BGH Beschluss v. - 1 StR 602/18

Verstoß gegen das strafzumessungsrechtliche Doppelverwertungsverbot beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

Gesetze: § 29 BtMG, § 46 Abs 3 StGB

Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 9 Js 878/17 - 1 KLsnachgehend Az: 1 StR 1/20 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten A.      wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, eine Einziehungsentscheidung getroffen und ihn im Übrigen freigesprochen. Den Angeklagten D.     hat es wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es jeweils abgesehen.

2Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

4Das Landgericht hat die verhängten Einzelstrafen jeweils dem - bei dem Angeklagten A.      gemäß § 31 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB und bei dem Angeklagten D.     gemäß § 27 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderten - Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen und die Annahme minder schwerer Fälle im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG sowohl nach Würdigung allein der allgemeinen Strafzumessungskriterien als auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des vertypten Strafmilderungsgrundes der Aufklärungshilfe gemäß § 31 BtMG bzw. der Beihilfe gemäß § 27 StGB abgelehnt. In diesem Rahmen hat die Strafkammer ebenso wie bei der anschließenden konkreten Strafzumessung zum Nachteil der Angeklagten folgende Erwägungen in die Abwägung eingestellt:

5Zu Lasten des Angeklagten A.      hat sie gewertet, dass dieser „die Betäubungsmittel an eine Vielzahl von Abnehmern veräußert und diese hierdurch gefährdet“ bzw. „durch das Inverkehrbringen der Betäubungsmittel (...) jeweils eine Vielzahl von Personen gefährdet“ hat und bei dem Angeklagten D.    , dass „die erhebliche Menge des in der Folge weiterverkauften Betäubungsmittels eine Vielzahl von Abnehmern gefährdet hat“ bzw. „durch das Inverkehrbringen der Betäubungsmittel eine Vielzahl von Personen gefährdet wurde“.

6Diese Erwägungen erweisen sich mit Blick auf das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Zum einen erfasst das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln typischerweise deren Verkauf an andere Personen (BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 403/03, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Handeltreiben 5 und vom - 3 StR 586/17 Rn. 4) und damit auch, dass die Betäubungsmittel in den Verkehr geraten (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 97/17 Rn. 11 und vom - 3 StR 586/17 Rn. 4) und dadurch andere Personen gefährdet werden. Rechtsgut ist die Volksgesundheit; denn Ziel des Betäubungsmittelgesetzes ist es, die Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen und vor Abhängigkeit zu bewahren (, BGHSt 43, 8, 11 f.; Beschluss vom - 1 StR 38/16 Rn. 9 mwN).

7Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die genannten Erwägungen des Landgerichts bei der Strafrahmenwahl sowie der Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt haben.

8Die Sache bedarf daher im Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufhebung der zugehörigen Feststellungen war indes nicht erforderlich, weil es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Weitergehende Feststellungen, die zu den bislang getroffenen nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.

92. Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält hinsichtlich des Angeklagten A.      rechtlicher Überprüfung nicht stand.

10Die sachverständig beratene Strafkammer hat den Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren verneint und weiter ausgeführt, jedenfalls gingen die abgeurteilten Straftaten nicht auf einen Hang zurück, weil sie der Erlangung erheblicher wirtschaftlicher Werte und allein der Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs des Angeklagten A.      gedient hätten. Im Rahmen der Prüfung eines Hangs hat sie dargelegt, ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln bedeute, dass der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird. An letzterer Voraussetzung fehle es vorliegend.

11Damit ist die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem unzutreffenden Verständnis eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen.

12Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 348/17 Rn. 9 und vom - 1 StR 587/16 Rn. 9, jeweils mwN).

13Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 613/16 Rn. 7; vom - 4 StR 408/16 Rn. 6; vom - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114 und vom - 4 StR 311/12, RuP 2013, 34, 35). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 482/15 aaO; vom - 4 StR 311/12 aaO; vom - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271 und vom - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 f.). Ebenso wenig ist für einen Hang erforderlich, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 613/16 Rn. 7; vom - 4 StR 408/16 Rn. 6; vom - 1 StR 482/15 aaO und vom - 1 StR 332/07, NStZ-RR 2008, 7). Dies hat die Strafkammer verkannt.

14Die Feststellungen schließen auch einen symptomatischen Zusammenhang nicht aus. Der Angeklagte trank Alkohol und konsumierte Cannabisprodukte, beides täglich, und zudem nahm er regelmäßig weitere Drogen. Nachdem ihm die Leistungen des Jobcenters zur Finanzierung seines Lebensunterhalts nicht mehr genügt hatten, begann er mit dem Drogenhandel.

15Für den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstaten ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache oder „bestimmender Auslöser“ für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat (vgl. z.B. Rn. 4 mwN). Dies liegt nach den bisherigen Feststellungen nahe.

16Dass jedenfalls die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind, kann dem Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden.

17Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten A.      in einer Entziehungsanstalt muss daher - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; st. Rspr.; vgl. Rn. 9 mwN und vom - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107). Der Angeklagte hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

183. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten D.     in einer Entziehungsanstalt hat dagegen Bestand. Die Strafkammer ist zwar auch bei ihm rechtsfehlerhaft von einem unzutreffenden Verständnis eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen. Es fehlt aber jedenfalls an dem symptomatischen Zusammenhang zwischen (eventuellem) Hang und Anlasstaten, weil der Angeklagte D.     den Angeklagten A.      nur in einigen wenigen Fällen und ohne eine Gegenleistung verlangt oder erhalten zu haben, bei Betäubungsmittelgeschäften unterstützt und dadurch unentgeltliche „Freundschaftsdienste“ geleistet hat.

194. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:090119B1STR602.18.0

Fundstelle(n):
YAAAH-14873