BGH Urteil v. - 1 StR 620/18

Wirtschaftlicher Vorteil bei einer Hinterziehung von Tabaksteuer

Leitsatz

Ein der Einziehung unterliegender wirtschaftlicher Vorteil liegt bei einer Hinterziehung von Tabaksteuer nur vor, soweit sich die im Wert der Tabakwaren verkörperte Steuerersparnis im Vermögen des Täters widerspiegelt.

Gesetze: § 73 Abs 1 StGB, § 73c StGB, § 370 Abs 1 Nr 3 AO, § 23 Abs 1 S 1 TabStG

Instanzenzug: LG Lübeck Az: 6 KLs 6/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schmuggels zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.448.928 € angeordnet.

2Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet.

I.

3Nach den Feststellungen des Landgerichts veranlasste der Angeklagte den für sein Transportunternehmen S.               als Fahrer tätigen – bereits rechtskräftig vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochenen –     Sk.     dazu, am mit einem LKW von R.    (Lettland) auf dem Seeweg nach L.               zu fahren, um geladene Ware von dort weiter in die Niederlande zu verbringen. Anders als in den Frachtpapieren angegeben – im Frachtbrief war die Ladung unzutreffend als „26 PLT polygraphy“ bezeichnet – handelte es sich bei dem Transportgut, wie der Angeklagte wusste, um Kartons mit 9,36 Millionen unversteuerten Zigaretten, deren Packungen mit dem Markenzeichen              und dem Aufdruck „Duty free“ sowie englischen Warnhinweisen versehen waren. Während der Fahrt hielt der Angeklagte telefonisch und über SMS laufenden Kontakt zu dem Fahrer Sk.    und überwachte den Transport zusätzlich über GPS. Nachdem Sk.    am gegen 18.00 Uhr in L.                von der Fähre gefahren war, wurde der LKW von Beamten der Zollamtsinspektion kontrolliert. Die Zigaretten, für die nach der Berechnung des Landgerichts Tabaksteuer i.H.v. 1.448.928 €, Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. 349.379,07 € und Zoll i.H.v. 161.740,80 € zu entrichten gewesen wären, wurden vom Zoll sichergestellt und später eingezogen.

4Bereits zuvor hatte der Angeklagte vom Fahrer Sk.     am 15. und am 29. November sowie am drei vergleichbare Fahrten mit dem LKW von R.   (Lettland) über L.                in die Niederlande durchführen lassen, um unversteuerte Zigaretten zur Firma St.               in Si.    (Niederlande) zu verbringen. Bei allen Fahrten kam es dem Angeklagten darauf an, zumindest das für den Transport vereinbarte Entgelt in Höhe von rund 1.000 € nebst Umsatzsteuer, das die S.              dem Auftraggeber in Rechnung stellte bzw. stellen wollte, zu erhalten.

II.

51. Die Verfahrensrügen genügen bereits nicht den nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO geltenden Begründungsanforderungen und sind daher unzulässig; sie zeigen aber auch keinen den Angeklagten beschwerenden Verfahrensfehler auf.

62. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Abänderung des Schuldspruchs und hat auch zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg.

7a) Der Schuldspruch wegen gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1, § 370 Abs. 1 AO) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil er nicht von den Feststellungen getragen wird. Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte lediglich wegen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO) strafbar gemacht.

8Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen wurden durch das vom Angeklagten veranlasste Verbringen der unversteuerten Zigaretten von R.   (Lettland) nach L.                keine Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben hinterzogen. Einfuhrabgaben (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG, Art. 4 Ziff. 10 ZK) – namentlich Zoll und Einfuhrumsatzsteuer (vgl. Rn. 5 mwN; Jäger in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 373 Rn. 10 ff.) – fallen gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 der Verordnung Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK), Art. 274 f. der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. Nr. L 347 S. 1, § 21 Abs. 2 UStG nur an, wenn einfuhrabgabenpflichtige Waren von einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat und damit das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführt werden (vgl. auch Rn. 9 f.; Beschluss vom – 1 StR 613/14 Rn. 9 f.; Weidemann, wistra 2012, 49, 54), nicht aber, wenn – wie hier – die Waren von einem Mitgliedstaat der Zollunion (Lettland) in einen anderen Mitgliedstaat (Bundesrepublik Deutschland) verbracht werden (vgl. Rn. 10; Jäger in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, aaO, Rn. 21).

9Anhaltspunkte dafür, dass die Tabakwaren ihre Eigenschaft als Gemeinschaftsware auf dem Seeweg verloren haben könnten (vgl. Art. 3 Abs. 3, Art. 164 ZK, Art. 313 Abs. 3 Buchst. b, Art. 313a, Art. 313b ZK-DVO), sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Das Landgericht stellt nur fest, dass sich auf dem LKW, mittels dessen die Ware von R.  über L.                in die Niederlande verbracht werden sollte, „unversteuerte“ Zigaretten befanden; soweit es weiter ausführt, dass für die Zigaretten neben der deutschen Tabaksteuer Einfuhrumsatzsteuer und Zoll zu entrichten gewesen „wären“, handelt es sich lediglich um eine – von den Feststellungen nicht getragene – rechtliche Wertung.

10Der Senat schließt aus, dass das neue Tatgericht Feststellungen treffen könnte, die geeignet sind, eine Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1 Satz 1, § 370 Abs. 1 AO) zu tragen.

11b) Der Angeklagte hat sich auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO strafbar gemacht, weil er Zigaretten ohne Steuerzeichen ins Steuergebiet verbrachte und hierdurch die mit dem Verbringen der Zigaretten entstandene Tabaksteuer (§ 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG) verkürzt wurde (vgl. Jäger in Joecks/Jäger/Randt, § 370 Rn. 392 mwN; Ebner/Schlosser, PStR 2016, 118 ff.; Middendorp, ZfZ 2011, 197, 204; Allgayer/Sackreuther, PStR 2009, 44, 46 f.; a.A. Weidemann, ZfZ 2008, 97, 99; ders., wistra 2012, 1, 6; ders., wistra 2019, 122, 125; Hampel, ZfZ 1996, 358). Ob der Angeklagte durch sein Verhalten daneben auch den Straftatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht hat, bedarf keiner Entscheidung, weil der Angeklagte durch das Unterbleiben einer weiteren Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nicht beschwert sein kann und eine Tat nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO jedenfalls als mitbestrafte Nachtat hinter § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO zurückträte. Dies wäre der Fall, weil es sich bei der Nichtabgabe einer Steuererklärung über unversteuerte Tabakwaren um ein regelmäßig auftretendes Begleitgeschehen zur Sicherung der Vorteile aus der vorangegangenen pflichtwidrigen Unterlassung der Verwendung von Steuerzeichen (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO) handelt, das keinen zusätzlichen Unrechtsgehalt aufweist, sich gegen dasselbe Schutzgut – den staatlichen Steueranspruch – und denselben Geschädigten richtet und daher kein zusätzliches Strafbedürfnis begründet.

12Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil es sich bei der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) um den Grundtatbestand des gewerbsmäßigen Schmuggels nach § 373 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO handelt und sich der Angeklagte gegen den Tatvorwurf der Steuerhinterziehung nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

13c) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Die zugehörigen Feststellungen sind jedoch von dem Rechtsfehler nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

14d) Auch die von der Strafkammer getroffene Einziehungsentscheidung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand; der Ausspruch über die Einziehung entfällt.

15Der Angeklagte hat weder durch das pflichtwidrige Unterlassen der Verwendung von Steuerzeichen (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO) noch hätte er durch die pflichtwidrig unterlassene Abgabe einer Steuererklärung über die unversteuerten Zigaretten „etwas“ erlangt, was der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB unterläge.

16aa) Die strafrechtliche Vermögensabschöpfung richtet sich vorliegend gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB nach den durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom (BGBl. I 2017, 872) eingeführten und am in Kraft getretenen neuen Regelungen der §§ 73 ff. StGB.

17bb) Nach § 73 Abs. 1 StGB nF ist zwingend einzuziehen, was der Täter durch oder für die Tat erlangt hat. Ist die Einziehung des erlangten Gegenstandes nicht möglich, so ist nach § 73c Satz 1 StGB nF die Einziehung des Geldbetrages anzuordnen, der dem Wert des Erlangten entspricht ( Rn. 42 und vom – 3 StR 560/17 Rn. 6).

18„Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB nF ist jeder Vermögenswert, der dem Tatbeteiligten durch die rechtswidrige Tat zugeflossen ist, also alles, was in irgendeiner Phase des Tatablaufs in seine tatsächliche Verfügungsgewalt übergegangen und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist (st. Rspr.; vgl. Rn. 10; vom – 5 StR 623 und 624/17 Rn. 8 mwN; Beschluss vom – 2 StR 311/18 Rn. 8 mwN; BT-Drucks. 18/9525, S. 61 f.). Der Umfang des „erlangten Etwas“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB nF ist nach dem „Bruttoprinzip“ zu bemessen, d.h., dass grundsätzlich alles, was der Täter durch oder für die Tat erhalten oder was er durch diese erspart hat, ohne gewinnmindernde Abzüge einzuziehen ist (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 61; Rn. 25). Der Einziehung unterliegen damit nicht nur bestimmte Gegenstände wie bewegliche Sachen, Grundstücke oder dingliche und obligatorische Rechte, sondern auch geldwerte Vorteile, wie etwa Dienstleistungen oder ersparte Aufwendungen, sowie konkrete Chancen auf einen Vertragsabschluss bzw. die Verbesserung einer Marktposition (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 73 Rn. 20 mwN; Schmidt, Vermögensabschöpfung, 2. Aufl. S. 24 f., Rn. 90-95 mit Verweis auf BT-Drucks. 18/9525, S. 61 f.). Beim „Erlangen“ handelt es sich dabei um einen tatsächlichen Vorgang; auf die zivilrechtlichen Besitz- oder Eigentumsverhältnisse zwischen mehreren Tatbeteiligten kommt es nicht an (vgl. 5 StR 623 und 624/17 Rn. 8 mwN; Beschluss vom – 2 StR 311/18 Rn. 8 mwN; Urteile vom – 3 StR 157/15 Rn. 13; vom – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39 Rn. 19 und vom – 2 StR 504/08, BGHSt 53, 179 Rn. 3).

19Beim Delikt der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart (st. Rspr.; Rn. 18 mwN; Beschlüsse vom – 1 StR 244/18 Rn. 7; vom – 1 StR 118/16 Rn. 8; vom – 1 StR 239/10, wistra 2010, 406 und vom – 5 StR 371/00 Rn. 16 ff.; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 73 Rn. 20; Köhler, NStZ 2017, 497, 503 f.; Reh, wistra 2018, 414, 415). Dies gilt jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft und damit mehr als die bloße Tatbestandserfüllung voraussetzt.

20Im Hinblick auf den Charakter der Tabaksteuer als Verbrauch- bzw. Warensteuer (dazu Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., § 2 Rn. 47, § 18 Rn. 105 mwN) ergibt sich bei der Hinterziehung von Tabaksteuer ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren, auf die sich die Hinterziehung der Tabaksteuern bezieht, einen Vermögenszuwachs erzielt, beispielsweise in Form eines konkreten Vermarktungsvorteils. Offene Steuerschulden begründen hingegen – anders als das Landgericht meint – nicht stets über die Rechtsfigur der ersparten Aufwendungen einen Vorteil im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB. Maßgeblich bleibt immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt.

21cc) Der Angeklagte hat durch die Tat keine Steuerersparnis im vorgenannten Sinne erlangt. Denn er hat lediglich gegen das Versprechen eines – ihm tatsächlich nicht gezahlten – Entgelts für den Transport der unversteuerten Zigaretten gesorgt, ohne dass er einen wirtschaftlichen Vorteil in Form einer wegen der hinterzogenen Tabaksteuer einträglicheren Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich der Zigaretten aus der Tat gezogen hätte. Auch sonst ist dem Angeklagten durch die Tat kein messbarer Vermögensvorteil zugeflossen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:110719U1STR620.18.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 305 Nr. 10
NJW 2019 S. 10 Nr. 40
NJW 2019 S. 3012 Nr. 41
PStR 2019 S. 259 Nr. 11
wistra 2019 S. 451 Nr. 11
wistra 2019 S. 503 Nr. 12
TAAAH-29456