Online-Nachricht - Freitag, 05.06.2020

Verfahrensrecht | Form und Ort der Akteneinsicht im gerichtlichen Verfahren (FG)

Die Einsicht in Papierakten ist grundsätzlich nur in den Räumen eines Gerichts oder einer Behörde unter Aufsicht eines im öffentlichen Dienst stehenden Bediensteten möglich. Ein Anspruch auf Übersendung von Aktenkopien kann nicht aus Art. 15 Abs. 1 HS 2, Abs. 3 DSGVO hergeleitet werden ( Az. 2 K 770/17).

Hintergrund: Die Beteiligten können die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Beteiligte können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen, § 78 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 FGO. Werden Prozessakten in Papierform geführt, wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Die Akteneinsicht kann, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf gewährt werden, § 78 Abs. 3 Satz 1 und 2 FGO.

Sachverhalt: Nachdem der Vertreter des Beklagten die den Streitfall betreffenden Akten erst nach Aufforderung des Senats nach der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegt hat, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, ihm Akteneinsicht durch Übersendung der vollständigen Akten im Original oder in Kopie in seine Kanzleiräume zu gewähren. Zur Begründung verwies er auf „das Gebaren“ des Beklagten, angesichts dessen eine umfangreiche Recherche am Arbeitsplatz notwendig sei. Derartige Arbeiten in einem Gericht zu erledigen, sei ihm weder möglich noch zumutbar. Zudem sei bei den hamburgischen Gerichten ein Kopierer für Externe nicht vorhanden. Zudem stellte die Klägerin einen Antrag auf Übersendung vollständiger Kopien der Akten gemäß Art. 15 DSGVO.

Das FG Baden-Württemberg wies die Anträge ab:

  • Ein Rechtsanspruch auf die Übersendung von Akten oder die Überlassung vollständiger Kopien besteht nicht.

  • Form und Ort der Akteneinsicht wird durch § 78 Abs. 2 und 3 FGO ausdrücklich geregelt: Danach wird den Beteiligten Einsicht in die in Papierform geführten Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten "in Diensträumen" gewährt. Kanzleiräume eines Rechtsanwalts sind keine Diensträume.

  • Es kann offenbleiben, ob in begründeten Ausnahmefällen gleichwohl eine Aktenübersendung in Kanzleiräume in Betracht kommen kann. Denn im Streitfall liegen keine besonderen Gründe vor, die eine solche ausnahmsweise Aktenübersendung in die Kanzleiräume rechtfertigen. Zwar umfassen die Akten des Beklagten mittlerweile fünf Aktenordner. Hiervon entfällt ein erheblicher Teil jedoch auf die während des Gerichtsverfahrens gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die der Klägerin bereits vollständig vorliegen. In Anbetracht dessen liegt kein Aktenumfang vor, der eine Einsichtnahme in Diensträumen unzumutbar machen würde.

  • Auch der Vortrag der Klägerin, dass die Gerichte in Hamburg für Externe keine Kopien fertigen, gebietet die beantragte Aktenübersendung bzw. das Übersenden vollständiger Kopien nicht. Denn die Klägerin kann dem erkennenden Gericht nach Durchsicht der Akten eine Liste mit Aktenseiten vorlegen, die sie kopiert haben möchte. Soweit nicht von vornherein ersichtlich wäre, dass die Klägerin bereits im Besitz entsprechender Kopien oder Mehrfertigungen ist, würde der Senat dem entsprechenden Wunsch der Klägerin vollumfänglich entsprechen.

  • Darüber hinaus kann kein Anspruch auf Aktenübersendung in die Kanzleiräume aus § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO hergeleitet werden. Dies würde, wenn - wie im Streitfall - die Behördenakten in Papierform geführt werden, die Herstellung einer elektronischen Fassung der Papierakten und die Ermöglichung eines elektronischen Zugriffs auf diese Akten voraussetzen (vgl. BT-Drucks 18/9416, S. 57). Insofern ist die Regelung nicht dahin zu verstehen, dass die Finanzgerichte eine Pflicht trifft, Behördenakten zu digitalisieren.

  • Schließlich ergibt sich auch aus Art. 15 Abs. 1 HS 2, Abs. 3 DSGVO kein Anspruch auf Übersendung von Aktenkopien: Denn Prozessordnungen wie die FGO gehen auch weiterhin dem Datenschutzrecht und damit auch dem Auskunftsrecht aus Art. 15 DSGVO vor.

Hinweis:

Der Volltext des Urteils ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Baden-Württemberg veröffentlicht. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze.

Quelle: FG Baden-Württemberg online (il)

Fundstelle(n):
NWB PAAAH-50169