Online-Nachricht - Donnerstag, 23.01.2020

Verfahrensrecht | Unterbrechung des Einspruchsverfahrens durch Insolvenz (BFH)

Einspruchsverfahren werden in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Einspruchsführers unterbrochen. Mangels gesetzlicher Regelung in der AO kann das FA ein Einspruchsverfahren, wenn die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer bereits vor der Insolvenzeröffnung gezahlt wurde, erst nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens fortsetzen (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht, § § 240 ZPO.

Sachverhalt: Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen des X. X hatte in seinen Einkommensteuererklärungen 2003 und 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und für die Streitjahre 2005 und 2007 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Arzt erklärt. Das FA setzte die Einkommensteuer zunächst erklärungsgemäß fest. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2007 legte X im Februar 2009 fristgemäß Einspruch ein.

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung stellte sich heraus, dass X in den Jahren 2004 bis 2007 Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit nicht erklärt hatte. Daraufhin erließ das FA am geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2004, 2005 und 2007. X zahlte die Steuernachforderungen vollständig. Gegen die Änderungsbescheide legte er mit Schreiben vom Einspruch ein.

Im September 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des X eröffnet.

Ende Oktober 2012 forderte das FA die Klägerin auf, mitzuteilen, ob sie die Einsprüche des X gegen die Steuerfestsetzungen der Streitjahre aufrechterhalte. Es kündigte an, nach Aktenlage über die Einsprüche entscheiden zu entscheiden, wenn bis Ende November 2012 keine Stellungnahme erfolgen würde.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass die Einspruchsverfahren aufgrund der Insolvenzeröffnung analog § 240 ZPO unterbrochen worden sind. Eine Aufnahme der unterbrochenen Einspruchsverfahren durch das FA sei erst nach dem Prüfungstermin vor dem Insolvenzgericht möglich. Vorsorglich teilte sie mit, dass sie die Einsprüche aufrechterhalte. Da sich der Insolvenzschuldner in Haft befinde und wesentliche Teile seiner Unterlagen von der Steuerfahndung beschlagnahmt worden seien, könne sie erst nach deren Freigabe beurteilen, inwieweit die Einsprüche begründet seien.

Das FA entschied dennoch über die Einsprüche des X. Hiergegen erhob die Klägerin isolierte Anfechtungsklagen und stellte hilfsweise den Antrag auf Feststellung, dass die Einspruchsverfahren gemäß § 240 ZPO analog unterbrochen worden seien.

Das FG der ersten Instanz () hob die Einspruchsentscheidungen auf und stellte fest, dass die Einspruchsverfahren betreffend die Einkommensteuer für 2003 bis 2005 und 2007 in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO unterbrochen worden seien (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 23.9.2016).

Der BFH wies die Revision überwiegend zurück:

  • Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidungen und der Antrag auf Feststellung der Unterbrechung der Einspruchsverfahren analog § 240 ZPO zulässig sind.

  • Darüber hinaus hat das FG zu Recht entschieden, dass die Einspruchsentscheidungen über die zulässigen Einsprüche des Insolvenzschuldners rechtswidrig waren, da sie während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren analog § 240 ZPO ergangen sind.

  • Einspruchsverfahren werden in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Einspruchsführers unterbrochen.

  • Die Unterbrechung des Einspruchsverfahrens durch die Insolvenzeröffnung dauert nach § 240 ZPO analog solange fort, bis das Verfahren nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird.

  • Mangels gesetzlicher Regelung wurden die unterbrochenen Einspruchsverfahren nicht vom FA durch Erlass der Einspruchsentscheidungen aufgenommen. Die Regelungen über die Aufnahme eines Aktivprozesses gemäß § 85 InsO sind bezüglich der Aufnahme des Einspruchsverfahrens durch das FA nicht analog anwendbar.

  • Das FA kann ein Einspruchsverfahren, wenn die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer bereits vor der Insolvenzeröffnung gezahlt wurde, erst nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens fortsetzen.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
NWB VAAAH-40567