BGH Beschluss v. - 4 StR 68/18

Revision in Strafsachen: Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit durch Verkündung eines zweiten Ausschließungsbeschlusses in nichtöffentlicher Sitzung; Verwirkung des Rügerechts; Anforderungen an den Rügevortrag

Gesetze: § 171b GVG, § 174 Abs 1 S 2 GVG, § 338 Nr 6 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Instanzenzug: LG Baden-Baden Az: 206 Js 15242/10 jug 3 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 61 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es bestimmt, dass neun Monate der verhängten Strafe als vollstreckt gelten. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2Der Beschwerdeführer macht zutreffend den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO geltend. Nachdem die Jugendkammer für die Dauer der Einlassung des Angeklagten die Öffentlichkeit gemäß § 171b GVG ausgeschlossen hatte, beschloss sie noch in der hierdurch angeordneten nichtöffentlichen Verhandlung auf Antrag des Nebenklägervertreters, die Öffentlichkeit auch während der Verlesung früherer Aussagen der Geschädigten „aus den Gründen des vorangegangenen Beschlusses“ auszuschließen.

3Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die Verfahrensrüge zulässig erhoben. Sie ist nicht verwirkt; in dem Umstand allein, dass sich der Verteidiger (wie im Übrigen auch die Staatsanwaltschaft) dem Antrag des Nebenklägervertreters angeschlossen hatte, vermag der Senat keinen Anhaltspunkt für eine Verwirkung zu erkennen (vgl. dazu auch , bei Kusch, NStZ-RR 2000, 33, 40 f.). Auch war der Beschwerdeführer nicht gehalten, sich im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Beruhen des Urteils auf dem gerügten Verstoß denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 338 Rn. 50b; § 344 Rn. 27).

4In der Sache beanstandet der Beschwerdeführer zu Recht, dass der zweite Ausschließungsbeschluss in nichtöffentlicher Sitzung verkündet wurde. Dies verletzte § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG, der grundsätzlich zur Information der Öffentlichkeit über Anlass und Ausmaß der Ausschließung eine öffentliche Verkündung des Beschlusses gebietet (vgl. zur weiteren Ausschließung der Öffentlichkeit nach vorübergehendem Ausschluss , NJW 1980, 2088; Beschluss vom - 5 StR 552/84, NStZ 1985, 37, 38; Beschluss vom , aaO). Ein Ausnahmegrund im Sinne des zweiten Halbsatzes der Vorschrift lag ersichtlich nicht vor.

5Das Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Rechtsfehler ist nicht denkgesetzlich ausgeschlossen; das Landgericht hat die während des erneuten Ausschlusses der Öffentlichkeit verlesenen früheren Aussagen der Nebenklägerin zur Bestätigung des Geständnisses des Angeklagten, mit dem er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe eingeräumt hat, herangezogen.

6Der absolute Revisionsgrund zieht die Aufhebung der Verurteilung des Beschwerdeführers nach sich.

7Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter hat auch Gelegenheit, in den Fällen III. A. 1 bis 61 der Urteilsgründe nähere Feststellungen zu dem in § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom , BGBl. I S. 3007) bezeichneten Obhutsverhältnis zu treffen (vgl. , BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 9 und vom - 5 StR 112/99, bei Pfister, NStZ-RR 1999, 321).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:300718B4STR68.18.0

Fundstelle(n):
XAAAG-97373