Online-Nachricht - Donnerstag, 08.03.2018

Reiserecht | Zuständigkeit für Klagen von Fluggästen (EuGH)

Die Fluggesellschaft, die in einem Mitgliedstaat nur den ersten Flug eines Umsteigefluges durchgeführt hat, kann vor den Gerichten am Endziel in einem anderen Mitgliedstaat auf Verspätungsentschädigung verklagt werden. Dies gilt, wenn die verschiedenen Flüge Gegenstand einer einheitlichen Buchung für die gesamte Reise waren und die große Verspätung bei Ankunft am Endziel auf eine Störung zurückzuführen ist, die sich auf dem ersten Flug ereignet hat ( in den verbundenen Rechtssachen - C-274/16, C-447/16 und C-448/16).

Sachverhalt: Fluggäste buchten bei Air Berlin bzw. bei Iberia Flugreisen von Spanien nach Deutschland, die jeweils aus zwei Flügen bestanden (nämlich Ibiza – Palma de Mallorca – Düsseldorf im Fall von Air Berlin und Melilla – Madrid – Frankfurt am Main im Fall von Iberia), wobei die Buchungen jeweils die gesamte Reise umfassten. Die ersten, innerspanischen Flüge wurden für Air Berlin und für Iberia von der spanischen Fluggesellschaft Air Nostrum durchgeführt. In beiden Fällen verspäteten sich diese Flüge (um 45 bzw. 20 Minuten), was zur Folge hatte, dass die Fluggäste ihren Anschlussflug nach Deutschland verpassten. Die Fluggäste erreichten ihr Endziel letztlich mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden.

Wegen dieser Verspätungen erhoben die betroffenen Fluggäste (bzw. an ihrer Stelle das deutsche Unternehmen flightright) bei deutschen Gerichten Klagen gegen Air Nostrum auf Ausgleichszahlung gemäß der Verordnung der Union über die Rechte von Fluggästen. Das Amtsgericht Düsseldorf und der BGH haben Zweifel, ob deutsche Gerichte international zuständig sind für Klagen von Fluggästen gegen eine Fluggesellschaft, die

  1. ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat,

  2. im Rahmen von aus mehreren Teilstrecken bestehenden Flugreisen mit Endziel in Deutschland nur die Flüge auf der jeweils ersten Teilstrecke innerhalb des anderen Mitgliedstaats durchgeführt hat und

  3. nicht der Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist.

Diese beiden Gerichte haben den Gerichtshof gebeten, zu klären, ob in einem solchen Fall die Bestimmungen der Brüssel I-Verordnung anzuwenden sind, nach denen eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Person vor dem Gericht des Erfüllungsorts verklagt werden kann, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden.

Der EuGH führte hierzu u.a. aus:

  • Das Endziel in Deutschland kann nicht nur für den zweiten Flug, sondern auch für den ersten, innerspanischen Flug als Erfüllungsort der zu erbringenden Dienstleistungen angesehen werden.

  • Daraus folgt, dass die deutschen Gerichte grundsätzlich für die Entscheidung über Klagen auf Ausgleichszahlungen, die gegen eine ausländische Fluggesellschaft wie Air Nostrum erhoben werden, zuständig sind.

  • Erstens deckt die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne der Brüssel I-Verordnung eine Klage auf Ausgleichszahlung, die Fluggäste, die von einer großen Verspätung auf einer aus mehreren Teilstrecken bestehenden Flugreise betroffen sind, gemäß der Verordnung über Fluggastrechte gegen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen erheben, das nicht ihr Vertragspartner ist.

  • Zweitens ist bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise „Erfüllungsort“ im Sinne der Brüssel I-Verordnung der Ankunftsort der zweiten Teilstrecke, wenn die Beförderungen auf den beiden Teilstrecken von zwei verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden und die Klage auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung am Ankunftsort auf eine Störung gestützt wird, die auf dem ersten Flug eingetreten ist, der von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist.

  • Die fraglichen Verträge, die durch eine einheitliche Buchung für die gesamte Reise gekennzeichnet sind, begründen die Verpflichtung eines Luftfahrtunternehmens, einen Fluggast von A nach C zu befördern. Eine derartige Beförderung stellt eine Dienstleistung dar, bei der einer der Orte, an denen sie hauptsächlich erbracht wird, C ist. Für eine Fluggesellschaft, die – wie Air Nostrum – nur den ersten Flug von A nach B durchführt, ist es hinreichend vorhersehbar, dass die Fluggäste vor den Gerichten in C gegen sie vorgehen können.

Hinweis:

Der Fluggast kann seine Klage auch bei dem Gericht erheben, in dessen örtliche Zuständigkeit der Abflugort des Fluges fällt (; lesen Sie hierzu auch unsere Online-Nachricht v. 09.07.2009).

In einer anderen Rechtssache hat ein Fluggast eine chinesische Fluggesellschaft, Hainan Airlines, vor den deutschen Gerichten auf Ausgleichszahlung verklagt, weil ihm die Beförderung auf der zweiten Teilstrecke einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise (Berlin – Brüssel – Peking) verweigert worden sei. Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenen Gesetzen und nicht nach der Brüssel I-Verordnung bestimmt, wenn der Beklagte (hier: Hainan Airlines) keinen (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 28/18 v. 07.03.2018 (Ls)

Fundstelle(n):
NWB VAAAG-77818