BAG Beschluss v. - 1 ABR 37/17

Unterrichtung Wirtschaftsausschuss - Einigungsstelle

Leitsatz

Die gesetzliche Primärzuständigkeit der Einigungsstelle bei Konflikten über ein Auskunftsverlangen des Wirtschaftsausschusses bezieht sich auch auf Streitigkeiten über die Art und Weise der Erteilung von Auskünften.

Gesetze: § 106 Abs 2 S 1 BetrVG, § 109 S 1 BetrVG, § 109 S 2 BetrVG

Instanzenzug: Az: 4 BV 93/15 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 9 TaBV 17/16 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Modalitäten der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses.

2Die Arbeitgeberin erbringt Kurier- und Expressdienste. In ihrem Unternehmen mit mehr als in der Regel einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern ist aufgrund eines Zuordnungstarifvertrags der antragstellende Gesamtbetriebsrat errichtet sowie ein siebenköpfiger Wirtschaftsausschuss gebildet. Letzterem übermittelt die Arbeitgeberin vor dessen Sitzungen verschiedene Berichte zu aktuellen Geschäftszahlen. Dabei verfuhr sie im Zeitpunkt der letzten Anhörung in der Tatsacheninstanz so, dass der sog. WA-Report dem Sprecher des Wirtschaftsausschusses in Form einer passwortgeschützten Excel-Datei und den Wirtschaftsausschussmitgliedern als ausgedrucktes Dokument (Hardcopy) zur Verfügung gestellt wurde. Weitere Unterlagen - Joiner-Leaver-Report, Quick-Sales-Report, GEMA-Report, Beschwerde-Report - erhielten alle Wirtschaftsausschussmitglieder als Ausdruck. Die umfangreichen sog. Kostenstellenberichte wurden in der Wirtschaftsausschusssitzung auf drei nach dem Sitzungsende wieder zurückzugebenden Laptops als nicht bearbeitungsfähige Excel-Dateien zur Einsichtnahme vorgehalten.

3Der Gesamtbetriebsrat hat die Auffassung vertreten, diese Verfahrensweise genüge nicht der Unterrichtungspflicht der Arbeitgeberin gegenüber dem Wirtschaftsausschuss. Ebenso wie den Führungskräften im Unternehmen seien die Reports und die Kostenstellenberichte allen Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses auf elektronischem Weg jeweils als bearbeitungsfähige Excel-Datei zu übermitteln. Das habe drei Werktage vor den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses zu erfolgen. Nur dies versetze den Wirtschaftsausschuss in die Lage, mit der Arbeitgeberin über die wirtschaftlichen Angelegenheiten angemessen beraten zu können.

4Der Gesamtbetriebsrat hat zuletzt beantragt

5Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

6Das Arbeitsgericht hat den bei ihm anhängigen Hauptantrag und ersten Hilfsantrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats, mit der dieser auch die Hilfsanträge zu 3. und zu 4. angebracht hat, zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Gesamtbetriebsrat sein Begehren weiter.

7B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats zu Recht zurückgewiesen. Anders als von ihm angenommen, sind die Anträge bereits unzulässig. Sie genügen zwar den verfahrensrechtlichen Erfordernissen an ihre Bestimmtheit und Antragsart. Ihrer Zulässigkeit steht aber entgegen, dass die Betriebsparteien keinen ihre Einigung über die Auskunftsverpflichtung der Arbeitgeberin gegenüber dem Wirtschaftsausschuss ersetzenden Spruch der Einigungsstelle herbeigeführt haben (§ 109 BetrVG).

8I. Die Anträge sind - nach gebotener Auslegung - hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und auf feststellungsfähige Rechtsverhältnisse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet.

91. Sämtliche Begehren betreffen die festzustellende Verpflichtung der Arbeitgeberin, dem Wirtschaftsausschuss bzw. seinen Mitgliedern näher bezeichnete Unterlagen „auf elektronischem Wege als elektronische Datei im Excel-Format zu übermitteln“. Unter Hinzuziehung der Antragsbegründung und der weiteren Schriftsätze des Gesamtbetriebsrats wird deutlich, dass er für den Wirtschaftsausschuss oder seine Mitglieder einen Zugriff auf die Unterlagen als Excel-Dateien ohne Blatt- und Kopierschutz beansprucht. Der Gesamtbetriebsrat hat sein Verlangen ausdrücklich damit begründet, der Wirtschaftsausschuss sei zur Analyseerstellung auf die Übermittlung in diesem elektronischen Dateiformat angewiesen, um effektiv mit den Reports arbeiten zu können; ohne Dateien im Excel-Format sei es diesem nicht möglich, Daten verschiedener Reports in Bezug zueinander zu setzen und Rückschlüsse zu ziehen. Auch könnten bei den bisher lediglich über drei Laptops in den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses einsehbaren Kostenstellenberichten keine Daten aus den Excel-Listen kopiert und in eigene Listen überführt oder für die Erstellung von Diagrammen verwendet werden.

10Die so geltend gemachte Dateienübermittlung bezieht sich im Hauptantrag auf „die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses“ und auf den Zeitpunkt „drei Werktage vor der jeweils nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses, spätestens jedoch zur jeweils nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses“. Bei den Hilfsanträgen variieren der Adressatenkreis (Mitglieder des Wirtschaftsausschusses oder Wirtschaftsausschuss als Gremium) und der Zeitpunkt der Dateienübermittlung. Im Übrigen sind die Haupt- und Hilfsbegehren jeweils auf sechs Unterlagen (WA-Report, Kostenstellenberichte, Joiner-Leaver-Report, Quick-Sales-Report, GEMA-Report und Beschwerde-Report) gerichtet, hinsichtlich derer die im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts bestehende Vorlagepraxis der Arbeitgeberin ihrerseits variierte nach dem „Wie“ (zT als passwortschutzgeschützte Datei, zT als Hardcopy, zT als lesender Zugriff auf drei Laptops), nach dem „Wann“ (zT drei Tage vor der Sitzung des Wirtschaftsausschusses, zT während der Sitzung) und nach dem „Wem“ (zT dem Sprecher des Wirtschaftsausschusses, zT allen Wirtschaftsausschussmitgliedern, zT drei „Lesegeräte“ für sieben Wirtschaftsausschussmitglieder).

11Gegenstand aller Anträge ist damit die Feststellung der Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Übermittlung von sechs Reports in einer bestimmten Art und Weise an einen bestimmten Adressatenkreis zu einem näher benannten Zeitpunkt. Der jeweilige Antragsgegenstand ist seinerseits nicht aufteilbar etwa dergestalt, dass er - als ein „Weniger“ - nur die Art und Weise oder nur einen bestimmten Adressatenkreis oder nur den Zeitpunkt der Unterrichtung beträfe. Soweit allerdings der Zeitpunkt der erstrebten Unterlagenvorlage in allen Anträgen mit dem Zusatz „spätestens jedoch zur jeweils nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses“ beschrieben ist, beinhaltet dies kein eigenständiges Rechtsschutzziel. Der Gesamtbetriebsrat drückt damit vielmehr aus, dass es ihm um die Vermeidung der Festlegung auf den Zeitpunkt „drei Werktage vor der jeweils nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses“ geht, falls dieser zeitliche (Teil-)Aspekt der Unterrichtung durch die Arbeitgeberin nicht begründet sein sollte. Ebenso verhält es sich mit der in den Hilfsanträgen zu 2. und zu 4. verwandten Formulierung „rechtzeitig“.

122. In diesem Verständnis begegnen den Anträgen keine Bedenken an ihrer hinreichenden Bestimmtheit (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Unklarheiten über den Umfang der objektiven Rechtskraft einer stattgebenden oder ihn abweisenden gerichtlichen Sachentscheidung wären nicht zu besorgen. Auch betrifft der Streit darüber, ob die Arbeitgeberin zu der von den Anträgen umfassten Vorlage nach den beanspruchten Modalitäten verpflichtet ist, ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis der Betriebsparteien (§ 256 Abs. 1 ZPO).

13II. Der Zulässigkeit der Anträge steht jedoch die gesetzlich normierte Primärzuständigkeit der Einigungsstelle nach § 109 BetrVG entgegen.

141. § 109 BetrVG regelt zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten über ein Auskunftsverlangen des Wirtschaftsausschusses ein besonderes Konfliktlösungsverfahren. Nach Satz 1 und Satz 2 der Vorschrift entscheidet, wenn eine Auskunft über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens iSd. § 106 BetrVG entgegen dem Verlangen des Wirtschaftsausschusses nicht, nicht rechtzeitig oder nur ungenügend erteilt wird und hierüber zwischen Unternehmer und Betriebsrat keine Einigung zustande kommt, die Einigungsstelle. Das Verfahren des § 109 BetrVG ist vorgesehen für Auseinandersetzungen über den konkreten Umfang der Unterrichtungspflicht des Unternehmers nach § 106 Abs. 2 BetrVG unter Vorlage erforderlicher Unterlagen (vgl.  - zu B II 1 der Gründe, BAGE 62, 294; vgl. auch - 1 ABR 74/90 - zu B II 2 der Gründe). Die Einigungsstelle befindet in diesem Zusammenhang (auch) über Rechtsfragen (Fitting 29. Aufl. § 109 Rn. 1).

152. Die besondere Zuständigkeit der Einigungsstelle nach § 109 Satz 1 und Satz 2 BetrVG verpflichten Unternehmer und (Gesamt-)Betriebsrat, vor Anrufung der Gerichte für Arbeitssachen deren Entscheidung herbeizuführen. Ein im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren angebrachtes Begehren, das der Primärzuständigkeit der Einigungsstelle unterfällt, ist nur dann zulässig, wenn zuvor das in § 109 BetrVG vorgesehene Konfliktlösungsverfahren durchgeführt wurde (vgl. [für ein von den Betriebsparteien vereinbartes innerbetriebliches Konfliktlösungsverfahren]  - Rn. 19 ff.).

163. Danach sind die Haupt- und Hilfsanträge des Gesamtbetriebsrats unzulässig. Ihnen liegen - entgegen seiner Auffassung - Verlangen des Wirtschaftsausschusses zugrunde, für die die Einigungsstelle zuständig iSv. § 109 BetrVG ist.

17a) Der Wirtschaftsausschuss hat von der Arbeitgeberin die Vorlage von Unterlagen - die nach insoweit übereinstimmender Auffassung der Betriebsparteien wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens iSv. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG betreffen - in einer bestimmten Art und Weise, gegenüber einem bestimmten Adressatenkreis und zu einem bestimmten Zeitpunkt verlangt. § 109 Satz 1 BetrVG erfasst nach seinem unmissverständlichen Wortlaut nicht nur eine unternehmensinterne Beilegung von Meinungsverschiedenheiten, wenn eine Auskunft entgegen einem entsprechenden Verlangen des Wirtschaftsausschusses „nicht“ erteilt wird, sondern auch dann, wenn sie „nicht rechtzeitig“ oder „nur ungenügend“ erteilt wird.

18b) Bereits aufgrund des Konflikts über den Zeitpunkt der Vorlage der Unterlagen, der jeweils Teil der einheitlichen Rechtsschutzbegehren ist, hätte der Gesamtbetriebsrat nach § 109 BetrVG zuvor die Einigungsstelle anrufen müssen.

19c) Ungeachtet dessen bezieht sich das Konfliktlösungsverfahren des § 109 Satz 1 BetrVG auch auf Streitigkeiten über die Art und Weise der Erteilung von Auskünften.

20aa) Das gibt der Wortlaut allerdings nicht zwingend vor. Der Ausdruck „nur ungenügend“ kann im buchstäblichen Sinn auf „inhaltlich unzulänglich“ ebenso bezogen sein wie auf „in der Form nicht ausreichend“. Immerhin ist aber mit dem Adjektiv „ungenügend“ eine andere Formulierung verwandt als bei der der Auskunftspflicht des § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, welche - neben „rechtzeitig“ (dieser Begriff ist in § 109 Satz 1 BetrVG aufgegriffen) - „umfassend“ zu erfolgen hat. Während „umfassend“ im Sprachsinn mit „vollständig“, also einer quantitativen Komponente, gleichzusetzen ist, enthält der Ausdruck „ungenügend“ einen qualitativen Aspekt.

21bb) Sinn und Zweck des § 109 Satz 1 BetrVG sprechen aber eindeutig für eine umfassende Primärzuständigkeit der Einigungsstelle bei Meinungsverschiedenheiten der Betriebsparteien über konkrete Modalitäten der Unterrichtungs- und Vorlagepflicht des Unternehmers gegenüber dem Wirtschaftsausschuss. Sinn des Einigungsstellenverfahrens ist es, eine der „internsten Angelegenheiten der Unternehmensleitung“ zunächst einer unternehmensinternen Regelung zuzuführen (vgl. den Ausschussbericht zum Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes 1952, das in § 70 eine gleiche Regelung enthielt, BT-Drucks. I/3585, S. 15). Die Form der Vorlage von Unterlagen gegenüber dem Wirtschaftsausschuss - als Papierausdruck oder als elektronische Datei - ist regelmäßig nicht nur vom Umfang der Auskunftserteilung abhängig, sondern auch von deren Inhalten. Das kann bei einfachen Datensätzen anders zu beurteilen sein als bei umfangreichen Dokumenten. Vor allem aber können - inhaltsabhängig - diverse unternehmensspezifische Belange zu beachten sein, etwa ein Interesse an Blatt- und Kopierschutz bei elektronischen Dateien. Gerade derartige inhaltskontextuelle Fragen sollen aber nach § 109 BetrVG einer unternehmensinternen Lösung zugeführt werden.

22d) Die Primärzuständigkeit der Einigungsstelle erfasst ebenso Streitigkeiten über den Adressatenkreis der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses. Auch diese Teile der Anträge des Gesamtbetriebsrats sind keine jeweils abtrennbaren, eigenständigen Begehren. Es handelt sich im Übrigen um Gesichtspunkte, die die Art und Weise der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses betreffen. Auf die Reichweite der nach § 108 Abs. 3 BetrVG bestehenden (bloßen) Berechtigung der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, in die nach § 106 Abs. 2 BetrVG vorzulegenden Unterlagen Einsicht zu nehmen, kommt es damit nicht an.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:120219.B.1ABR37.17.0

Fundstelle(n):
DB 2019 S. 6 Nr. 17
QAAAH-12670