie zur 110 €-Freigrenze auch den Blog-Beitrag unseres Bloggers Christian Herold.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Nachricht am um den "Hinweis" ergänzt.

Fundstelle(n):
NWB DAAAH-55231