Online-Nachricht - Donnerstag, 18.07.2019

Einkommensteuer | BFH bestätigt neues Reisekostenrecht

Das steuerliche Reisekostenrecht, das seit dem Jahr 2014 den Werbungskostenabzug für nicht ortsfest eingesetzte Arbeitnehmer und Beamte - wie z.B. Streifenpolizisten - einschränkt, ist verfassungsgemäß, wie der entschieden hat. Zeitgleich hat der BFH vier weitere Urteile veröffentlicht, die die Folgen der geänderten Rechtslage für andere Berufsgruppen - wie etwa Piloten, Luftsicherheitskontrollkräfte oder befristet Beschäftigte - verdeutlichen (, v. , und ; alle veröffentlicht am ).

Hintergrund: Steuerrechtlich sind beruflich veranlasste Fahrtkosten von nichtselbständig Beschäftigten grundsätzlich in Höhe des tatsächlichen Aufwands als Werbungskosten abziehbar. Abzugsbeschränkungen bestehen allerdings für den Weg zwischen der Wohnung und dem Arbeits- oder Dienstort. Werbungskosten liegen hier nur im Rahmen der sog. Entfernungspauschale i.H.v. 0,30 € je Entfernungskilometer vor. Dabei definiert das seit 2014 geltende neue Reisekostenrecht den Arbeits- oder Dienstort als "erste Tätigkeitsstätte" (davor: "regelmäßige Arbeitsstätte"). Nach neuem Recht bestimmt sich die erste Tätigkeitsstelle anhand der arbeitsvertraglichen oder dienstrechtlichen Zuordnung durch den Arbeitgeber (§ 9 Abs. 4 EStG). Demgegenüber kam es zuvor auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers an. Diese Änderung ist für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG) sowie der Verpflegungspauschalen (§ 9 Abs. 4a Satz 1 EStG) von Bedeutung.

Hierzu führen die Richter des BFH weiter aus:

Der Streitfall VI R 27/17 betraf einen Polizisten, der arbeitstäglich zunächst seine Dienststelle aufsuchte und von dort seinen Einsatz- und Streifendienst antrat. Die Tätigkeiten in der Dienststelle beschränkten sich im Wesentlichen auf die Vor- und Nachbereitung des Einsatz- und Streifendienstes. In seiner Einkommensteuererklärung für 2015 machte er Fahrtkosten von seiner Wohnung zu der Polizeidienststelle sowie Verpflegungsmehraufwendungen entsprechend der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nach Dienstreisegrundsätzen geltend. Er ging davon aus, dass keine erste Tätigkeitsstätte vorliege, da er schwerpunktmäßig außerhalb der Polizeidienststelle im Außendienst tätig sei. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte Fahrtkosten lediglich in Höhe der Entfernungspauschale. Mehraufwendungen für Verpflegung setzte es nicht an. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 12.5.2017).

Der BFH hat die Vorinstanz bestätigt. Nach neuem Recht ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer oder Beamte einer ersten Tätigkeitsstätte durch arbeits- oder dienstrechtliche Festlegungen sowie diese ausfüllende Absprachen und Weisungen des Arbeitgebers (Dienstherrn) dauerhaft zugeordnet ist. Ist dies der Fall, kommt es auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht an. Ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer (Beamte) am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat. Dies war nach den Feststellungen des FG bei dem Streifenpolizisten im Hinblick auf Schreibarbeiten und Dienstantrittsbesprechungen der Fall.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung verneint der BFH. Der Gesetzgeber habe sein Regelungsermessen nicht überschritten, da sich Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken könnten.

Der Streitfall VI R 40/16 betraf eine Pilotin. Auch sie machte die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Flughafen sowie Verpflegungsmehraufwendungen entsprechend der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nach Dienstreisegrundsätzen erfolglos gegenüber FA und FG geltend (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 19.12.2016). Der BFH hat auch in diesem Fall das FG-Urteil bestätigt. Fliegendes Personal - wie Piloten oder Flugbegleiter - , das von seinem Arbeitgeber arbeitsrechtlich einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist und auf dem Flughafengelände zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringt, die arbeitsvertraglich geschuldet sind, hat nach dem Urteil des BFH dort seine erste Tätigkeitsstätte. Da die Pilotin in den auf dem Flughafengelände gelegenen Räumen der Airline in gewissem Umfang auch Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Flugvor- und Flugnachbereitung zu erbringen hatte, verfügte sie dort über eine erste Tätigkeitsstätte. Unerheblich war somit, dass sie überwiegend im internationalem Flugverkehr tätig war. Der BFH weist zudem darauf hin, dass auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) als (großräumige) erste Tätigkeitsstätte in Betracht kommt.

Ebenso hat der BFH in der Sache VI R 12/17 den Ansatz der Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen bei einer Luftsicherheitskontrollkraft verneint, die auf dem gesamten Flughafengelände eingesetzt wurde.

Mit zwei weiteren Urteilen (VI R 36/16 und VI R 6/17, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 13.12.2016 sowie v. 18.01.2017) hat der BFH bei befristeten Arbeitsverhältnissen entschieden, dass eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt, wenn der Arbeitnehmer für die Dauer des befristeten Dienst- oder Arbeitsverhältnisses an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung tätig werden soll. Erfolgt während der Befristung eine Zuordnung zu einer anderen Tätigkeitsstätte, stellt letztere keine erste Tätigkeitsstätte mehr dar, weshalb ab diesem Zeitpunkt wieder die Dienstreisegrundsätze Anwendung finden. Damit war der Kläger in der Sache VI R 6/17 erfolgreich. Der BFH bestätigte hier die Klagestattgabe durch das FA, so dass dem Kläger Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit mit 0,30 € je gefahrenen Kilometer zustehen. Im Fall VI R 36/16 kam es zu einer Zurückverweisung an das FG, damit geprüft wird, ob überhaupt ortsfeste Einrichtungen vorliegen.

Anmerkung von Steuerberater Klaus Korn, Mitherausgeber der NWB und of counsel der c•k•s•s Carlé • Korn • Stahl • Strahl Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln:

Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit mehreren Urteilen des BFH (v. - VI R 6/17, v. - VI R 36/16, v. - VI R 40/16, v. - VI R 12/17), die sich mit dem seit geänderten Reisekostenrecht auseinandersetzen, das den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte durch den der "ersten Tätigkeitsstätte" ersetzt hat. In den Urteilen geht es hauptsächlich um Fälle, in denen die Arbeitnehmer ihre Leistungen ganz oder weitgehend nicht dort erbrachten, wo ihr Arbeitgeber seine "ortsfeste betriebliche Einrichtung" unterhielt bzw. in großräumigen Einrichtungen der Arbeitgeber oder deren Kunden oder befristet tätig waren.

Hervorzuheben sind folgende Aussagen des BFH zur Auslegung der Vorschrift:

  1. Die vorrangig maßgebliche arbeitsrechtliche Zuordnung durch den Arbeitgeber kann außerhalb des Arbeits- bzw. Dienstvertrags erfolgen, und zwar auch mündlich und sogar konkludent und ist unabhängig davon, ob sich der Arbeitgeber der steuerlichen Folgen bewusst ist.

  2. Die Zuordnungsentscheidung muss entgegen der Verwaltungsauffassung nicht dokumentiert werden.

  3. Erforderlich, aber ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der Zuordnung zumindest eine geringfügige Tätigkeit ausübt (auf den qualitativen Schwerpunkt kommt es nicht mehr an).

  4. Der BFH hat den Begriff der unbefristeten Tätigkeit i.S.d. § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG ausgelegt (Leitsatz 4 der Entscheidung) und hält eine ex ante-Betrachtung für geboten. Von besonderer Bedeutung ist dies für Arbeitnehmerüberlassungen (dazu das Urteil v. - VI R 6/17), die sehr häufig Fälle sind, in denen es an einer ersten Tätigkeitsstätte fehlt.

Quelle: BFH, Pressemitteilung v. zu den (Polizeibeamter), v. (Leiharbeiter) sowie v. (Hafenarbeiter), (Pilotin) und (Luftsicherheitskontrollkraft); NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
NWB SAAAH-23049