Online-Nachricht - Donnerstag, 13.12.2018

Arbeitsrecht | Normales Arbeitsentgelt trotz früherer Kurzarbeit (EuGH)

Während seines unionsrechtlich garantierten Mindestjahresurlaubs hat ein Arbeitnehmer ungeachtet früherer Kurzarbeitszeiten Anspruch auf sein normales Arbeitsentgelt. Die Dauer dieses Mindestjahresurlaubs hängt von der tatsächlichen Arbeitsleistung ab, die im Referenzzeitraum erbracht wurde, so dass Kurzarbeitszeiten dazu führen können, dass der Mindesturlaub weniger als vier Wochen beträgt (, Torsten Hein / Albert Holzkamm GmbH & Co. KG).

Sachverhalt und Prozessverlauf: Jahr 2015 befand er sich 26 Wochen, d. h. die Hälfte des Jahres, in Kurzarbeit und erbrachte in dieser Zeit keine tatsächliche Arbeitsleistung. In Kurzarbeitszeiten wie im Fall von Herrn Hein besteht das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fort, aber der Arbeitnehmer erbringt keine tatsächliche Arbeitsleistung für die Belange seines Arbeitgebers. Nach dem BRTV-Bau haben die Arbeitnehmer jedoch unabhängig von Kurzarbeitszeiten, in denen sie keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht haben, Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Tagen. Dementsprechend nahm Herr Hein im Laufe der Jahre 2015 und 2016 die 30 Urlaubstage, auf die er im Jahr 2015 Anspruch erworben hatte. Allerdings werden die Kurzarbeitszeiten nach dem BRTV-Bau bei der Berechnung des für den Jahresurlaub gezahlten Entgelts, der sog. „Urlaubsvergütung“, berücksichtigt. Holzkamm berechnete daher den an Herrn Hein zu zahlenden Betrag auf der Grundlage eines Bruttostundenlohns, der unter dem normalen Stundenlohn lag, was zu einer deutlichen Verringerung seines Entgelts führte. Da Herr Hein der Ansicht ist, dass die in den Referenzzeitraum fallende Kurzarbeit nicht zu einer Kürzung der ihm zustehenden Urlaubsvergütung führen dürfe, rief er das Arbeitsgericht Verden (Deutschland) an. Das Arbeitsgericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob eine nationale Regelung, nach der in Tarifverträgen bestimmt werden kann, dass etwaige Verdienstausfälle infolge von Kurzarbeit im Referenzzeitraum berücksichtigt werden können, was zu einer Kürzung der Urlaubsvergütung führt, mit dem Unionsrecht im Einklang steht.

Der EuGH führte hierzu weiter aus:

  • Das Unionsrecht regelt nur die Dauer des Mindestjahresurlaubs. Dem steht nicht entgegen, dass Arbeitnehmern in nationalen Rechtsvorschriften oder in einem Tarifvertrag ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von längerer Dauer unabhängig davon gewährt wird, ob die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgrund von Kurzarbeit verkürzt war.

  • Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten. Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer nämlich während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. Erhielte der Arbeitnehmer nicht das gewöhnliche Arbeitsentgelt, könnte er veranlasst sein, seinen bezahlten Jahresurlaub nicht zu nehmen, zumindest nicht in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung, da dies dann zu einer Verringerung seines Entgelts führen würde.

  • Es widerspricht daher Unionsrecht, wenn ein Arbeitnehmer, der sich in einer Situation wie der von Herrn Hein befindet, für seine unionsrechtlich garantierten Jahresurlaubstage ein Entgelt erhält, das nicht dem gewöhnlichen Entgelt entspricht, das er in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhält.

  • Das Unionsrecht verlangt allerdings nicht, dass das gewöhnliche Arbeitsentgelt für die gesamte Dauer des Jahresurlaubs gezahlt wird, die dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht zusteht. Der Arbeitnehmer muss dieses Entgelt nur für die Dauer des unionsrechtlich vorgesehenen Mindestjahresurlaubs zahlen, wobei der Arbeitnehmer den Anspruch auf diesen Urlaub nur für Zeiträume tatsächlicher Arbeitsleistung erwirbt.

  • In einem Rechtsstreit wie dem hier vorliegenden, in dem sich Privatpersonen gegenüberstehen, ist das nationale Gericht verpflichtet, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen. Eine solche Auslegung sollte dazu führen, dass die den Arbeitnehmern für den unionsrechtlich vorgesehenen Mindesturlaub gezahlte Urlaubsvergütung nicht geringer ausfällt als der Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts, das die Arbeitnehmer in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten.

  • Hingegen verpflichtet das Unionsrecht weder dazu, die nationale Regelung dahin auszulegen, dass sie einen Anspruch auf eine tarifvertragliche Zusatzleistung begründet, die zu diesem Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts hinzukommt, noch dazu, dass die Überstundenvergütung berücksichtigt wird, es sei denn, der Arbeitnehmer ist arbeitsvertraglich verpflichtet, Überstunden zu leisten, die weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich sind und deren Vergütung einen wesentlichen Teil seines gesamten Arbeitsentgelts ausmacht.

  • Die nationalen Gerichte können und müssen die unionsrechtlichen Vorschriften über den Jahresurlaub, so wie sie im heutigen Urteil ausgelegt werden, auch auf Rechtsverhältnisse, die vor dem heutigen Tag entstanden sind, anwenden, wenn die Voraussetzungen für ihre Anrufung in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen.

  • Die Wirkungen des heutigen Urteils sind nicht zeitlich zu beschränken, da die Voraussetzung der schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen nicht erfüllt ist.

Hinweis:

Die vollständige Pressemitteilung finden Sie auf der Homepage des EuGH.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 201/18 v. (Ls)

Fundstelle(n):
NWB PAAAH-02262