BGH Beschluss v. - 3 StR 541/17

Einschleusen von Ausländern: Urteilsfeststellungen bei rechtsmissbräuchlich aber verwaltungsrechtlich wirksam erlangtem Visum

Gesetze: § 95 Abs 1 Nr 3 AufenthG, § 95 Abs 6 AufenthG

Instanzenzug: LG Verden Az: 7 KLs 12/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und banden-mäßigen Einschleusens von Ausländern in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und eine Verfahrensbeanstandung gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Rüge der Verletzung von § 258 Abs. 2 StPO hat aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.

32. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zu den Fällen II.1.-3. und II.5.-8. der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Im Fall II.4. der Urteilsgründe kann die Verurteilung wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern hingegen keinen Bestand haben.

4a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen gehörte der in Istanbul agierende Angeklagte ab Dezember 2013 einer Schleusergruppierung an, innerhalb derer er insbesondere für die Organisation und Koordination der jeweiligen Reisen verantwortlich war. Unter anderem aufgrund seiner Kontakte zu Mitarbeitern bei den brasilianischen und griechischen Konsulaten konnte er für die zu schleusenden Personen Visa "organisieren bzw. erschleichen". Im Frühjahr des Jahres 2014 erhielt die Gruppierung den Auftrag, eine türkische Staatsangehörige von der Türkei nach Deutschland zu schleusen; deren Antrag auf Erteilung eines deutschen Visums war im Sommer 2013 von der deutschen Botschaft in Ankara abgelehnt worden. Der Angeklagte "organisierte" für die türkische Staatsangehörige bei einem Mitarbeiter des griechischen Konsulats in Istanbul ein Schengen-Visum und buchte für sie Hin- und Rückflug von Istanbul nach Berlin und zurück. Am reiste sie in das Bundesgebiet ein, "ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein". Wegen des Verdachts der Visumserschleichung wurde die türkische Staatsangehörige am Flughafen Berlin-Tegel in polizeilichen Gewahrsam genommen; das von ihr vorgezeigte Schengen-Visum wurde "annulliert". Als Schleuserlohn erhielt die Gruppierung 7.500 €, von denen 7.000 € an den Angeklagten weitergeleitet wurden.

5In der Beweiswürdigung zu diesem Fall hat die Strafkammer ausgeführt, gegenüber einem weiteren Mitglied der Gruppierung habe der Angeklagte erklärt, er kenne einen Mitarbeiter beim griechischen Konsulat und habe "so ein Schengen-Visum für das Mädchen" erhalten. In der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht angenommen, der Angeklagte habe - gewerbsmäßig und zusammen mit anderen Bandenmitgliedern - in diesem Fall einer Ausländerin, die aufgrund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels in das Bundesgebiet eingereist sei, Hilfe geleistet.

6b) Auf der Grundlage der getroffenen, sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergebenden Feststellungen erweist sich die Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern als rechtsfehlerhaft, denn der festgestellte Sachverhalt trägt die rechtliche Wertung nicht, die türkische Staatsangehörige sei unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Mithin ist die Haupttat, zu der der Angeklagte Hilfe geleistet haben soll, nicht belegt. Dazu im Einzelnen:

7aa) Nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG macht sich strafbar, wer entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AufenthG in das Bundesgebiet einreist; nach letztgenannter Vorschrift ist die Einreise unerlaubt, wenn ein Ausländer entweder den erforderlichen Pass oder Passersatz (Nr. 1) oder den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt (Nr. 2). Soweit das Landgericht in den Feststellungen ausgeführt hat, die türkische Staatsangehörige sei eingereist, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels gewesen zu sein, steht dies im Widerspruch zu den weiteren Ausführungen der Strafkammer, sie habe über ein Schengen-Visum verfügt; denn ein solches stellt gerade einen Aufenthaltstitel im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dar.

8bb) Aus der rechtlichen Würdigung lässt sich entnehmen, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, das Visum sei durch Drohung, Be-stechung oder Kollusion erwirkt oder durch unvollständige Angaben erschlichen worden. Ein solches Visum ist indes nicht unwirksam: Der unlautere Erwerb führt nicht zur Unwirksamkeit des Titels im Sinne des § 50 Abs. 1 AufenthG, es liegt auch kein Erlöschensgrund im Sinne von § 51 AufenthG vor. In verwaltungsrechtlicher Hinsicht bleibt es deshalb dabei, dass der Aufenthaltstitel bis zu seinem Widerruf nach § 52 AufenthG oder seiner Rücknahme nach § 48 VwVfG wirksam ist (allg. Meinung; vgl. , BGHSt 57, 239, 243; Bergmann/Dienelt/Winkelmann, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 49; MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 37 mwN; BeckOK AuslR/Hohoff, § 95 AufenthG Rn. 20; Kretschmer, Ausländerstrafrecht, § 4 Rn. 69). Allerdings ergibt sich aus § 95 Abs. 6 AufenthG, dass eine Einreise mit einem durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitel einer solchen ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel gleichgestellt wird; dies gilt indes nur für die strafrechtliche Beurteilung etwa nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (Kretschmer aaO; MüKoStGB/Gericke aaO, § 95 AufenthG Rn. 53, 119 mwN).

9cc) Ist danach hier eine Strafbarkeit der türkischen Staatsangehörigen trotz der Einreise mit einem verwaltungsrechtlich wirksamen Visum nicht ausgeschlossen, reichen die bislang von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nicht aus, um von einem rechtsmissbräuchlich erlangten Visum im Sinne von § 95 Abs. 6 AufenthG ausgehen zu können. Hierzu gilt:

10Indem ein zwar rechtsmissbräuchlich erlangter, verwaltungsrechtlich aber wirksamer begünstigender Verwaltungsakt wie der Aufenthaltstitel in der strafrechtlichen Überprüfung als nicht existent behandelt wird, wird der im Übrigen im Ausländerstrafrecht geltende Grundsatz der strengen Verwaltungsakzessorietät durchbrochen (BeckOK AuslR/Hohoff aaO; Kretschmer aaO). Damit wird ein verwaltungsrechtlich ausdrücklich erlaubtes Verhalten - etwa die Einreise mit einem zwar rechtsmissbräuchlich erlangten aber wirksamen Visum - strafrechtlich sanktioniert (MüKoStGB/Gericke aaO, § 95 AufenthG, Rn. 119; BeckOK AuslR/Hohoff aaO). Im Strafverfahren ist deshalb jedenfalls aufzuklären, ob die genannten Verhaltensweisen - und welche im konkreten Fall - für die Erteilung des Aufenthaltstitels kausal geworden sind (MüKoStGB/Gericke aaO mwN; vgl. , BGHSt 57, 239, 242; auch Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 278 ff. hebt das Kausalitätserfordernis hervor; vgl. zur Vorschrift des § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB, an dem sich der Gesetzgeber bei der Einführung von § 95 Abs. 6 AufenthG orientiert hat SK-StGB/Schall, 9. Aufl., § 330d Rn. 49 und MüKoStGB/Schmitz, 2. Aufl., § 330d Rn. 33, die beide weiter davon ausgehen, dass der unlauter erlangte, begünstigende Verwaltungsakt auch materiell rechtswidrig sein müsse; so auch S/S-Hecker/Heine, StGB, 29. Aufl., § 330d Rn. 30 f.; SSW/Saliger, StGB, 3. Aufl., § 330d Rn. 15).

11Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, der Angeklagte habe über seine Kontakte zu Konsulatsmitarbeitern Visa "organisieren bzw. erschleichen" können, nicht. Daraus ergibt sich schon nicht, ob der Angeklagte die Konsulatsmitarbeiter bestochen oder mit ihnen kollusiv zusammengewirkt, noch, ob er gegebenenfalls falsche Angaben (etwa zur beabsichtigten Aufenthaltsdauer, vgl. MüKoStGB/Gericke aaO, § 95 AufenthG Rn. 44 mwN) gemacht habe, um so die Ausstellung des Visums zu erreichen. Fehlt es damit schon an der Darlegung der Tatbestandsalternative des § 95 Abs. 6 AufenthG, von der das Landgericht ausgegangen ist, lässt sich den Urteilsgründen auch nicht entnehmen, dass die Ausstellung des Visums auf einer der rechtsmissbräuchlichen Verhaltensweisen beruhte.

123. Im Fall II.4. der Urteilsgründe bedarf die Sache nach alledem umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der für diesen Fall verhängten Einzelstrafe bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler indes nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:090118B3STR541.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 2428 Nr. 33
PAAAG-83454