BGH Beschluss v. - 1 StR 370/19

Selbstjustiz eines Familienoberhaupts als Mordmerkmal ʺaus niedrigen Beweggründenʺ

Gesetze: § 57a Abs 1 S 1 Nr 2 StGB, § 211 Abs 2 StGB, § 212 StGB

Instanzenzug: LG Memmingen Az: 113 Js 18017/17 - 1 Ks

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes an der Ehefrau des Angeklagten E.   S.     jeweils zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; allein beim Angeklagten S.    S.     hat das Landgericht auf der Grundlage von zwei Mordmerkmalen (der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe) die besondere Schwere der Schuld festgestellt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten S.    S.     hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel wie das des Mitangeklagten E.   S.    , mit welchem ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts beanstandet wird, unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Das Urteil hält im Rechtsfolgenausspruch, soweit es den Angeklagten S.    S.     betrifft, der sachlichrechtlichen Prüfung nicht vollumfänglich stand. Zwar ist das Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 StGB) rechtsfehlerfrei festgestellt; indes ist das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe nicht belegt, was zum Wegfall der Feststellung der besonderen Schuldschwere führt.

3a) Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, das heißt in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 150/19 Rn. 8; vom - 5 StR 399/19 Rn. 8; vom - 1 StR 422/18 Rn. 20; vom - 1 StR 260/18 Rn. 5 und vom - 3 StR 149/03 Rn. 4; Urteile vom - 1 StR 351/17 Rn. 10; vom - 2 StR 656/13 Rn. 6; vom - 3 StR 425/11 Rn. 14 und vom - 3 StR 346/11 Rn. 10). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist ( Rn. 14 und vom - 3 StR 346/11 Rn. 10).

4Entbehrt das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als ʺniedrigʺ zu qualifizieren (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 150/19 Rn. 8 und vom - 1 StR 422/18 Rn. 20). Der Feststellung, der Täter habe dem Opfer das Lebensrecht abgesprochen, es vernichten wollen und sich damit zur Selbstjustiz aufgeschwungen, kommt für sich allein kein über § 212 StGB hinausgehendes Gewicht zu. Hierdurch wird lediglich die Eigenmächtigkeit der vorsätzlichen Tötung umschrieben, nicht aber, wie es für das Mordmerkmal ʺaus niedrigen Beweggründenʺ erforderlich wäre, ein besonderer Tötungsbeweggrund. Der rechtwidrigen Tat nach § 212 StGB wohnt bereits ein unerträgliches Missverhältnis inne. Daher kann nicht jede vorsätzliche Tötung, für welche sich weder ein nachvollziehbarer noch naheliegender Grund finden lässt, als Mord aus niedrigen Beweggründen angesehen werden ( Rn. 21; Urteil vom - 1 StR 234/05 Rn. 20).

5b) An diesen Grundsätzen gemessen hat das Landgericht niedrige Beweggründe nicht tragfähig begründet.

6aa) Es hat die niedrigen Beweggründe dadurch als erfüllt angesehen, dass der Angeklagte S.    S.     wie sein jüngerer Bruder befürchtet habe, dessen Ehefrau würde bei der bevorstehenden Trennung die drei minderjährigen Kinder mitnehmen und der Familie S.     vorenthalten. Ohnehin sei das Tatopfer dem Angeklagten S.    S.     ʺals ständiger Quell von Unfrieden innerhalb der Familie ein Dorn im Augeʺ gewesen (UA S. 143); auch als Familienoberhaupt habe es dem Angeklagten S.    S.     nicht zugestanden, sich in die Ehe seines jüngeren Bruders einzumischen. Dass der Angeklagte S.    S.    , der als ʺgut integrierter syrisch-orthodoxer Christʺ zu charakterisieren sei (UA S. 133), dennoch sich als Familienoberhaupt die Entscheidung über das Leben der     D.   , des Tatopfers, angemaßt habe, sei eine krasse Missachtung deren Lebensrechts; der Anlass stehe im krassen Missverhältnis zur Tat.

7bb) Es ist bereits zweifelhaft, ob diese drei miteinander zusammenhängenden Motive auch in ihrer Gesamtheit mehr als die Eigenmächtigkeit ausmachen, die bereits vom Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB erfasst wird. Das Gewicht etwa eines ʺEhrenmordsʺ (dazu nur Rn. 36, BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 46), welchen das Landgericht in der Tötung zurecht nicht gesehen hat, kommt ihnen nicht zu.

8Jedenfalls ist die vom Landgericht angenommene Motivlage durch die Beweiswürdigung nicht tragfähig belegt. Es hat aus einem körperlichen Übergriff auf D.   vom und dem Alltagsgeschehen geschlossen, dass der Angeklagte S.    S.     als Familienoberhaupt über D.   Tod entschieden habe. Dies erschöpft sich aber in einer bloßen Spekulation und reicht als Tatsachenfundierung nicht aus. Denn ungeachtet seiner vielleicht ansonsten dominanten Stellung liegt es nicht fern, dass S.    S.     der Tötungsabsicht seines mitangeklagten Bruders, der dessen von diesem in eine abseits gelegene Festhalle gelockte Ehefrau mit einem Kabelbinder von hinten erdrosselte, nur beigetreten ist. Das Landgericht hat im unmittelbaren Vorfeld der Tötung am für ein Übergewicht des Angeklagten S.    S.     bei Verabredung und Planung des Mordes keine geeigneten Hilfstatsachen festgestellt. Den weiteren Inhalt der Absprache zwischen dem Angeklagten E.    S.    , der die Tathandlung ausführte, und dem Angeklagten S.    S.    , der gemäß dem Tatplan (§ 25 Abs. 2 StGB) dafür gewichtige organisatorische Beiträge wie insbesondere das Zurverfügungstellen der Halle, die Vorbereitung zum Entsorgen des Leichnams sowie die Aufnahme der Neffen und Nichte während der Tatzeit in dessen Haus leistete und eingriffsbereit seinem Bruder beim Angriff zur Seite stand, hat das Landgericht nicht aufzuklären vermocht. Damit bleibt offen, von welchem der beiden Brüder die entscheidende Initiative zur Tötung D.    ausging.

9c) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang Feststellungen getroffen werden können, die das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe belegen könnten. Die Motivlage ist erschöpfend ausermittelt.

102. Dies zieht das Entfallen der Feststellung der besonderen Schuldschwere nach sich (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend). Es sind keine Umstände ersichtlich, die eine im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu begründende besondere Schuldschwere tragen könnten, zumal das Landgericht keine Beteiligung an der eigentlichen Tötungshandlung feststellen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 238/19 Rn. 7; vom - 3 StR 408/18 Rn. 5 und vom - GSSt 2/94 Rn. 36, BGHSt 40, 360, 370; Urteile vom - 5 StR 524/15 Rn. 9, BGHSt 61, 193, 195 f.; vom - 1 StR 595/94 Rn. 28, BGHSt 41, 57, 62 und vom - 5 StR 60/14 Rn. 8, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 29).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:121119B1STR370.19.0

Fundstelle(n):
PAAAH-49295