BFH Urteil v. - IV R 38/02 BStBl 2004 II S. 2

Abhilfebescheid bei Änderung zu Ungunsten des Stpfl.

Leitsatz

1. Ein Abhilfebescheid i.S. des § 367 Abs. 2 AO 1977 liegt auch vor, soweit sich der Bescheid teilweise als dem Einspruchsführer nachteilig erweist, er dieser Änderung aber nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 AO 1977 zugestimmt hat.

2. Erklärt sich der steuerliche Berater mit der vom Außenprüfer in der Schlussbesprechung vorgeschlagenen Behandlung bestimmter Einkünfte einverstanden, kann darin nach den Umständen des Einzelfalls eine Zustimmung im o.g. Sinn zu einer Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen liegen, auch wenn die Erklärung lediglich in Anwesenheit von Angehörigen der Betriebsprüfungsstelle abgegeben wird.

Gesetze: AO 1977 § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. aAO 1977 § 367 Abs. 2

Instanzenzug: (EFG 2003, 282) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren Gesellschafter einer auf dem Gebiet der Unternehmensberatung tätigen GbR. Für das Jahr 1992 hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) zunächst erklärungsgemäß —jedoch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung— Einkünfte aus selbständiger Arbeit der GbR in Höhe von 244 485 DM festgestellt. Nach einer Außenprüfung für frühere Jahre kam das FA zu der Auffassung, dass der Kläger zu 1. weder Mitunternehmerinitiative entfaltet noch Mitunternehmerrisiko getragen habe. Unter Hinweis auf den Prüfungsbericht hob das FA deshalb den Gewinnfeststellungsbescheid 1992 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Dagegen erhoben die Kläger Einspruch und beantragten, ”die Feststellung wie erklärt durchzuführen”. Kurze Zeit später gaben sie auch die Feststellungserklärung für das Streitjahr 1993 ab, was den Erlass eines negativen Feststellungsbescheids für dieses Jahr zur Folge hatte. Auch hiergegen erhoben die Kläger Einspruch.

Nach Durchführung einer Außenprüfung für die Jahre 1992 bis 1994 änderte das FA seine Auffassung und ging davon aus, dass eine Mitunternehmerschaft vorliege. Als Gewinn für das Streitjahr ermittelte der Prüfer 600 574 DM. Die Erhöhung gegenüber der Erklärung beruhte vorwiegend auf Gesellschafterleistungen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Prüfungsbericht heißt es hierzu:

”Diese Behandlung wird auch von dem Stpfl. und seinem Steuerberater mitgetragen und kann zur weiteren Bearbeitung der noch anhängigen Rechtsbehelfe für die Vorjahre entsprechend angewandt werden.”

An der Schlussbesprechung zu der Außenprüfung nahmen der Kläger zu 2., der jetzige Prozessbevollmächtigte und seitens der Verwaltung der Prüfer und ein Sachgebietsleiter der Außenprüfung teil.

Das FA erließ daraufhin unter dem einen Sammeländerungsbescheid ”gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 AO” für die Gewinnfeststellung 1992 und 1993, mit dem zugleich der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde und der ausweislich einer Erläuterung zum Bescheid zur Erledigung der Rechtsbehelfe gegen die Bescheide 1992 und 1993 erging. Die Einkünfte aus selbständiger Arbeit 1992 betrugen danach 600 574 DM und entfielen in Höhe von 141 728 DM auf den Kläger zu 1. und in Höhe von 458 846 DM auf den Kläger zu 2.

Nach Meinung des Prozessbevollmächtigten der Kläger war der Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsaufhebungsbescheid 1992 damit nicht erledigt. Eine Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 sei nicht erklärt worden. Der Änderungsbescheid enthalte eine unzulässige Verböserung.

Daraufhin verwarf das FA den Einspruch der Kläger gegen den negativen Feststellungsbescheid ”in der Fassung des Feststellungsbescheides 1992 vom ” als unzulässig. Das Verfahren habe sich durch den Abhilfebescheid erledigt.

Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG im Wesentlichen aus, der Änderungsbescheid vom sei Gegenstand des laufenden Einspruchsverfahrens geworden. Er sei kein Abhilfebescheid, weil dem Rechtsbehelfsbegehren nicht abgeholfen worden sei. Das Einspruchsbegehren habe sich in der Terminologie des Gerichtsverfahrens als ”Versagungsgegenklage” dargestellt. Auch hätten die Kläger einer Abhilfe durch den Änderungsbescheid nicht zugestimmt. Eine Zustimmung ergebe sich nicht bereits aus dem Einvernehmen über die Prüfungsfeststellungen. Eine tatsächliche Verständigung liege nicht vor, denn eine bindende Vereinbarung sei nach den Rechtsprechungsgrundsätzen schon mangels Anwesenheit eines Veranlagungs-Sachgebietsleiters nicht getroffen worden. Die Einspruchsentscheidung sei zu Unrecht von einer Erledigung des Einspruchsverfahrens ausgegangen und müsse aufgehoben werden. Die Kläger seien zu einer Anfechtung des Änderungsbescheids (vom ) nicht verpflichtet gewesen, weil dieser nach § 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO 1977 zum Gegenstand des Verfahrens geworden sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 118, 179, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, 350, 365 Abs. 3 Satz 1, 367 Abs. 2 Satz 3 und 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977.

Die Revision ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Kläger nicht mangels Beschwer des FA unzulässig. Die Beschwer des FA ergibt sich aus dem Urteil des FG, mit dem die Einspruchsentscheidung aufgehoben und das FA zur erneuten Bescheidung des Einspruchs verpflichtet worden ist.

2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht angenommen hat, der Einspruch sei noch nicht durch Abhilfe erledigt. Die bisher getroffenen Feststellungen rechtfertigen dieses Ergebnis nicht.

a) Nach § 367 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 entscheidet die Behörde über einen Einspruch grundsätzlich durch Einspruchsentscheidung. Einer Einspruchsentscheidung bedarf es aber nach § 367 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 nur insoweit, als die Finanzbehörde dem Einspruch nicht abhilft. Ist dem Einspruch in vollem Umfang abgeholfen worden, bedarf es danach keiner Einspruchsentscheidung. Das Einspruchsverfahren ist mit dem Abhilfebescheid erledigt (, BFHE 119, 168, BStBl II 1976, 551). Begehrt der Einspruchsführer nach Ergehen des Abhilfebescheids gleichwohl eine förmliche Entscheidung über den Einspruch, erlässt die Finanzbehörde eine Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch als unzulässig verworfen wird, weil mit dem Abhilfebescheid die Beschwer entfallen ist (von Wedel in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 367 AO 1977 Rz. 15).

b) In ihrer bei Erlass der Einspruchsentscheidung im Jahr 1997 geltenden Fassung enthielt die AO 1977 keine ausdrückliche Regelung darüber, auf welcher verfahrensrechtlichen Grundlage ein Abhilfebescheid ergehen konnte. Erst mit der Neufassung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 durch das Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften vom —StBereinG 1999— (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) wurde dort ausdrücklich geregelt, dass eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen auch zulässig ist, soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft. Der Sache nach hat sich durch die Neuregelung nichts geändert; es handelt sich um eine Klarstellung der bereits zuvor geltenden Rechtslage (so auch die Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 14/1514, 47; gl.A. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 367 AO 1977 Rz. 165; von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 172 AO 1977 Rz. 54, m.w.N.). Die Befugnis zum Erlass eines Abhilfebescheids ergab sich auch früher schon daraus, dass mit dem Abhilfebescheid dem Rechtsbehelfsantrag des Steuerpflichtigen ganz oder zumindest teilweise (Teilabhilfebescheid) entsprochen wird. Damit lagen die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 schon in dessen vor 1999 geltenden Fassung vor.

c) Ein Abhilfebescheid i.S. des § 367 Abs. 2 AO 1977 liegt auch vor, soweit sich der Bescheid teilweise als dem Einspruchsführer nachteilig erweist, er dieser Änderung aber nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 AO 1977 zugestimmt hat. Im Streitfall kann dahinstehen, ob sich mit dem Begriff eines Abhilfebescheids noch ein Bescheid vereinbaren ließe, der unter keinem Aspekt dem mit dem Einspruch verfolgten Ziel entspricht. Denn hier ist ein Bescheid zu beurteilen, der zumindest teilweise dem ursprünglich mit dem Rechtsbehelf verfolgten Begehren entspricht, nämlich die beiden Kläger als Mitunternehmer anzusehen und dementsprechend die Voraussetzungen für eine einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte zu bejahen.

Dem Einspruchsbegehren hätte nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 2 AO 1977 voll abgeholfen werden können, indem der angefochtene Bescheid aufgehoben worden wäre. Dann wäre der frühere positive Feststellungsbescheid vom wieder aufgelebt. Mit Zustimmung der Kläger konnte nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 AO 1977 jedoch auch ein positiver Feststellungsbescheid ergehen, mit dem höhere Einkünfte festgestellt werden als mit dem ersten positiven Feststellungsbescheid. Ein solcher Bescheid ist ein Abhilfebescheid, wenn er mit Zustimmung des Einspruchsführers zur Erledigung des Einspruchs ergeht. Ob sich die Befugnis zum Erlass eines solchen Bescheids auch aus anderen Vorschriften der AO 1977 ergeben würde (hier § 164 Abs. 2), ist bei Erteilung der Zustimmung ohne Bedeutung.

3. Ob eine Zustimmung zum Erlass des teilweise nachteiligen Abhilfebescheids erteilt worden ist, muss nach allgemeinen Grundsätzen festgestellt werden. Das FG hat hierzu die Auffassung vertreten, eine Zustimmung könne nicht im bloßen Einvernehmen im Rahmen einer Schlussbesprechung einer Betriebsprüfung gesehen werden. Demgegenüber hat der (BFH/NV 1990, 776) entschieden, dass das von einem Steuerberater erklärte Einverständnis mit der vom FA in der Schlussbesprechung vorgeschlagenen Behandlung bestimmter Einkünfte als Zustimmung zu einer Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 beurteilt werden kann. Dem pflichtet der erkennende Senat bei. Die formalen Voraussetzungen, die der BFH für eine sogenannte tatsächliche Verständigung aufgestellt hat, müssen in diesem Zusammenhang nicht erfüllt sein. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die Erklärung gegenüber einem Sachgebietsleiter der Veranlagungsstelle abgegeben wird, wenn die Zustimmung unabhängig von der Bindung des FA an eine bestimmte Sachbehandlung erfolgt. Es reicht dann aus, wenn die Zustimmung gegenüber den anwesenden Vertretern der Finanzverwaltung erklärt wird, auch wenn diese sämtlich der Betriebsprüfungsstelle angehören.

4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und hat dementsprechend keine Feststellungen zum Inhalt der in der Schlussbesprechung vom Kläger zu 2. und dem jetzigen Prozessbevollmächtigten abgegebenen Erklärungen getroffen. Durch die Zurückverweisung erhält das FG Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 2
BB 2003 S. 2387 Nr. 45
BFH/NV 2003 S. 1618
BFH/NV 2003 S. 1618 Nr. 12
BStBl II 2004 S. 2 Nr. 1
DB 2004 S. 526 Nr. 10
DStRE 2003 S. 1360 Nr. 22
INF 2003 S. 922 Nr. 24
KÖSDI 2003 S. 13982 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2005 S. 4272
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