BSG Beschluss v. - B 13 R 259/17 B

Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Gehörsverletzung - Anhörungsmitteilung

Gesetze: § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: SG Landshut Az: S 10 R 575/15 A Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 6 R 570/16 Beschluss

Gründe

1I. Mit Beschluss vom hat das Bayerische LSG einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X verneint.

2Die Beklagte lehnte die Gewährung der begehrten Rente erstmals mit Bescheid vom sowie nach Auswertung eines in Bosnien am erstellten Gutachtens wiederholend mit Bescheid vom ab. Sie sah den Kläger ab , dem Tag der vorerst letzten stationären Aufnahme wegen seiner paranoid halluzinatorischen Psychose, als voll erwerbsgemindert an. Zu diesem Zeitpunkt seien aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

3Widerspruch und Klage dagegen blieben erfolglos. Das SG holte ein nervenärztliches Gutachten nach Aktenlage ein, wonach sich eine Erwerbsminderung bis zur Begutachtung in Bosnien nicht belegen lasse, zumal die festgestellte Erkrankung schubförmig auftrete. Das SG verneinte auf dieser Grundlage einen Anspruch des Klägers; die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente seien letztmals am erfüllt gewesen. Im nachfolgenden Berufungsverfahren hat der Kläger medizinische Unterlagen aus der Klinik in Nova Bila ab dem Jahr 2000 vorgelegt, in der der Kläger bis zum Jahr 2007 regelmäßig behandelt worden ist. Das LSG holte hierzu eine ergänzende Stellungnahme des Nervenarztes ein. Der Kläger nahm die Berufung in der mündlichen Verhandlung am zurück.

4Mit streitgegenständlichem Bescheid vom lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers ab. Neue ärztliche Unterlagen seien nicht vorgelegt worden. Klage und Berufung dagegen sind unter Bezugnahme auf die früheren Verfahren erfolglos geblieben.

5Der Kläger hat - vertreten durch seinen Schwager - gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Beschluss Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Zugleich hat er eine Vollmacht und einen bosnischen Bescheid des Zentrums für Sozialarbeit vom über eine finanzielle Hilfe vorgelegt, die mit einer am festgestellten Körperbeschädigung von 90% begründet wird.

6II. 1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten für die Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

7Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.

8Im Verfahren der als Rechtsmittel gegen die LSG-Entscheidung allein statthaften Nichtzulassungsbeschwerde (§§ 160, 160a SGG) geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3).

9Ein solcher Zulassungsgrund ist nach Prüfung des Streitstoffs unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers sowie des Inhalts der Gerichts- und Verwaltungsakten nicht gegeben.

10Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), denn sie wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig sind. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Wertung im Einzelfall.

11Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nicht. Eine Divergenz kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (vgl - SozR 1500 § 160a Nr 67 S 89). Derartige Rechtssätze sind nicht auszumachen.

12Die summarische Prüfung des Senats hat ebenso wenig einen Anhalt für das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ergeben, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann.

13Zwar kann ein Verfahrensmangel darin gesehen werden, dass das LSG in seiner Anhörungsmitteilung vom über das weitere Vorgehen nach § 153 Abs 4 SGG - Beschluss ohne mündliche Verhandlung - nicht ausdrücklich auf die Äußerungsmöglichkeit des Klägers hierzu hingewiesen hat (zu diesem Erfordernis bei Naturalparteien vgl - SozR 3-1500 § 153 Nr 14 S 45, Juris RdNr 22). Darauf kann die Entscheidung des LSG unter Berücksichtigung der Aktenlage und des Verfahrensgangs jedoch nicht beruhen.

14Die nicht in jeder Hinsicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG stellt eine Gehörsverletzung dar, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung allerdings nicht zu unterstellen ist (vgl - Juris RdNr 8). Denn weder die unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung noch der mangelnde Zustellungsnachweis lassen die in § 153 Abs 4 S 1 SGG festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des LSG, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, zwangsläufig entfallen. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn der Fehler den Betroffenen an Vorbringen gehindert hat, welches das LSG hätte veranlassen müssen, von einem Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG Abstand zu nehmen (vgl - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19).

15Dies ist jedoch nicht ansatzweise ersichtlich. Die Entscheidung des LSG ist erst knapp drei Monate nach der Anhörungsmitteilung ergangen. Der Kläger hatte im Laufe des gesamten Verfahrens ausreichend Gelegenheit zum Vortrag und zur Vorlage von Unterlagen. Zudem war er durch den ausführlich begründeten ablehnenden PKH- über die Einschätzung der Sach- und Rechtslage durch das LSG informiert. Hierauf hat er auch mit Schriftsatz vom reagiert, jedoch nur seine Forderung nach Befragung der behandelnden Ärzte wiederholt. Eine weitere Stellungnahme war daher nach Lage der Dinge nicht zu erwarten (vgl - Juris RdNr 8). Auch der dem BSG vorgelegte bosnische Bescheid vom hätte zu keiner Änderung im Verfahrensgang des LSG führen können. Denn dieser Bescheid ist materiell-rechtlich nicht entscheidungserheblich, weil er Rückschlüsse auf den Eintritt der Erwerbsminderung zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht zulässt.

16Soweit das LSG den Antrag des Klägers im Schriftsatz vom abgelehnt hat, seine Klinik bzw seine behandelnden Ärzte zum Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum 2002 zu befragen, ergibt sich daraus keine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 SGG). Dem nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Kläger kann zwar nicht entgegengehalten werden, dass er den Antrag nicht nach Erhalt der Anhörungsmitteilung ausdrücklich aufrechterhalten hat (vgl zu diesem Erfordernis bei rechtskundig vertretenen Klägern zB - SozR 3-1500 § 153 Nr 12, Juris RdNr 4). Das LSG musste sich aber nicht zu weiterer Aufklärung gedrängt fühlen. Denn dem LSG waren bereits im vorangegangenen Verfahren die Dokumentation der Klinik seit August 2000 und ein Attest vom vorgelegen, wonach der Kläger seit dem Jahr 2000 unter ständiger Kontrolle und Therapie gewesen sei und es zu vorübergehenden Remissionen aber auch Verschlechterungen des Zustands gekommen sei, sodass er seitdem nicht in der Lage gewesen sei, seinen Beruf auszuüben. Nach gutachterlicher Auswertung hatte das LSG aus diesen Angaben jedoch keinen Nachweis über das Vorliegen einer Erwerbsminderung zum relevanten Zeitpunkt (spätestens April 2002) abgeleitet. Aus dem Antrag des Klägers vom wird insoweit nicht ersichtlich, welche neuen entscheidungserheblichen Tatsachen er unter Beweis stellen wollte, aus denen sich im Verfahren nach § 44 SGB X eine Unrichtigkeit des Bescheids vom wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben sollte.

17Dass der Kläger mit der Auswertung und Würdigung der medizinischen Unterlagen durch das LSG nicht einverstanden ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Denn insoweit wendet er sich gegen die Beweiswürdigung des LSG. Auf Angriffe gegen die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) kann aber nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

18Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, ist auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

192. Die von dem Schwager des Klägers eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Sie leidet an einem Formmangel, denn sie ist - anders als § 73 Abs 4 SGG es vorschreibt - nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

203. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:180719BB13R25917B0

Fundstelle(n):
PAAAH-29372