BFH Urteil v. - I R 4/02

Gewerbesteuerliche Zurechnung von Gewinnen bei Vorliegen einer inländischen Geschäftsleitungs-Betriebsstätte und ausländischen Betriebsstätten i. S. des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO

Gesetze: GewStG § 9 Nr. 3; AO § 12

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Einkünfte des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind und deshalb nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Ferner ist streitig, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) nach Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten kann.

Der Kläger betrieb in den Streitjahren (1991 bis 1995) ein Einzelunternehmen, das bei dem Aufbau moderner Leitungsnetze für Telefongesellschaften mitwirkte. Für die neu zu verlegenden Telefonleitungen wurden von Tiefbauunternehmen Schächte ausgehoben und die Telefonkabel verlegt. Aufgabe des Klägers war es sodann, die Kabel miteinander zu verbinden und von dem öffentlichen Leitungsnetz aus die Hausanschlüsse für die Abnehmer zu erstellen sowie in den einzelnen Häusern Verteilerkästen einzubauen. Der Kläger wohnte zusammen mit seiner Ehefrau im Inland, und zwar in einem Einfamilienhaus in S, in dem er u.a. ein für sein Unternehmen genutztes Büro eingerichtet hatte.

In den Streitjahren war der Kläger, abgesehen von einem im Jahr 1991 im Inland durchgeführten Auftrag, ausschließlich in Luxemburg tätig. Zu diesem Zweck fuhr er zusammen mit seinen Mitarbeitern regelmäßig montags nach Luxemburg, von wo aus er freitags nach S zurückkehrte. In Ausnahmefällen arbeitete der Kläger auch am Wochenende in Luxemburg. Das für die Arbeiten notwendige Material wurde von der Auftraggeberin gestellt, während der Kläger die eingesetzten Baufahrzeuge und das erforderliche Werkzeug stellte. Zum Abstellen der Fahrzeuge hatte der Kläger in Luxemburg eine Halle angemietet.

Da die Arbeiten in den einzelnen Baubezirken nicht in einem Zug ausgeführt werden konnten, sondern vom Fortschritt der damit verbundenen Tiefbauarbeiten abhängig waren, arbeitete der Kläger jeweils in mehreren Baubezirken gleichzeitig. Die Baustellen, an denen er jeweils zu arbeiten hatte, wurden ihm täglich von Mitarbeitern des Fernmeldeunternehmens zugewiesen. Die Abwicklung eines Vertrags für einen Baubezirk dauerte im Durchschnitt etwa zwei Jahre.

Das FA erfasste die vom Kläger erklärten Gewinne aus der Tätigkeit in Luxemburg jeweils als steuerpflichtigen Gewerbeertrag. Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) statt; es entschied, dass nur der in 1991 aus der Tätigkeit im Inland erzielte Gewinn bei der Ermittlung des Gewerbeertrags zu erfassen sei, und änderte die Steuerbescheide für die Streitjahre entsprechend ab.

Das Urteil des FG wurde dem FA am zugestellt. Das FA hat mit einem vom datierenden Schreiben die vom FG zugelassene Revision eingelegt. Nachdem dieses Schreiben erst am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen und das FA mit Schreiben des hierüber unterrichtet worden war, hat es mit Telefaxschreiben vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung vorgetragen, die Revisionsschrift sei am zur Post gegeben worden. Im weiteren Verlauf hat es eine Bescheinigung der Deutschen Post Euro Express vorgelegt, nach der dort am ein an den BFH gerichtetes Schreiben des FA eingeliefert worden und dieses Schreiben am vom Empfänger entgegengenommen worden ist.

Mit der Revision macht das FA geltend, dass der Kläger in Luxemburg keine Betriebsstätte unterhalten habe. Es beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

II. Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hat zwar zu Recht entschieden, dass der Kläger in den Streitjahren Betriebsstätten in Luxemburg besessen hat. Seine Feststellungen lassen aber keine abschließende Beantwortung der Frage zu, ob und ggf. in welchem Umfang die streitigen Gewerbeerträge diesen Betriebsstätten zuzurechnen sind.

1. Die Zulässigkeit der Revision scheitert nicht daran, dass die Revisionsschrift erst am —und damit nach Ablauf der gesetzlichen Revisionsfrist— beim BFH eingegangen ist. Denn dem FA ist, seinem Antrag entsprechend, Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist zu gewähren.

a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Diese Revisionsfrist endete im Streitfall, da das Urteil des FG dem FA am zugestellt wurde, mit Ablauf des . Sie ist unstreitig nicht gewahrt worden.

b) Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist jedoch demjenigen, der ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Diese Situation liegt im Streitfall vor. Denn der verspätete Eingang der Revisionsschrift beim BFH beruht auf einer verzögerten Postzustellung, die das FA nicht zu vertreten hat.

aa) Das FA hat glaubhaft gemacht, dass es die Revisionsschrift am bei der Post aufgegeben hat. Es hat hierzu die Ablichtung eines Aktenvermerks vorgelegt, ausweislich dessen die Revisionsschrift an diesem Tag der Poststelle des FA übergeben worden ist und von dort aus die Aufgabe zur Post ”heute” erfolgen sollte. Ferner ergibt sich aus der von ihm vorgelegten Bescheinigung der Deutschen Post AG, dass am Nachmittag des eine an den BFH adressierte Sendung bei der Post eingeliefert und dass diese Sendung am beim BFH eingetroffen ist. Das von der Post bescheinigte Abgabedatum () stimmt wiederum mit dem Datum des Eingangs der Revisionsschrift beim BFH überein. Angesichts dessen ist der Senat davon überzeugt, dass die Bescheinigung der Deutschen Post AG sich auf diejenige Sendung bezieht, in der die Revisionsschrift enthalten war. Die von dem Kläger angedeutete Möglichkeit, dass es eine weitere am vom FA an den BFH abgesandte und am dort eingegangene Postsendung geben könnte und dass sich die vorgelegte Bescheinigung auf diese Sendung bezieht, ist fernliegend und steht der Glaubhaftigkeit der Darstellung des FA nicht entgegen.

bb) Vor diesem Hintergrund durfte das FA darauf vertrauen, dass die Revisionsschrift vor Ablauf der Revisionsfrist beim BFH eingehen würde. Denn zwischen dem Aufgabedatum und dem Fristablauf lagen mehr als drei Werktage, was auch unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage als einzukalkulierende Postlaufzeit ausreichte (vgl. Senatsurteil vom I R 108, 109/98, BFH/NV 2000, 1071, 1072, m.w.N.). Das gilt umso mehr, als die Sendung mit der Revisionsschrift zur Expressbeförderung aufgegeben wurde. Vor diesem Hintergrund ist dem Wiedereinsetzungsantrag des FA stattzugeben mit der Folge, dass die Versäumung der Revisionsfrist geheilt ist.

2. In der Sache ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger in den Streitjahren im Inland einen stehenden Gewerbebetrieb betrieben hat, mit dem er gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) der Gewerbesteuer unterlag. Dass der Kläger gewerblich i.S. des Einkommensteuergesetzes tätig war und dass diese Betätigung einen Gewerbebetrieb i.S. des GewStG begründet (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG), ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Dieser Gewerbebetrieb ist ”im Inland” betrieben worden, da sich in dem Haus des Klägers in S die Geschäftsleitung und damit eine Betriebsstätte des Betriebs befand.

a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG wird ein Gewerbebetrieb im Inland betrieben, soweit für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Dabei richtet sich der Inhalt des Begriffs ”Betriebsstätte” nach § 12 der Abgabenordnung (AO 1977). Hiernach zählt zu den Betriebsstätten u.a. die Stätte der Geschäftsleitung (§ 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977).

b) Das FG hat zutreffend entschieden, dass sich die Geschäftsleitung des vom Kläger betriebenen Unternehmens in den Streitjahren im Inland befunden hat.

aa) § 10 AO 1977 definiert die ”Geschäftsleitung” als den ”Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung”. Nach der Rechtsprechung des BFH ist dies der Ort, an dem der für die Geschäftsleitung maßgebliche Wille gebildet wird und die für die Geschäftsführung notwendigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86, m.w.N.).

bb) Nach den Feststellungen des FG hat sich zwar der Kläger, der als die maßgebliche geschäftsleitende Person anzusehen ist, in den Streitjahren überwiegend in Luxemburg aufgehalten. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Geschäftsleitungsort seines Betriebs in Luxemburg lag. Denn das FG hat ebenfalls ungerügt und damit für das Revisionsverfahren bindend festgestellt, dass der Kläger an den Wochenenden zumeist nach S zurückgekehrt ist und dass sich dort das einzige Büro des Unternehmens befand. In diesem Büro wurden nach den Feststellungen des FG wesentliche kaufmännische Arbeiten (z.B. Ausarbeitung von Angeboten) verrichtet, was in Luxemburg mangels ausreichender Unterlagen nicht möglich war. Nach dem maßgeblichen Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse (hierzu BFH-Urteil in BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86, 87, m.w.N.) befand sich mithin in S ein fester Bezugspunkt für die Leitungstätigkeit des Klägers, während in Luxemburg ein solcher nicht vorhanden war. Angesichts dessen ist die Würdigung des FG, als Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung des Unternehmens sei das Büro in S anzusehen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. Das FG hat ferner richtig erkannt, dass der vom Kläger erzielte Gewinn nicht der Gewerbesteuer unterliegt, soweit er Betriebsstätten des Klägers in Luxemburg zuzurechnen ist. Das folgt nicht nur aus § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG (dazu Gosch in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 9 GewStG Rz. 212), sondern auch aus § 9 Nr. 3 GewStG. Danach ist die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags zu kürzen, der nicht auf eine im Inland belegene Betriebsstätte entfällt. Im Ergebnis gehen mithin auf ausländische Betriebsstätten entfallende Gewinne nicht in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ein.

4. Schließlich hat das FG zutreffend angenommen, dass der Kläger in den Streitjahren in Luxemburg Betriebsstätten unterhalten hat. Denn nach dem insoweit maßgeblichen § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 zählen zu den Betriebsstätten u.a. Bauausführungen und Montagen, wenn entweder die einzelne Bauausführung oder Montage oder eine von mehreren zeitlich nebeneinander bestehenden Bauausführungen oder Montagen oder mehrere ohne Unterbrechung aufeinander folgende Bauausführungen oder Montagen länger als sechs Monate dauern. Dasselbe gilt, wenn mehrere Bauausführungen oder Montagen sich zeitlich überschneidend über mehr als sechs Monate hinziehen (Senatsurteil vom I R 74/98, BFHE 188, 113, BStBl II 1999, 365). Die Feststellungen des FG tragen dessen Annahme, dass diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind.

a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des FG, dass der Kläger in Luxemburg Arbeiten ausgeführt hat, die unter § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 fallen. Die Tätigkeit des Klägers bestand nach den unangefochtenen und deshalb im Revisionsverfahren bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG darin, am Aufbau eines Netzes von Telefonleitungen mitzuwirken, indem er Hausanschlüsse für die Telefonkunden erstellte und im Zusammenhang damit Telefonkabel verband und Verteilerkästen anbrachte. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies steuerrechtlich als Bauausführung oder —wie das FG meint— als Montage anzusehen ist. Jedenfalls handelte es sich nicht um bloße Reparaturmaßnahmen, die beiden Begriffen nicht unterfallen (Senatsbeschluss vom I B 136/53 U, BFHE 58, 705, BStBl III 1954, 179, 180; Senatsurteil vom I R 99/97, BFHE 189, 292, BStBl II 1999, 694, 696, m.w.N.).

b) Das FG hat ferner festgestellt, dass die so bezeichnete Tätigkeit des Klägers während der gesamten Streitjahre angedauert hat. Zudem ist dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, dass die einzelnen Arbeiten entweder parallel zueinander stattgefunden haben oder ohne größeren zeitlichen Abstand aufeinander gefolgt sind. Damit bestanden während der gesamten Dauer der Arbeiten in Luxemburg Betriebsstätten des Klägers i.S. des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977. Die in der Revisionsbegründung erörterte Frage, ob durch die Tätigkeit des Klägers zugleich eine Betriebsstätte i.S. des deutsch-luxemburgischen Doppelbesteuerungsabkommens begründet wurde, ist für die gewerbesteuerrechtliche Behandlung des Vorgangs unerheblich.

5. Im Ergebnis ist dem FG mithin darin beizupflichten, dass die auf die Luxemburger Betriebsstätten entfallenden Teile des Gewerbeertrags nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Daraus folgt jedoch nicht, dass —wie in dem angefochtenen Urteil geschehen— sämtliche Gewinne des Klägers bis auf denjenigen aus dem inländischen Auftrag von der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer auszunehmen sind. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass bei Bestehen einer ausländischen Betriebsstätte nur derjenige Gewerbeertrag von der Gewerbesteuerpflicht ausgenommen ist, der auf die betreffende Betriebsstätte entfällt (, BFHE 143, 284, BStBl II 1985, 405). Der darüber hinausgehende Ertrag unterliegt auch in diesem Fall der Gewerbesteuer.

Der auf eine ausländische Betriebsstätte ”entfallende” Gewerbeertrag ist derjenige Teil des gesamten Gewerbeertrags, der im Rahmen des Gesamtunternehmens durch die in der ausländischen Betriebsstätte ausgeübte oder ihr zuzurechnende unternehmerische Betätigung erzielt worden ist (Senatsurteil vom I R 200/67, BFHE 102, 524, BStBl II 1971, 743). Angesichts dessen ist im Streitfall zweifelhaft, ob die mit den Arbeiten in Luxemburg verbundenen Gewinne des Klägers insgesamt den dortigen Betriebsstätten zugerechnet werden können. Vielmehr steht die Möglichkeit im Raum, dass auch im Hinblick auf diese Arbeiten ein Teil der erzielten Erträge auf die dem Inlandsbereich zuzuordnende Geschäftsleitungstätigkeit entfällt. Dieser Frage ist das FG nicht nachgegangen. Das kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden, weshalb das Verfahren zu diesem Zweck an das FG zurückverwiesen werden muss.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 83
BFH/NV 2004 S. 83 Nr. 1
MAAAA-70036