Online-Nachricht - Freitag, 22.05.2020

Verfahrensrecht | Verwertung der Urkunde über die vorgerichtliche Vernehmung eines Zeugen, der sich vor dem FG auf ein Auskunftsverweigerungsrecht beruft (BFH)

Das FG darf die Urkunde über die vorgerichtliche Vernehmung eines seinerzeit ordnungsgemäß belehrten Zeugen auch dann verwerten, wenn der Zeuge sich vor dem FG auf ein Auskunftsverweigerungsrecht beruft (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Der Bruder des Klägers suchte die Zollverwaltung auf und erklärte dort, der Kläger ist seit 20 Jahren auch gewerblich tätig. Daraufhin begann eine Steuerfahndungsprüfung gegen den Kläger. Die Steuerfahndung vernahm erneut den Bruder sowie mehrere Personen, die sie als Auftraggeber des Klägers ansah. Ausweislich der Vernehmungsprotokolle haben diese Personen durchweg zugestanden, den Kläger mit Verputzleistungen bzw. der Zurverfügungstellung eines Gerüsts beauftragt zu haben. Entgeltzahlungen haben sie aber mit Ausnahme eines Betrags von "250 bis 300 €" nur für die Zeit außerhalb der Streitjahre eingeräumt.

Das FG lud den Bruder als Zeugen zur mündlichen Verhandlung. Dieser machte aber von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger, das FG hat die Protokolle über die vorgerichtlichen Vernehmungen des B verwertet, obwohl dieser sich vor dem FG auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen hatte. Ferner rügen sie mangelnde Sachaufklärung und eine unzureichende Berücksichtigung des Akteninhalts.

Der BFH ließ die Revision zu und führte aus:

  • Die vom FG zur Herleitung der Höhe der Schätzung angestellten Erwägungen sind teilweise widersprüchlich und lückenhaft, so dass die Sache zur Vornahme einer neuen Schätzung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden musste. Die Würdigung zur gewerblichen Tätigkeit weist keine Rechtsfehler auf.

  • Die Berufung des Bruders auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 4 AO hat in Bezug auf dessen vorgerichtliche Vernehmungen kein Verwertungsverbot bewirkt.

  • Allerdings hat der BFH () zum Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr eigener Strafverfolgung entschieden, dass frühere Aussagen, die ein Zeuge vor einem vernehmenden Beamten oder ohne Belehrung vor einem Richter gemacht hatte, nach einer späteren Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht nicht verwertet werden dürfen. Zur Begründung hat sich der BFH wesentlich auf die Vorschrift des § 252 StPO berufen, anordnet, dass die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, nicht verlesen werden darf.

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Den Anlass für Steuerfahndungsprüfungen geben häufig „enttäuschte“ Bekannte und Verwandte. Deren Aussagen im Rahmen von vorgerichtlichen Vernehmungen können später im Finanzgerichtsprozess als Urkunden eingeführt werden, sollten sich diese Zeugen nunmehr auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach §§ 101, 103 AO berufen. Denn anders als noch zu Zeiten des § 176 RAO sind Zeugen auch in diesen nichtrichterlichen Vernehmungen über die Aussageverweigerungsrechte zu belehren (§§ 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Satz 2 AO). Die vorliegende BFH-Entscheidung stellt dies, ohne dass der Große Senat angerufen werden musste, nunmehr erstmalig klar.

In der Sache krankte die Schätzung des FG der Höhe nach an einer Vielzahl von Begründungsfehlern. Eine ausreichende Begründungstiefe verlangt der BFH schließlich auch im Fall der griffweisen Schätzung (, Rz 50 und , Rz 45).

Soweit sich das FG die Schätzung bzw. Unterlagen des FA zu eigen macht, muss es deshalb nachvollziehbar und widerspruchlos begründen, warum es ebenfalls zu diesen Ergebnissen kommt. Bezugnahmen nach § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO dürfen nicht den Kern der eigenen Entscheidung des FG als Tatsacheninstanz ersetzen. Vorliegende Unterlagen sind auch bei einer griffweisen Schätzung auszuwerten.

Quelle: , NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
NWB AAAAH-49141