BGH Beschluss v. - VI ZR 377/18

Schadensersatzklage gegen eine Kfz-Haftpflichtversicherung wegen Zerstörung eines abgestellten Luxusfahrzeuges bei einem vom versicherten Fahrzeug ausgehenden Tiefgaragenbrand: Behauptung einer nur vermuteten fachgerechten Reparatur eines Vorschadens durch den Geschädigten und Zeugenbeweisantritt

Leitsatz

Behauptet der Geschädigte eines Verkehrsunfalles, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann ihm nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin liegt weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 287 Abs 1 ZPO, § 373 ZPO, § 7 Abs 1 StVG

Instanzenzug: Az: I-18 U 148/17 Beschlussvorgehend Az: 2 O 372/16 Urteil

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Ersatz materiellen Schadens nach einem Fahrzeugbrand in einer Tiefgarage in Anspruch.

2Nach dem Inhalt eines schriftlichen Vertrages vom erwarben der Kläger und seine Ehefrau einen Maserati Quattroporte, Erstzulassung Juli 2004, Gesamtfahrleistung 80.000 km, zum Kaufpreis von 25.500 € von einem Herrn S. Der Kläger verbrachte das Fahrzeug mit einem Überführungskennzeichen in eine Tiefgarage. Dort stellte er es ab und bewegte es in den Folgemonaten nur gelegentlich. Am stellte der Schwiegersohn des Klägers gegen 16 oder 17 Uhr einen bei der Beklagten versicherten VW Bus neben dem Maserati ab. Ausweislich der Aufzeichnung einer Überwachungskamera geriet der VW Bus gegen 23.49 Uhr in Brand; in der Folge brannte auch der Maserati vollständig aus. Nach dem Abschlussvermerk der Polizei konnten keine Fremdeinwirkung oder vorsätzliches Verhalten festgestellt werden. Aufgrund der Videoaufzeichnungen dürfe als Brandursache ein technischer Defekt des VW-Busses anzusehen sein. Die Ehefrau trat sämtliche ihr gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche an den Kläger ab.

3Der Kläger begehrt Zahlung von 25.500 €. Der Verkehrswert des Maserati habe dem von ihm gezahlten Kaufpreis entsprochen. Der beklagte Haftpflichtversicherer hat ein Sachverständigengutachten vom vorgelegt, aus dem sich ein früherer Unfallschaden vom ergibt. Der Sachverständige, der den Maserati ausweislich des Gutachtens am in unrepariertem Zustand besichtigt hatte, hat bei einem Wiederbeschaffungswert von 25.000 €, einem Restwert von 5.400 € und Reparaturkosten von 41.339,76 € (jeweils brutto) einen wirtschaftlichen Totalschaden attestiert und angeraten, von einer Instandsetzung abzusehen. Der Kläger hat behauptet, dass ihm ein Vorschaden nicht bekannt gewesen sei.

4Das Landgericht hat die Klage ab-, das Oberlandesgericht die hiergegen geführte Berufung des Klägers durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

5Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

61. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass es an hinreichend konkretem Vorbringen des Klägers zur Schadenshöhe fehle. Für die Schadenshöhe sei der Verkehrswert des zerstörten Pkw und nicht etwa ein vom Kläger gezahlter Kaufpreis maßgebend. Vor dem Hintergrund des von der Beklagten vorgelegten Sachverständigengutachtens über den Vorschaden habe es dem Kläger oblegen, zu einer fachgerechten Reparatur des Vorschadens und zum Verkehrswert des Maserati unmittelbar vor dem Brandschaden konkret vorzutragen. Die allgemeine Behauptung einer fachgerechten Reparatur ersetze nicht den gebotenen Sachvortrag zu den Details des Vorschadens und ihrer Reparatur. Da der Kläger weder eine Rechnung noch eine Reparaturaufstellung eines Fachbetriebs vorgelegt habe, habe er die getroffenen Maßnahmen im Einzelnen darlegen und durch Vernehmung der an der Reparatur beteiligten Zeugen unter Beweis stellen müssen. Es reiche nicht, pauschal eine fachgerechte Reparatur zu behaupten und dafür Zeugen zu benennen, die an den Reparaturmaßnahmen selbst nicht beteiligt gewesen sein sollen. Angesichts der nach dem Vorschaden verstrichenen Zeit bis zum Brand könne auch nicht unter Anknüpfung an das von der Beklagten vorgelegte Sachverständigengutachten ein Mindest-Verkehrswert festgesetzt werden. Vielmehr setze auch dies eingehenden Vortrag des Klägers zu den nach dem Vorschaden getroffenen Maßnahmen voraus.

72. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht mit diesen Ausführungen den Kläger in entscheidungserheblicher Weise in seinem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Das Berufungsgericht hat die an eine hinreichende Substantiierung des Klagevortrags zu stellenden Anforderungen überspannt und den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis zu Unrecht nicht erhoben.

8a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass es nach allgemeinen Regeln Aufgabe des Klägers ist, die Voraussetzungen eines Haftungstatbestandes, hier also das Entstehen und den Umfang eines Sachschadens im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG, darzulegen und zu beweisen (vgl. , BGH 71, 339, 347, juris Rn. 34; - VI ZR 36/76, VersR 1978, 865, juris Rn. 17 f.). Wenn der Beklagte den Umfang oder die Höhe eines Schadens mit der Begründung bestreitet, der Gegenstand sei bereits durch ein früheres Ereignis beeinträchtigt worden, verbleibt die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich beim Kläger (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 215/91, NZV 1992, 403 f., juris Rn. 12 f.). Zwar kommt dem Kläger insoweit § 287 ZPO zugute (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 115/89, DAR 1990, 224, juris Rn. 4), der dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegung erleichtert (vgl. , NJW-RR 1992, 792, juris Rn. 10; vom - VI ZR 530/16, NJW 2018, 864 Rn. 15). Auch für die Schadensschätzung nach dieser Vorschrift benötigt der Tatrichter aber greifbare Tatsachen, die der Geschädigte im Regelfall im Einzelnen darlegen und beweisen muss. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in der Form der Schätzung eines "Mindestschadens", lässt § 287 ZPO grundsätzlich nicht zu (vgl. , NJW 2018, 864 Rn. 15; vom - VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 17; vom - VI ZR 37/11, NJW 2012, 2267 Rn. 9; vom - VI ZR 138/03, NJW 2004, 1945, 1946 f., juris Rn. 15).

9b) Soweit der Geschädigte behauptet, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und die beschädigte Sache in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann es ihm jedoch nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Er ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin kann weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis gesehen werden (vgl. IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 7; Senatsurteil vom - VI ZR 31/94, NJW 1995, 1160, juris Rn. 17).

10Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab (vgl. IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 8). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (Senatsurteil vom - VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111, juris Rn. 13; , BGHZ 193, 159, juris Rn. 40; - III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 37; jeweils mwN).

11Das Risiko der Nichterweislichkeit verbleibt freilich beim Anspruchsteller.

12c) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis durch Vernehmung des Verkäufers S., ggf. ergänzend des in dem Sachverständigengutachten über den Vorschaden als damaliger Anspruchsteller ausgewiesenen T., nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, der Kläger hätte die unternommenen Reparaturmaßnahmen im Einzelnen darlegen und durch Vernehmung der an der Reparatur beteiligten Zeugen unter Beweis stellen müssen.

13d) Im Übrigen unterliegt die Berufungsentscheidung schon deshalb der Aufhebung, weil das Berufungsgericht von der Vernehmung der vom Kläger als Zeugen benannten Eheleute C. und seiner eigenen Ehefrau abgesehen hat. Der Kläger hat seine Ehefrau, den Zeugen C. und dessen Ehefrau zum Beweis der Tatsache benannt, dass der Maserati beim Kauf am in tadellosem Zustand gewesen sei. Der Zeuge C., der selbst einen Maserati fahre und viel von Maseratis verstehe, habe den Wagen mittels eines Messgerätes zur Prüfung von Spachtelauftrag auf Herz und Nieren geprüft und könne bestätigen, dass der Lack keine Zeichen von Nachlackierung aufgewiesen habe, keine Teile gespachtelt worden seien und die Spaltmaße gestimmt hätten. Diese Beweisbehauptung durfte das Berufungsgericht ausgehend von dem o.g. Grundsatz, nach dem es vom Kenntnisstand einer Partei abhängt, wie weit sie ihren Sachvortrag substantiieren muss ( IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 8), nicht von vornherein als zu pauschal ansehen.

14e) Dies gilt zumal angesichts des jedenfalls in Betracht zu ziehenden Mindestschadens, dessen Nichtberücksichtigung die Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls zu Recht als gehörswidrig rügt. Ausweislich des von der Beklagten selbst vorgelegten und damit zum Gegenstand ihres Sachvortrags gemachten Sachverständigengutachtens belief sich der Restwert des unreparierten Maserati am auf brutto 5.400 €. Ausgehend von diesem Restwert am ist das unter Beweis gestellte Wissen der Zeugen C. und der Ehefrau des Klägers über den zumindest äußerlichen Zustand des Maserati am nicht von vornherein ungeeignet, zumindest einen Mindestschaden zu bestimmen. Nach den Feststellungen stand der mit einem Überführungskennzeichen geholte Maserati seither nämlich überwiegend in der Tiefgarage und wurde nur noch selten bewegt. Es gibt daher keine Anhaltspunkte, die einen nennenswerten weiteren Wertverlust bis zum Brandereignis am nahelegten.

15f) Der Gehörsverstoß ist erheblich. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich das Berufungsgericht nach Vernehmung der genannten Zeugen eine Überzeugung (§ 287 ZPO) von der erfolgten Reparatur des Vorschadens verschafft oder wenigstens zur Schätzung eines abgrenzbaren Mindestschadens in der Lage gesehen hätte (vgl. zu dieser Verpflichtung , NJW 2013, 2584 Rn. 20).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:151019BVIZR377.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 393 Nr. 6
VAAAH-36125