Online-Nachricht - Donnerstag, 17.05.2018

Verbraucherschutz | Unionsrichtlinie auf Bildungseinrichtungen anwendbar (EuGH)

Die Unionsrichtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen kann auf eine Bildungseinrichtung anwendbar sein. Das nationale Gericht muss von Amts wegen die Missbräuchlichkeit von Klauseln in von der Richtlinie erfassten Verträgen zwischen Bildungseinrichtungen und Studierenden prüfen ().

Sachverhalt: Frau Susan Kuijpers war während der akademischen Jahre 2012/2013 und 2013/2014 Studierende an einer Bildungseinrichtung in Belgien (Karel de Grote – Hogeschool). Sie konnte den Gesamtbetrag von 1.546 Euro, den sie als Studiengebühren und als Beitrag für eine Studienreise schuldete, nicht auf einmal begleichen. Sie schloss daher mit der Bildungseinrichtung einen schriftlichen Vertrag über ein zinsloses Teilzahlungsdarlehen ab. Gemäß diesem Vertrag erhielt sie vom Dienst „Studierendenförderung“ der Bildungseinrichtung den zur Schuldbegleichung benötigten Betrag. Sie hatte für die Dauer von sieben Monaten jeweils 200 Euro monatlich an den Dienst zu entrichten. Der Restbetrag (146 Euro) war bis zum zu zahlen. Zudem sah der Vertrag bei Nichtzahlung Zinsen in Höhe von 10 % jährlich (ohne dass es einer Mahnung bedurfte) und eine Entschädigung zur Deckung der Beitreibungskosten (in Höhe von 10 % der Restschuld, mindestens aber 100 Euro) vor. Auch nachdem Frau Kuijpers ein förmliches Aufforderungsschreiben erhalten hatte, leistete sie keine Zahlung. Im Jahr 2015 erhob die Bildungseinrichtung beim Vredegerecht te Antwerpen (Friedensgericht Antwerpen, Belgien) Klage gegen Frau Kuijpers auf Zahlung der Hauptforderung in Höhe von 1.546 Euro nebst Verzugszinsen von 10 % ab dem (entspricht 269,81 Euro) und Kostenersatz in Höhe von 154,60 Euro. Vor diesem Gericht erschien Frau Kuijpers weder persönlich, noch ließ sie sich vertreten.

In diesem Zusammenhang hat das belgische Gericht beschlossen, den Gerichtshof zu befragen. Es möchte zunächst wissen, ob es im Rahmen eines Versäumnisverfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob auf den Vertrag die Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anwendbar ist. Außerdem möchte es wissen, ob eine Bildungseinrichtung, die im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, als ein „Gewerbetreibender“ im Sinne der Richtlinie anzusehen ist, wenn sie Studierenden ein Teilzahlungsdarlehen gewährt.

Der EuGH führte hierzu Folgendes aus:

  • Ein nationales Gericht muss von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel prüfen. Diese Pflicht bedeutet auch, dass das nationale Gericht prüfen muss, ob der Vertrag, der die Klausel enthält, in den Anwendungsbereich der Unionsrichtlinie fällt.

  • Der Begriff "Gewerbetreibender" ist weit zu fassen. Es handelt sich nämlich um einen funktionalen Begriff, d. h. es ist zu beurteilen, ob die Vertragsbeziehung innerhalb der Tätigkeiten liegt, die eine Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt.

  • Außerdem scheint es, dass die Rechtssache nicht unmittelbar den Lehrauftrag der fraglichen Bildungseinrichtung betrifft. Es geht vielmehr um eine Leistung, die diese Einrichtung neben und in Ergänzung zu ihrer Lehrtätigkeit erbringt und die darin besteht, einer Studierenden vertraglich die zinslose Teilzahlung geschuldeter Beträge anzubieten. Eine solche Leistung läuft jedoch naturgemäß darauf hinaus, die Zahlung einer bestehenden Schuld zu erleichtern, und stellt grundsätzlich einen Darlehensvertrag dar.

  • Die Bildungseinrichtung handelt daher grundsätzlich im Sinne der Richtlinie, wenn sie eine solche ihre Lehrtätigkeit ergänzende Nebenleistung erbringt.

  • Gestützt wird diese Auslegung durch den Schutzzweck der Richtlinie. Im Rahmen eines Vertrags herrscht nämlich grundsätzlich eine Ungleichheit zwischen der Bildungseinrichtung und der Studierenden, die sich aus der Asymmetrie ergibt, die zwischen diesen Parteien im Bereich der Information und der technischen Fähigkeiten besteht.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 67/18 (Ls)

Fundstelle(n):
NWB KAAAG-83888