BGH Beschluss v. - VII ZB 54/16

Rechtsanwaltsgebühren: Anwaltliche Vertretung in einem Verfahren über wechselseitige Nichtzulassungsbeschwerden

Leitsatz

Die anwaltliche Vertretung in einem Verfahren, das wechselseitige Nichtzulassungsbeschwerden zum Gegenstand hat, stellt in der Regel dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG dar.

Gesetze: § 15 Abs 2 RVG

Instanzenzug: Az: 11 W 1503/16 Beschlussvorgehend LG München I Az: 41 O 6790/07

Gründe

I.

1Die Klägerin wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen einen nach ihrer Auffassung zu ihren Lasten nachteiligen Kostenfestsetzungsbeschluss.

2Im Ausgangsrechtsstreit, einer Bausache, entschied das Landgericht auf Antrag der Klägerin in einem Zwischenfeststellungsurteil, dass die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung eine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund gewesen sei. Mit Urteil vom hob das Berufungsgericht diese Entscheidung auf und wies den Antrag der Klägerin auf Erlass eines Zwischenfeststellungsurteils ab; zugleich wies es den von der Beklagten in der Berufungsinstanz gestellten Antrag ab, festzustellen, dass ihr aufgrund der von der Klägerin ausgesprochenen Kündigung dem Grunde nach ein Anspruch auf Vergütung gemäß § 649 BGB a.F. i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B zustehe. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts legten beide Parteien Beschwerde ein; diese Beschwerden wurden bei dem Bundesgerichtshof unter dem gemeinsamen Aktenzeichen VII ZR 223/11 geführt. Mit Beschluss vom wies der Bundesgerichtshof die Beschwerde der Beklagten zurück, ließ jedoch auf die Beschwerde der Klägerin hin die Revision zu. Auf die Revision der Klägerin hob der Bundesgerichtshof sodann mit Urteil vom (BauR 2013, 987 = NZBau 2013, 300) das Berufungsurteil im Kostenpunkt und insoweit auf, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden war und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Nach neuer Verhandlung wies das Berufungsgericht mit Urteil vom die Berufung der Beklagten gegen das vom Landgericht erlassene Zwischenfeststellungsurteil zurück und erlegte die Verfahrenskosten - auch hinsichtlich des Revisionsverfahrens und der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten - der Beklagten auf.

3Nachdem die Berufungsentscheidung vom rechtskräftig geworden war, hat das die von der Beklagten der Klägerin zu erstattenden Kosten auf 800.468,80 € nebst Zinsen festgesetzt; dabei hat es die Anwaltskosten der Klägerin im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren bei dem Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen VII ZR 223/11 in Höhe von 237.714,80 € berücksichtigt und die Festsetzung eines höheren Betrags abgelehnt. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Klägerin, die Entscheidung des Beschwerdegerichts aufzuheben, soweit es ihre sofortige Beschwerde wegen eines Betrages von 143.875,80 € zurückgewiesen hat, und auf die sofortige Beschwerde den Kostenfestsetzungsbeschluss des abzuändern und die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 944.344,60 € (= 800.468,80 € + 143.875,80 €) nebst Zinsen festzusetzen.

II.

4Die aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

51. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss vom sei nicht zu beanstanden, weil es sich bei den von der Klägerin und der Beklagten gegen das Berufungsurteil vom erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden aus gebührenrechtlicher Sicht um eine Angelegenheit gehandelt habe. Werde ein Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit tätig, könne er die Gebühren gemäß § 15 Abs. 2 RVG nur einmal fordern.

62. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

7Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die anwaltliche Vertretung der Klägerin bezüglich der beiden Nichtzulassungsbeschwerden dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG darstellt.

8a) Ob von einer oder mehreren Angelegenheiten auszugehen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantworten, wobei insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags maßgeblich ist. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen betreffen in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielrichtung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen anwaltlicher Tätigkeit gesprochen werden kann ( Rn. 6 m.w.N., NJW-RR 2016, 883).

9Im gerichtlichen Verfahren wird der für die Bejahung einer Angelegenheit notwendige Zusammenhang grundsätzlich schon dadurch hergestellt, dass das Gericht von einer Trennung der Verfahren wegen ihres Sachzusammenhangs absieht oder bei zwei ursprünglich getrennten Verfahren wegen ihres Sachzusammenhangs eine Verbindung herbeiführt. Regelmäßig ist das gerichtliche Verfahren in einem Rechtszug eine Angelegenheit (vgl. Rn. 7 m.w.N., NJW-RR 2016, 883).

10b) Nach diesen Maßstäben betreffen die beiden Nichtzulassungsbeschwerden dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG. Die Nichtzulassungsbeschwerden waren Gegenstand desselben Gerichtsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof.

11c) Entgegen der Argumentation der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus § 17 Nr. 9 RVG nichts anderes. Diese Vorschrift regelt für die Anwaltsgebühren das Verhältnis der Nichtzulassungsbeschwerde zum nachfolgenden Revisionsverfahren, betrifft aber nicht das Verhältnis mehrerer Nichtzulassungsbeschwerden.

12d) Unerheblich ist der Einwand der Rechtsbeschwerde, mit den Nichtzulassungsbeschwerden seien unterschiedliche Sachgegenstände und Zulassungsgründe geltend gemacht worden. Die Annahme einer Angelegenheit setzt nicht voraus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Von einem einheitlichen Rahmen kann vielmehr auch dann gesprochen werden, wenn der Anwalt mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat (vgl. Rn. 6, NJW-RR 2016, 883).

13e) Ebenfalls unerheblich ist der Einwand der Rechtsbeschwerde, im Hinblick auf die von der Beklagten mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde weiterverfolgten Berufungsanträge hätte ein höherer Gegenstandswert festgesetzt werden müssen. Die Festsetzung des Gegenstandswerts gehört nicht zum Prüfungsumfang des Kostenfestsetzungsverfahrens nach den §§ 104 ff. ZPO, sondern ist der verbindlichen Entscheidung im Verfahren nach § 63 GKG, § 33 RVG vorbehalten (vgl. Rn. 5, NJW-RR 2014, 892). Überdies ist nicht ersichtlich, weshalb ein höherer Gegenstandswert im Hinblick auf die von der Beklagten mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde weiterverfolgten Berufungsanträge zur Folge haben sollte, dass hinsichtlich der beiden Nichtzulassungsbeschwerden von selbständigen Angelegenheiten auszugehen wäre.

14f) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, lässt sich auch aus Nr. 3506 Abs. 2 VV-RVG nicht herleiten, die Nichtzulassungsbeschwerden müssten gebührenrechtlich selbständige Angelegenheiten sein. Nach der genannten Regelung wird die Verfahrensgebühr für das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf die Verfahrensgebühr für ein nachfolgendes Revisionsverfahren angerechnet. Dahinter steht die Erwägung, dass bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Revision weitestgehend vorbereitet werden muss (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 142 zu § 61a Abs. 3 BRAGO a.F., der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu Abs. 4 wurde; § 61a Abs. 4 BRAGO a.F. entspricht Nr. 3506 Abs. 2 VV-RVG). Dieses Ziel der Anrechnung erfordert es nicht, die dem Revisionsverfahren vorausgehende Nichtzulassungsbeschwerde im Verhältnis zu anderen in dem gleichen Verfahren Nichtzulassungsbeschwerden als selbständige Angelegenheit zu behandeln.

15g) Dem von der Rechtsbeschwerde zitierten Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG, NJW 2010, 1625) ist kein den dargestellten Maßstäben widersprechender Obersatz zu entnehmen.

III.

16Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:260918BVIIZB54.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 10 Nr. 45
NJW 2018 S. 3586 Nr. 49
VAAAG-97634