Online-Nachricht - Donnerstag, 21.11.2019

Umsatzsteuer | Eingeschränkte Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes bei gemeinnützigen Einrichtungen (BFH)

Betreibt ein gemeinnütziger Verein neben einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung ein der Öffentlichkeit zugängliches Bistro, in dem auch Menschen mit Behinderung arbeiten, unterliegen die Gastronomieumsätze des Bistros nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG). In der Folge werden viele gemeinnützige Einrichtungen entgegen derzeit allgemein geübter Praxis prüfen müssen, ob sie für die Umsätze ihrer Zweckbetriebe weiterhin den ermäßigten Steuersatz anwenden können (, veröffentlicht am ).

Hintergrund: Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG und das Verhältnis zur MwStSystRL

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer für die Leistungen der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke i.S. der §§ 51 bis 68 AO verfolgen. Das gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (wiGB) ausgeführt werden. In § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 3 UStG ist eine Rückausnahme (also die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes) für Zweckbetriebe (ZB) geregelt, wenn der ZB nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden (1. Alternative), oder wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihrer in den §§ 66 bis 68 AO bezeichneten ZB die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht (2. Alternative).

Das EU-Recht beschränkt die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Leistungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG besteuert demgegenüber grds. alle Leistungen der begünstigten Körperschaft mit dem ermäßigten Steuersatz. Die Steuerbegünstigung geht damit über die entsprechenden Regelungen der MwStSystRL hinaus. Die Vorschrift ist daher teilweise unionsrechtswidrig (vgl. ). Weiterführende Informationen finden Sie bei Mann im Umsatzsteuer Kommentar Online.

Sachverhalt: Der Kläger ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung des Wohlfahrtswesens. Die Satzungszwecke werden durch den Betrieb einer anerkannten Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) erfüllt.

Seit 2007 betreibt der Kläger zudem ein Bistro und eine öffentliche Toilette, die nicht Betriebsteil der WfbM sind. Die Ausstattung von drei neu geschaffenen Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt wurde mit drei personenbezogenen Bewilligungsbescheiden des Landesamts für Soziales und Versorgung (Integrationsamt) zu 100 % gefördert. Sowohl die Lohnkosten der im Bistro beschäftigten ehemaligen Langzeitarbeitslosen als auch die Lohnkosten der aus dem Arbeitsbereich der WfbM ausgegliederten und nunmehr in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis beschäftigten Menschen mit Behinderung wurden durch öffentliche Mittel gefördert. Der Kläger unterwarf die Umsätze aus dem Betrieb des Bistros und der öffentlichen Toilette dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG.

Das FA gelangte zu der Auffassung, dass es sich bei dem Bistro um einen wiGB handele. Folglich sei der allgemeine Steuersatz anzuwenden. Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg ().

Der BFH hebt das Urteil des FG auf und verweist die Sache zurück:

  • Bei der Auslegung von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ist das dieser Steuersatzermäßigung zugrunde liegende Unionsrecht zu beachten.

  • Demnach dürfen die Mitgliedstaaten "nicht auf alle gemeinnützigen Leistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden, sondern nur auf diejenigen, die von Einrichtungen erbracht werden, die sowohl gemeinnützig als auch für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind" (EuGH, Urteil Kommission/Frankreich v. - C 492/08, Rz 43; , Rz 22).

  • § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG ist nicht mit Unionsrecht vereinbar, weil einer unionsrechtskonformen Auslegung des Satzes 1 der Wortlaut der Vorschrift entgegen steht (vgl. , Rz 20; v. - V R 11/14, Rz 46). Außerdem sind § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 2 und 3 UStG, soweit sie zur Anwendung des Regelsteuersatzes führen, weit auszulegen.

  • Für die streitigen Leistungen des Klägers - der insoweit einen wiGB i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 2 UStG unterhält - sind die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 3 UStG nicht erfüllt.

  • Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 3 1. Alt. UStG liegen nicht vor. Der Kläger erzielte in erster Linie zusätzliche Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt wurden, da diese für den Satzungszweck des Klägers nicht unerlässlich waren.

  • Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 3 2. Alt. UStG liegen nicht vor. Der satzungsmäßige Zweck des Klägers war im Streitfall die Unterstützung von hilfsbedürftigen Personen. Der Verkauf von Gastronomieleistungen und die Zurverfügungstellung der öffentlichen Toilette haben zwar der Verwirklichung dieser Zwecke gedient; "mit diesen Leistungen" werden jedoch nicht die satzungsmäßigen Zwecke des Klägers "selbst verwirklicht". Denn die streitigen Leistungen dienen in erster Linie den Zwecken der Verbraucher bzw. Nutzer. Begünstigt wären nur Leistungen gegenüber den Personen mit Behinderung, aber nicht solche Leistungen, an deren Erbringung Arbeitnehmer mit Behinderung des Integrationsunternehmens teilhaben.

  • Im Ergebnis unterliegen die Umsätze des Bistros und der öffentlichen Toilette grds. dem allgemeinen Umsatzsteuersatz; denn die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG sind nicht erfüllt. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, weil nicht beurteilt werden kann, ob der ermäßigte Steuersatz teilweise aus anderen Gründen anzuwenden ist.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Th. Nacke, Richter am BFH

Die Entscheidung zeigt auf, wie schnell eine wirtschaftliche Betätigung einer gemeinnützigen Einrichtung trotz Vergleichbarkeit mit einem Inklusionsbetrieb nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Maßgeblich für die Entscheidung war letztlich die unionsrechtliche Vorgabe, dass mit den Leistungen nicht die satzungsmäßigen Zwecke der gemeinnützigen Institution verwirklicht wurden.

Der EuGH hat in der Sache entschieden, dass nur die gemeinnützigen Leistungen einem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen dürfen, die von Einrichtungen erbracht werden, die sowohl gemeinnützig als auch für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind. Andere als gemeinnützige Leistungen fallen daher unionsrechtlich aus dem Anwendungsbereich der Steuersatzermäßigung heraus.

Dies ist im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung oder teleologischen Reduktion bei Anwendung der nationalen Regelungen zu beachten, so dass nicht originär gemeinnützige Leistungen (wie z.B. der Verkauf von Speisen, Getränken etc. an nicht vom gemeinnützigen Zweck der Einrichtung erfasste Personen, z.B. Laufkundschaft) auch nicht ermäßigt besteuert werden können. Dies kann weitreichende Folgen für betroffene Einrichtungen haben.

Eine entsprechende Prüfung der Leistungen solcher Einrichtungen sollte daher vorgenommen werden. Die Vielseitigkeit von betroffenen Einrichtungen reicht von Cafés bis zu Fahrradwaschanlagen, die von gemeinnützigen Einrichtungen betrieben werden.

Quelle: sowie BFH-Pressemitteilung Nr. 76 vom ; NWB Datenbank (ImA)

Fundstelle(n):
NWB NAAAH-35695