BFH Beschluss v. - II B 134/01

Wahrung der Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO

Gesetze: AO § 169

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erließ am eine Arrestanordnung gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), mit der er zur Sicherung eines Erbschaftsteueranspruchs einen dinglichen Arrest in Höhe von ... DM anordnete. Die Anordnung war an den Kläger unter einer amerikanischen Anschrift gerichtet und gemäß den Regeln für eine Zustellung im Ausland auf den Weg gebracht worden. Sie ist dem Kläger nicht zugegangen, weil sie —so das Schreiben des zuständigen deutschen Generalkonsulats vom — nicht in Empfang genommen wurde. In Vollzug des Arrestes erließ das FA am 10. Juni und Pfändungs- und Einziehungsverfügungen, mit denen es Bankkonten des Klägers pfändete.

Der Erbschaftsteueranspruch sollte durch den Tod der im Oktober 1990 in den USA verstorbenen Ehefrau des Klägers, einer amerikanischen Staatsangehörigen, entstanden sein. Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, ist der Ansicht, nur den vermächtnisweisen Erwerb in Deutschland belegener Nachlassgrundstücke versteuern zu müssen. Auf der Grundlage einer entsprechenden Erbschaftsteuererklärung hatte das FA zunächst die Steuer für diesen Erwerb bestandskräftig auf ... DM festgesetzt. Nach einer Steueraußenprüfung gelangte es jedoch zu der Annahme, der Kläger sei Alleinerbe seiner Ehefrau und überdies unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig, weil er seinen Wohnsitz in Deutschland beibehalten habe. Als unbeschränkter Alleinerbe habe er auch den Erwerb des in Amerika befindlichen Großteils des Vermögens der Ehefrau zu versteuern.

Der Kläger erhob zunächst im Juli 1998 gegen die Arrestanordnung und sodann am gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen Klage. Am selben Tag erließ das FA einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid, mit dem es die Steuer unter Anrechnung amerikanischer Erbschaftsteuer auf ... DM heraufsetzte. Die Vollziehung dieses Änderungsbescheides setzte es im Juli 1999 gegen Sicherheitsleistung aus. Der Bank teilte es mit, die gepfändeten Konten dienten nunmehr als Sicherheit. Zuvor —nämlich schon am — hatte es der Bank mitgeteilt, eine Einziehung der gepfändeten Forderungen von Amts wegen sei nicht gewollt gewesen. Es werde daher klargestellt, dass es sich bei den Verfügungen vom 10. Juni und um reine Pfändungsverfügungen gehandelt habe. Hilfsweise würden die Einziehungsverfügungen zurückgenommen. Daraufhin beantragte der Kläger in dem Verfahren wegen der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen, die Pfändungsverfügungen aufzuheben und bezüglich der mit diesen verbundenen Einziehungsverfügungen festzustellen, dass sie bis zu ihrer Rücknahme im Januar 1999 rechtswidrig gewesen seien.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage hinsichtlich der Einziehungsverfügungen mangels eines nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlichen Feststellungsinteresses als unzulässig und im Übrigen als unbegründet ab. Es war der Ansicht, die Pfändungsverfügungen seien formell rechtmäßig und hätten anfangs in der ordnungsgemäß zugestellten Arrestanordnung und später in dem in seiner Vollziehung gegen Sicherheitsleistung ausgesetzten, geänderten Erbschaftsteuerbescheid eine ausreichende Grundlage gehabt.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend, ob die vorgeschriebene Zustellung einer Arrestanordnung auch dann gemäß § 324 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) als bewirkt gilt, wenn ein Zugang nie erfolgt ist. Außerdem rügt er eine Abweichung der Vorentscheidung von den Entscheidungen des (BFHE 154, 532, BStBl II 1989, 39) und vom V B 18/94 (BFH/NV 1995, 515) sowie mehrere Verfahrensmängel, nämlich mangelnde Sachaufklärung, das Übergehen von Beweisanträgen sowie einen Verstoß gegen das Erfordernis, der Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Soweit der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend gemacht wird, fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Der Kläger hat zwar eine bestimmte Rechtsfrage herausgestellt, nämlich die, ob die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 auch dann gewahrt ist, ”wenn tatsächlich kein Zugang erfolgt ist"; diese Rechtsfrage ist jedoch bei wörtlichem Verständnis bereits höchstrichterlich geklärt. Sie ist auf einen Sachverhalt bezogen, bei dem dem Bescheidadressaten nicht nur der rechtzeitig abgesandte Bescheid nicht zugegangen ist, sondern auch kein nach Fristablauf erneut abgesandter inhaltsgleicher Bescheid. Die Rechtsfrage ist auch in diesem Wortsinne gemeint, wie aus der den betreffenden Teil der Beschwerdebegründung abschließenden Feststellung des Klägers hervorgeht, dass ”tatsächlich…eine Bekanntgabe der angeblichen Arrestanordnung…an den Kläger unstreitig…nie erfolgt” ist. Mit diesem Inhalt aber ist die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich dahin entschieden, dass die Frist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 jedenfalls dann nicht gewahrt ist, wenn bei fehlgeschlagener Bekanntgabe des rechtzeitig abgesandten Bescheides nach Fristablauf nicht noch einmal ein inhaltsgleicher Bescheid erlassen wird, der dem Adressaten tatsächlich zugeht (so , BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518; vom IV R 64/96, BFHE 186, 94, BStBl II 1998, 556, sowie vom V R 24/97, BFH/NV 1999, 281). Wieder offen ist durch den Vorlagebeschluss des erkennenden Senats vom II R 47/98 (BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695) bis zur Entscheidung des Großen Senats die davon zu unterscheidende Rechtsfrage, ob nicht bereits der rechtzeitig abgesandte Bescheid —wenn auch erst nach Fristablauf— zugegangen sein muss, um die Fristwahrung nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 zu bewirken.

Einen Grund zur Zulassung der Revision i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO hat der Kläger hinsichtlich der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage weder ausdrücklich noch sinngemäß (schlüssig) dargetan.

Auf sich beruhen kann, ob sich im Streitfall die aufgeworfene Rechtsfrage aus dem weiteren Grund nicht stellt, dass das nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers nicht dargetan ist.

2. Auch die Abweichung der Vorentscheidung von den genannten Urteilen des BFH ist nicht ausreichend dargelegt. Der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfasst auch die vom Kläger behauptete Abweichung des angefochtenen Urteils des FG von Entscheidungen des BFH (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 116 Anm. 40 und § 115 Anm. 49). Zur Darlegung dieser Abweichung hätte der Kläger jedoch in substantiierter Form tragende Rechtssätze der Vorentscheidung einerseits und der angegebenen Entscheidungen des BFH andererseits einander gegenüberstellen müssen (vgl. , BFH/NV 2002, 205). Dies ist nicht geschehen.

Der Kläger hat zwar einen abstrakten Rechtssatz aus den beiden zitierten Entscheidungen des BFH herausgestellt, diesem aber keinen abstrakten Rechtssatz aus der Vorentscheidung gegenübergestellt, aus dem eine Abweichung hätte erkennbar werden können. Stattdessen bemängelt er, das FG habe verkannt, dass der vorliegende Sachverhalt die Anwendung des BFH-Rechtssatzes auf den Streitfall geboten hätte. Dies läuft auf eine Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung hinaus.

Auch dazu, dass die geltend gemachte fehlerhafte Rechtsanwendung des FG es unabhängig von den Voraussetzungen einer schlüssigen Divergenzrüge erforderte, durch eine Entscheidung des BFH eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern, ist der Beschwerdebegründung nichts zu entnehmen.

3. Hinsichtlich der vom Kläger gerügten Verfahrensmängel ist die Beschwerde ebenfalls unzulässig. Soweit der Kläger rügt, das FG habe den Sachverhalt unvollständig aufgeklärt und Beweisanträge übergangen (§ 76 Abs. 1 FGO), ist die Beschwerde unzulässig, weil es insoweit an einer ausreichenden Begründung gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO fehlt. Der Kläger trägt zu dieser Rüge nicht vor, was das FG noch hätte aufklären und welche Beweise es noch hätte erheben müssen, sondern bemängelt insoweit nur, dass das FG den Sachvortrag über die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gegen Bedienstete der Finanzverwaltung sowie die zum geltend gemachten Rehabilitierungsinteresse vorgelegten Belege bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe. Diesen Verfahrensrügen kommt daher im Streitfall neben dem geltend gemachten Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO keine selbständige Bedeutung zu.

Hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 FGO wiederum entspricht die Beschwerde ebenfalls nicht den Begründungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, weil sich der Kläger insoweit nicht auf den Boden der Rechtsauffassung des FG stellt (vgl. dazu Ruban in Gräber, a.a.O., § 120 Anm. 72), sondern von seiner eigenen Rechtsauffassung über die Bedeutung der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und der in das finanzgerichtliche Verfahren bereits eingeführten Belege ausgeht.

Fundstelle(n):
LAAAA-70100