BGH Beschluss v. - 1 StR 35/17

Unerlaubter Waffenbesitz: Defekte Feder eines Springmessers; letztes Wort des Angeklagten nach Wiedereintritt in die Verhandlung

Gesetze: § 1 Abs 2 Nr 2 Buchst b WaffG, § 2 Abs 2 Anl 2 Abschn 1 Nr 1.4.1 WaffG, § 154 Abs 2 StPO, § 258 Abs 2 StPO

Instanzenzug: LG München II Az: W5 KLs 69 Js 17031/10

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 166 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit zwei tateinheitlichen Fällen des unerlaubten Besitzes verbotener Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, von denen drei Monate aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

2Die vom Angeklagten eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, aus den vom Generalbundesanwalt angeführten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3Das Landgericht hat vorliegend folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

41. Die S.                     GmbH & Co. KG (im Folgenden: S.        ) hatte sich vertraglich verpflichtet, circa 40 Objekte im Großraum M.      zu bewachen und den Pfortendienst zu verrichten. Sie bediente sich hierzu sowohl eigener Mitarbeiter als auch diverser Subunternehmer, an die ein sog. Disponent der S.      die Aufträge weitergab. Der hiesige Angeklagte war einer der Subunternehmer und bediente sich zur Ausführung der Aufträge der S.      wiederum zum Teil eigener Mitarbeiter, zum Teil weiterer untergeordneter Subunternehmer, die ihm teilweise von dem Disponenten Sc.      vermittelt worden waren. Die untergeordneten Subunternehmer waren jedoch entgegen den mit dem Angeklagten abgeschlossenen Verträgen nicht selbständig tätig, sondern abhängig Beschäftigte der S.     . Sie hatten zwar jeweils ein Gewerbe angemeldet, sich im Rahmen eines „Dienstvertrags“ oder „Subunternehmervertrags“ verpflichtet, die entsprechenden Aufgaben eigenverantwortlich und in der Regel ohne Überprüfung des Angeklagten auszuführen, und stellten dem Angeklagten monatliche Rechnungen. Dessen Tätigwerden beschränkte sich jedoch darauf, die Scheinsubunternehmer auf Verlangen des entsprechenden Disponenten Sc.      zu bestimmten Objekten zu schicken. Bei Ablehnung eines Auftrags mussten sich die Scheinsubunternehmer vor Sc.       rechtfertigen. Bei Annahme eines Auftrags erhielten die Scheinsubunternehmer vor Ort S.       -Dienstkleidung, mussten sich in ein Wachbuch eintragen und wurden vom Objektleiter der S.      eingewiesen. Der Objektleiter überwachte die Scheinsubunternehmer vor Ort, erstellte ihnen Dienstpläne und war primärer Ansprechpartner für Krankheitsfälle, Urlaub oder Beschwerden. Keiner der neun urteilsgegenständlichen „Scheinsubunternehmer“ wurde von S.      zur Sozialversicherung angemeldet. Es wurden entstandene Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge in Höhe von 417.433,01 Euro nicht abgeführt.

5Es war innerhalb von S.       ab der Ebene der Disponenten bis hin zur Geschäftsführung bekannt und erwünscht, die Bewachungsaufträge mithilfe von Subunternehmern ausführen zu lassen, über die sodann die Abrechnung des Wachpersonals erfolgte. Allen Verantwortlichen bei S.      war bewusst, dass diese Subunternehmer insoweit keine eigenen Bewachungsdienstleistungen erbrachten, sondern das Wachpersonal vollumfänglich in den Betriebsablauf von S.       eingegliedert war und die Subunternehmer als bloße Auszahlungsstelle für Vergütungen dienten, die tatsächlich Arbeitslohn für das Wachpersonal waren. Dieses System war den Geschäftsführern bei S.      bekannt, so dass sie zumindest billigend in Kauf nahmen, dass es sich bei den Scheinsubunternehmern ihrer Subunternehmer tatsächlich um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer der S.      handelte.

6Auch der Angeklagte war sich bewusst, dass er dieser Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen dadurch Vorschub leistete, dass er die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse verschleierte, indem er sämtliche verfahrensgegenständliche Personen als seine Subunternehmer auswies und die Lohnauszahlung an diese vornahm.

72. Am bewahrte der Angeklagte in einem Büroschrank in seiner Wohnung ein Springmesser mit einer Klingenlänge von zehn Zentimetern auf, das aufgrund einer defekten Feder nicht mehr funktionsfähig war. Ferner hatte er Besitz an einem in seinem Pkw befindlichen Butterflymesser mit einer Klingenlänge von mehr als 41 mm. Dem Angeklagten war bewusst, dass es sich jeweils um verbotene Waffen handelte.

II.

8Die auf einer fehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen zwei tateinheitlicher Fälle des unerlaubten Besitzes verbotener Waffen verurteilte. Das in der Wohnung des Angeklagten aufgefundene Springmesser war laut den Feststellungen aufgrund einer defekten Feder nicht mehr funktionstüchtig. Damit entfällt seine Eigenschaft als Springmesser im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG i.V.m. Anl. 2 Abschn. 1 Nr. 1.4.1. Der Umgang mit Springmessern ist aufgrund von deren besonderer Gefährlichkeit durch die mittels einer Feder aus dem Griff herausspringende Klinge unter den Voraussetzungen der Anl. 2 Abschn. 1 Nr. 1.4.1 verboten. Wenn die Feder jedoch wie vorliegend defekt ist, entfällt diese besondere Gefährlichkeit. Das Messer zählt dann nicht mehr zu den verbotenen Springmessern, da die Klinge nicht durch die Feder bewegt wird (vgl. Gade/Stoppa, WaffG, Anl. 2 Rn. 71). Feststellungen dazu, dass es sich bei dem Messer um einen anderen verbotenen Gegenstand im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2b WaffG wie z.B. ein Fallmesser handelte, wurden nicht getroffen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diesbezügliche Feststellungen noch getroffen werden können. Durch den Besitz des defekten Springmessers hat sich der Angeklagte folglich nicht gemäß § 52 Abs. 3, 2 WaffG i.V.m. Anl. 2 Abschn. 1 Nr. 1.4.1 strafbar gemacht. Der Senat berichtigt den Schuldspruch entsprechend.

III.

9Auch der Strafausspruch hat vorliegend keinen Bestand. Insoweit hat der zulässig gerügte Verstoß des Landgerichts gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 und Abs. 3 StPO die Aufhebung des Urteils zur Folge.

101. Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

11Nach den Schlussvorträgen und dem letzten Wort des geständigen Angeklagten wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten, und die Kammer regte bezüglich des Komplexes „B.         für Oktober 2008“ eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO an. Nachdem die Vertreterin der Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag gestellt sowie der Verteidiger und der Angeklagte dem zugestimmt hatten, erging ein entsprechender Einstellungsbeschluss. Anschließend wiederholten zwar die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre Anträge. Der Angeklagte erhielt jedoch vor Urteilsverkündung nicht erneut das letzte Wort.

122. Diese durch das Sitzungsprotokoll bewiesene (§ 274 Satz 1 StPO) Verfahrensweise ist verfahrensfehlerhaft. Jeder Wiedereintritt in die Verhandlung nimmt den Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort, so dass § 258 StPO nach jedem Wiedereintritt erneut zu beachten ist (, BGHSt 22, 278; Beschlüsse vom - 1 StR 380/13, NStZ-RR 2014, 15 und vom - 5 StR 70/14, StraFo 2014, 251). Diese Verpflichtung entfällt nur, wenn nach dem letzten Wort ausschließlich Vorgänge erörtert werden, die auf die gerichtliche Entscheidung keinen Einfluss haben können (, NStZ-RR 2014, 15). Dies ist bei einer teilweisen Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO jedoch nicht der Fall.

13Der aufgezeigte Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO führt zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch. Die Nichterteilung des letzten Wortes begründet nicht ausnahmslos die Revision, sondern nur insoweit, als das Urteil darauf beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 51/09, StraFo 2009, 333; vom - 1 StR 193/13, NStZ 2013, 612 und vom - 1 StR 380/13, NStZ-RR 2014, 15). Vorliegend kann der Senat im Hinblick auf die geständige Einlassung des Angeklagten und die Tatsache, dass sich das Prozessgeschehen nach Wiedereintritt in die Verhandlung nur auf nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Verfahrensteile bezog, ausschließen, dass der Schuldspruch auf dem Verfahrensfehler beruht. Dies gilt indes nicht für den Strafausspruch einschließlich der zugehörigen Feststellungen (vgl. , NStZ 2015, 105). Der Strafausspruch bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

IV.

14Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat, dass der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter neben einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB auch eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB in den Blick zu nehmen hat. Bei § 266a Abs. 1 StGB handelt es sich um ein Sonderdelikt. Das besondere persönliche Merkmal der Arbeitgebereigenschaft fehlt dem hiesigen Angeklagten. Eine weitere Milderung nach §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB neben der nach §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB ist in dieser Konstellation nur dann nicht geboten, wenn die Verurteilung wegen Beihilfe allein deshalb erfolgt, weil das strafbarkeitsbegründende persönliche Merkmal bei dem Tatbeteiligten nicht vorliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153; vom - 1 StR 90/11, NStZ 2011, 645 und vom - 1 StR 234/12, NJW 2013, 949, 950).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:110517B1STR35.17.0

Fundstelle(n):
FAAAG-83453