BGH Beschluss v. - 1 StR 518/19

Lückenhafte Beweiswürdigung bei fehlenden Angaben zur Einlassung des Angeklagten

Gesetze: § 243 Abs 5 S 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, § 357 S 1 StPO, § 431 Abs 1 S 1 StPO, § 431 Abs 3 StPO

Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth Az: 356 Js 25662/17 - 7 KLsnachgehend Az: Ws 718/21 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in fünf tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Einziehung von Tatmitteln angeordnet. Zudem hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet, gegen die Einziehungsbeteiligte          H.         GmbH & Co. KG in Höhe von 2.974.557,27 € und gegen die nicht revidierende Einziehungsbeteiligte          G.          Ltd. in Höhe von 1.530.610 €. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen des Angeklagten und der Einziehungsbeteiligten         H.       GmbH & Co. KG haben Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Aufhebung des Urteils ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die nicht revidierende Einziehungsbeteiligte zu erstrecken.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts ließen der Angeklagte und seine gesondert verfolgte Ehefrau K.    R.     als verantwortlich Handelnde der Einziehungsbeteiligten von der L.        GmbH, einem Hersteller für Arzneimittel, insgesamt fünf Testchargen der Produkte „    “, „         “ und „    “ herstellen und – teilweise über die Einziehungsbeteiligte        G.        Ltd. mit Sitz in Z.    – an die Einziehungsbeteiligte        H.       GmbH & Co. KG liefern. Der Einkaufspreis pro Phiole (3 ml) betrug durchschnittlich weniger als 7 €. Der Angeklagte verkaufte von 2015 bis 2018 mindestens 9.858 Phiolen unter der Bezeichnung „    “ und „     “ an Therapeuten und andere Abnehmer in Deutschland und im weltweiten Ausland zu einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 302,03 € pro Phiole. Der Angeklagte bestimmte – was die betroffenen Verkehrskreise (Endkunden, Ärzte und Therapeuten) auch so verstanden haben – die veräußerten Produkte dazu, als Heilmittel auch und insbesondere bei Krebsleiden im Endstadium, Autismus sowie bei anderen Krankheiten eingesetzt zu werden. Die Produkte waren nicht als Arzneimittel zugelassen und wurden vom Angeklagten und seiner Ehefrau über die         H.       GmbH & Co. KG als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Sie haben – über einen Placebo-Effekt hinaus – keinen medizinischen Nutzen. Sämtliche Phiolen „    “ und „   “ enthielten Ethanol in einer Konzentration zwischen jeweils 1,2 und 2,1 %, das Produkt „      “ in einer Konzentration von 0,8 %. Auf der Verpackung fehlten Angaben über etwaige Alkoholgehalte.

II.

3Zu Lasten des Angeklagten liegt ein durchgreifender Rechtsfehler vor, da die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich das Landgericht die Überzeugung von den Taten verschafft hat, rechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Sie ist lückenhaft, weil jegliche Angaben dazu fehlen, ob und wie sich der Angeklagte zur Sache eingelassen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 403/14 Rn. 2 und vom – 5 StR 444/19 Rn. 4).

4Unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel ist regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 403/14 Rn. 3 mwN und vom – 5 StR 444/19 Rn. 4). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können.

5In den Urteilsgründen fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten. Es wird nicht einmal mitgeteilt, ob der Angeklagte sich überhaupt zu dem Anklagevorwurf geäußert hat. Soweit sich den Gründen der angefochtenen Entscheidung entnehmen lässt, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten auf seinen Angaben beruhen, lässt dies nicht den Schluss zu, dass der Angeklagte über Erklärungen zur Person hinaus keine Angaben zur Sache gemacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 403/14 Rn. 4 und vom – 5 StR 444/19 Rn. 5). Infolgedessen ist das Urteil mangels einer durch das Revisionsgericht überprüfbaren Beweiswürdigung aufzuheben.

III.

6Die Revision der gemäß § 424 StPO am Strafverfahren beteiligten          H.      GmbH & Co. KG (Einziehungsbeteiligte), mit der sie sich gegen die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.974.557,27 € wendet, hat ebenfalls Erfolg. Die Aufhebung des Urteils auf die Revision des Angeklagten entzieht zugleich der sie treffenden Einziehungsanordnung die Grundlage.

7Zwar unterliegt der Schuldspruch auf die Revision der Einziehungsbeteiligten gemäß § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO nicht der revisionsgerichtlichen Prüfung, weil die Einziehungsbeteiligte keine Einwendungen gegen den Schuldspruch vorgebracht hat und die Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO abgelaufen ist. Jedoch ist § 357 Satz 1 StPO auf Einziehungsbeteiligte analog anzuwenden, die zwar Revision gegen die Anordnung der Einziehung eingelegt haben, aber mit Einwendungen gegen den Schuldspruch ausgeschlossen sind (vgl. Rn. 23 mwN).

IV.

8Die Aufhebung ist demgemäß auch entsprechend § 357 Satz 1 StPO auf die nicht revidierende Einziehungsbeteiligte           G.          Ltd. zu erstrecken (zur entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf Einziehungsbeteiligte vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 551/18 Rn. 31 und vom – 3 StR 286/18 Rn. 15 mwN).

V.

9Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

101. Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen ist fraglich, ob die Annahme der Bedenklichkeit des Arzneimittels im Sinne von § 5 Abs. 2 AMG ausreichend belegt ist. Das Landgericht hat die Bedenklichkeit – sachverständig beraten – maßgeblich auf den Alkoholgehalt gestützt, dabei jedoch keine konkreten Feststellungen zu den gesundheitlichen Folgen bei einer Einnahme von 1 ml des Mittels entsprechend der Dosierungsempfehlung in der Packungsbeilage getroffen. Bei einer festgestellten maximalen Ethanolkonzentration von 2,1 % ergäbe sich bei – der empfohlenen – Einnahme von 1 ml des Mittels eine Alkoholmenge von lediglich 0,021 ml. Vor diesem Hintergrund wäre auch ein entsprechender Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Bedenklichkeit des Arzneimittels genauer in den Blick zu nehmen.

112. Angesichts des Umstandes, dass den Mitteln – über einen Placebo-Effekt hinaus – keine medizinische Wirkung zukommt, kommt auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Betruges (§ 263 StGB) in Betracht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:120220B1STR518.19.0

Fundstelle(n):
AAAAH-49287