BAG Urteil v. - 6 AZR 33/17

Stufenzuordnung im Hochschulbereich nach TV-L

Leitsatz

Einschlägige Berufserfahrung aus einer Beschäftigung bei einer anderen Hochschule oder außeruniversitären Forschungseinrichtung wird bei der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L so behandelt, als ob sie beim selben Arbeitgeber iSd. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L erworben worden wäre.

Gesetze: § 16 Abs 2 S 4 TV-L, § 40 Nr 5 Ziff 1 TV-L, § 16 Abs 2 S 2 TV-L, § 16 Abs 3 S 1 TV-L, § 4 Abs 2 S 3 TzBfG

Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 10 Ca 748/16 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 8 Sa 401/16 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Stufenzuordnung des Klägers.

2Der Kläger war vom bis zum als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität (TU) Dresden im Rahmen verschiedener befristeter Arbeitsverhältnisse tätig. Nach den Regelungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) war er in der Entgeltgruppe 13 TV-L eingruppiert. Zuletzt war er Stufe 3 dieser Entgeltgruppe zugeordnet.

3Vom bis zum war er nach den Feststellungen der Vorinstanzen auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Beklagten beschäftigt und wurde ebenfalls nach Entgeltgruppe 13 Stufe 3 TV-L vergütet. Der Beklagte betreibt ein Forschungsinstitut auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaft und ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der TV-L in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.

4§ 40 TV-L enthält Sonderregelungen für Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Diese lauten auszugsweise wie folgt:

5§ 16 Abs. 3 TV-L lautet auszugsweise:

6Mit Schreiben vom wandte sich der Kläger wie folgt an den Beklagten:

7Mit Schreiben vom lehnte der Beklagte eine Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L ab. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers machte mit Schreiben vom wiederum erfolglos eine Bruttolohndifferenz zwischen Stufe 4 und Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L in Höhe von insgesamt 4.899,56 Euro für die Zeit von Dezember 2014 bis einschließlich November 2015 geltend.

8Der Kläger hat mit seiner Klage die Auffassung vertreten, eine Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L habe ihm bereits seit Oktober 2014 zugestanden. Seine bei der TU Dresden erworbene einschlägige Berufserfahrung sei unter Berücksichtigung der Sonderregelung des § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L vollumfänglich bei der Stufenlaufzeit anzurechnen gewesen. Anderenfalls wäre die unionsrechtlich gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit verletzt. Unter Berücksichtigung der nach § 20 TV-L zu leistenden Jahressonderzahlung ergebe sich für den Zeitraum von Oktober 2014 bis einschließlich Dezember 2015 eine auszugleichende Entgeltdifferenz von insgesamt 6.069,78 Euro brutto zzgl. Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe.

9Der Kläger hat daher beantragt,

10Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der Kläger bei der Einstellung unter Berücksichtigung seiner einschlägigen Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L der Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet gewesen sei. Die von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L nicht veränderte Stufenlaufzeit habe nach § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L mit dem neu begonnen, so dass die Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L erst zum erreicht worden sei. Eine Anrechnung von Restlaufzeiten aus einem befristeten Arbeitsverhältnis könne nur bei einer Wiedereinstellung beim selben Arbeitgeber erfolgen. Dies sei hier nicht der Fall.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Gründe

12Die Revision ist begründet. Die Klage ist jedenfalls zum Teil begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger für den Zeitraum von Juni bis einschließlich Dezember 2015 Anspruch auf die begehrte Vergütung nach Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L. Im Übrigen kann der Rechtsstreit durch den Senat noch nicht abschließend entschieden werden. Die durch das Landesarbeitsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen reichen nicht aus, um den Zeitpunkt des Erreichens der Stufe 4 im Jahr 2014 sowie die Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist für Ansprüche bis Juni 2015 beurteilen zu können.

131. Die bei der TU Dresden erworbene einschlägige Berufserfahrung des Klägers war bei der Stufenzuordnung anlässlich seiner Einstellung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L anzuerkennen, wie wenn er sie bei dem Beklagten erlangt hätte. Eine gesetzeskonforme Auslegung des § 16 Abs. 3 TV-L führt dazu, dass die in den befristeten Arbeitsverhältnissen bei der TU Dresden erlangte Berufserfahrung auch bei der Stufenlaufzeit zu berücksichtigen war.

14a) Bei der Einstellung von Beschäftigten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den Entgeltgruppen 13 bis 15 TV-L werden Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung an anderen Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen gemäß § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L im Rahmen der Stufenzuordnung grundsätzlich anerkannt.

15aa) § 16 Abs. 2 TV-L hat den Zweck, einen Arbeitgeberwechsel innerhalb des öffentlichen Dienstes, aber auch aus der Privatwirtschaft in den öffentlichen Dienst zu erleichtern, indem Vorbeschäftigungszeiten anerkannt werden. Bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen iSv. § 40 TV-L gilt diese Zielsetzung in besonderem Maß. Sie sind im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte darauf angewiesen, dass nachteilige Folgen beim Arbeitgeberwechsel vermieden werden, damit die Personalgewinnung nicht von vornherein aussichtslos ist. Hier ist besondere Mobilität erwünscht und oft erforderlich ( - Rn. 23 mwN, BAGE 148, 1). Die tarifliche Zielsetzung einer Privilegierung von wissenschaftlichen Mitarbeitern kommt zudem im zweiten Halbsatz der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L zum Ausdruck.

16bb) Zur Erreichung dieser Zielsetzung hebt § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L als Spezialvorschrift die bei einem Wechsel von einem anderen Arbeitgeber nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L ansonsten geltende „Deckelung“ der Stufenzuordnung auf höchstens Stufe 3 auf (vgl. zu § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L:  - Rn. 15 ff.; - 6 AZR 180/09 - Rn. 11 ff., BAGE 135, 313). Soweit die Rn. 42 des Urteils vom - 6 AZR 23/12 - nicht tragend ein abweichendes Verständnis der Tarifnormen erkennen lässt, hält der Senat daran nicht fest. Die von § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L erfasste Beschäftigtengruppe wird damit denjenigen Beschäftigten gleichgestellt, die einschlägige Berufserfahrung aus einem oder mehreren vorherigen Arbeitsverhältnissen zum selben Arbeitgeber aufweisen und deshalb § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L unterfallen (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand November 2013 Teil II § 40 Rn. 12; Braun in Sponer/Steinherr TV-L Stand August 2014 § 40 Nr. 5 Rn. 10; zum Ausschluss selbständiger Tätigkeit vgl.  - Rn. 57). Ob auch die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L, die sich ihrem Wortlaut nach nur auf § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L bezieht, Anwendung findet, bedarf keiner Entscheidung, weil der Kläger ohne Unterbrechung beschäftigt war (vgl. dazu Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Juli 2014 Teil II § 40 Rn. 41 ff.; Braun in Sponer/Steinherr aaO; BeckOK TV-L/Müller Stand TV-L § 40 Nr. 5 Rn. 3; zu § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L vgl.  - Rn. 24).

17cc) Die Gleichstellung mit Beschäftigten iSv. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L gilt auch bei Auslandsbezug. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L unterscheidet nicht danach, ob die einschlägige Berufserfahrung an einer anderen Hochschule oder Forschungseinrichtung in Deutschland oder im inner- oder außereuropäischen Ausland erworben wurde (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L Stand Juli 2016 Teil B 2 § 40 Nr. 5 Rn. 7; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand September 2009 Teil II § 40 Rn. 23; BeckOK TV-L/Müller Stand TV-L § 40 Nr. 5 Rn. 1e; Braun in Sponer/Steinherr TV-L Stand August 2014 § 40 Nr. 5 Rn. 5). Dies trägt der Struktur weltweit betriebener Forschung Rechnung. In Bezug auf das Gebiet der Europäischen Union ist zugleich ein Konflikt mit Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung ausgeschlossen (vgl. hierzu  - Rn. 30 ff.; - 6 AZR 843/15 - Rn. 20 ff., BAGE 158, 230).

18b) Für den in § 16 Abs. 3 TV-L geregelten Stufenaufstieg, der durch § 40 Nr. 5 TV-L keine Änderung erfahren hat, gelten Stufenlaufzeiten. § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L sieht die Anrechnung der bei der Stufenzuordnung nicht verbrauchten Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus früheren Arbeitsverhältnissen (Restlaufzeiten) nicht ausdrücklich vor. Das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung von Tarifnormen verbietet mit Blick auf § 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG jedoch ein Verständnis des § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L dahin, dass Restlaufzeiten aus früheren befristeten Arbeitsverhältnissen generell unberücksichtigt bleiben.

19aa) Bei gesetzeskonformer Auslegung des § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L beginnt die Stufenlaufzeit mit der Zuordnung des Beschäftigten zu einer Stufe seiner Entgeltgruppe nach seiner Einstellung nicht neu zu laufen, wenn er zuvor bereits befristet bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war und keine schädliche Unterbrechung iSd. Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L vorliegt. Vielmehr ist die Restlaufzeit auf die Stufenlaufzeit anzurechnen. Das gilt unabhängig davon, ob die Einstellung abermals befristet erfolgt oder ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vereinbart wird ( - Rn. 18 ff., BAGE 144, 263). Diese Auslegung berücksichtigt, dass befristet und unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Berufserfahrung vergleichbar sind, wenn es sich um identische oder zumindest gleichwertige Tätigkeiten handelt. In diesem Fall besteht gewissermaßen ein einheitliches, fortgesetztes Arbeitsverhältnis ( - Rn. 66; - 6 AZR 964/11 - Rn. 28).

20bb) Im Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L ist die Restlaufzeit nach den gleichen Grundsätzen auf die Stufenlaufzeit anzurechnen, wenn ein davon erfasster Arbeitnehmer zuvor befristet bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt war. Die Norm führt, wie dargestellt, grundsätzlich zur Gleichstellung der von ihr erfassten Beschäftigten mit Beschäftigten, welche die einschlägige Berufserfahrung in vorherigen befristeten Arbeitsverhältnissen mit demselben Arbeitgeber erworben haben.

212. Folglich kann der Kläger jedenfalls bezüglich des Zeitraums von Juni bis einschließlich Dezember 2015 eine Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L beanspruchen. Hinsichtlich der Ansprüche für die Zeit von Oktober 2014 bis Mai 2015 ist die Sache noch nicht zur Entscheidung reif. Dies führt insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

22a) Die Stufenzuordnung des Klägers bei seiner Einstellung zum richtete sich nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L, denn er wurde von dem Beklagten, der eine Forschungseinrichtung betreibt, in die Entgeltgruppe 13 TV-L eingestellt und konnte unstreitig eine an der TU Dresden erworbene einschlägige Berufserfahrung vorweisen. Das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten schloss sich nahtlos an diese Vorbeschäftigung an. Gründe, welche einer Anerkennung seiner Berufserfahrung ausnahmsweise entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

23b) Die dargestellte gesetzeskonforme Auslegung von § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L führt zu einer vollständigen Anrechnung der in den befristeten Arbeitsverhältnissen mit der TU Dresden erworbenen Berufserfahrung auch bezüglich der Stufenlaufzeit. Bei der TU Dresden war der Kläger vom bis zum in der Entgeltgruppe 13 TV-L beschäftigt. Seit dem wurde er bei dem Beklagten ebenfalls nach Entgeltgruppe 13 TV-L vergütet. Die Anrechnung der gesamten Stufenlaufzeit bei der TU Dresden hätte daher nach § 16 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 17 Abs. 1 TV-L zu einem Vergütungsanspruch nach Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L seit dem führen können, da eine leistungsbedingte Verlängerung der Stufenlaufzeit nach § 17 Abs. 2 Satz 2 TV-L von dem Beklagten nicht behauptet wird. Allerdings wäre eine etwaige Elternzeit gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 TV-L nicht auf die Stufenlaufzeit angerechnet worden (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Mai 2015 Teil II § 17 Rn. 39 f.; zu § 17 Abs. 3 Satz 2 TVöD-AT vgl.  - Rn. 14 ff., BAGE 137, 80). Da der Kläger in seinem Schreiben vom eine viermonatige Elternzeit angeführt hat, ist nicht auszuschließen, dass er die Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L erst ab dem beanspruchen konnte. Dies war auch sein außergerichtliches Begehren, bevor er mit seiner Klage die Forderung auf die Zeit ab Oktober 2014 erstreckte.

24c) Das Landesarbeitsgericht wird sich mit der Frage der Elternzeit befassen müssen, falls etwaige Ansprüche für den fraglichen Zeitraum nicht ohnehin wegen Versäumung der Ausschlussfrist gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen sind. Mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen kann der Senat dies nicht selbst entscheiden. Der Kläger hat aber jedenfalls bezüglich des Zeitraums von Juni bis einschließlich Dezember 2015 einen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 4 TV-L, da er diesbezüglich selbst bei Unterstellung einer viermonatigen Elternzeit die erforderliche Stufenlaufzeit zurückgelegt und seine Ansprüche innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht hat.

25aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht allerdings die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 TV-L aus.

26bb) Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit. Der Anspruchsgegner soll sich auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offene Forderung rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und ggf. Rücklagen bilden können. Er soll vor der Verfolgung von Ansprüchen, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht rechnen muss, geschützt werden ( - Rn. 44). Für eine ordnungsgemäße Geltendmachung iSd. § 37 Abs. 1 TV-L ist daher erforderlich, dass der Anspruchsgegner zur Erfüllung eines bestimmten Anspruchs aufgefordert wird. Der Anspruchsteller muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer nach Grund und Höhe spezifizierten Forderung ist und auf der Erfüllung dieser Forderung besteht (vgl.  - Rn. 45 mwN, BAGE 154, 118). Allein die Aufforderung, die bisherige Nichterfüllung „zu überdenken“ oder „zu überprüfen“ ist noch keine Geltendmachung im Tarifsinn, weil ihr das eindeutige Erfüllungsverlangen fehlt ( - Rn. 41, BAGE 141, 150; vgl. auch Schaub ArbR-HdB/Treber 17. Aufl. § 209 Rn. 35).

27cc) Bezüglich der für Juni bis einschließlich Dezember 2015 streitbefangenen Ansprüche wurde die sechsmonatige Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TV-L durch das anwaltliche Schreiben vom gewahrt. Die Ansprüche für Mai 2015 konnte es nicht mehr erfassen, da die diesbezüglichen Entgeltansprüche gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 TV-L bereits am Freitag, dem , fällig waren. Die Ausschlussfrist endete demzufolge mit Ablauf des (§ 188 Abs. 2 iVm. § 187 Abs. 1 BGB).

28dd) Hinsichtlich des bis einschließlich Mai 2015 streitbefangenen Zeitraums bedarf es weiterer Sachverhaltsaufklärung. Der Kläger hat sich bezüglich der Wahrung der Ausschlussfrist auf sein Schreiben vom berufen. Dieses genügt seinem Wortlaut nach den tariflichen Anforderungen an eine Geltendmachung jedoch nicht, da der Kläger lediglich um eine Überprüfung der Stufenzuordnung gebeten hat. Der Senat hat die Parteien hierauf hingewiesen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin beantragt, zu der schriftlichen und mündlichen Kommunikation vor dem Schreiben des Klägers vom Stellung nehmen zu dürfen. Diesem Anliegen war zu entsprechen, da weiterer Sachvortrag für die Auslegung des Schreibens von Bedeutung sein könnte.

29(1) Die Auslegung nichttypischer Erklärungen obliegt in erster Linie den Tatsachengerichten. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verletzt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat. Das Revisionsgericht darf bei einer unterlassenen oder fehlerhaften Auslegung nichttypischer Willenserklärungen die Auslegung nur dann selbst vornehmen, wenn das Landesarbeitsgericht den erforderlichen Sachverhalt vollständig festgestellt hat und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist (vgl.  - Rn. 27 mwN).

30(2) Das Schreiben des Klägers vom ist eine nichttypische Erklärung. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit seiner Auslegung nicht befasst, da es schon keine Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren erkannt hat und sich in der Konsequenz nicht mit der Wahrung der Ausschlussfrist befassen musste. Es hat auch keine Feststellungen bezüglich sonstiger Korrespondenz der Parteien getroffen. Der Senat kann vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen, dass kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist, welches für die Auslegung des Schreibens vom von Bedeutung ist. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger seine Ansprüche noch auf anderem Weg fristgerecht geltend gemacht hat. Dies wird das Landesarbeitsgericht zu beurteilen haben, nachdem die Parteien Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag hatten.

31d) Die für die Monate Juni bis einschließlich Dezember 2015 geforderten Entgeltdifferenzansprüche sind der Höhe nach unstreitig. Bei einer monatlichen Differenz von 395,50 Euro brutto für die Zeit von Juni bis einschließlich Oktober 2015 sowie für Dezember 2015 und eines Betrags für November 2015 von 573,48 Euro brutto, welcher die Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L berücksichtigt, ergibt sich eine Summe von 2.946,48 Euro brutto.

32e)Der Kläger kann nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB Verzugszinsen für die einzelnen monatlichen Differenzvergütungsbeträge verlangen. Verzugszinsen sind nach § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach dem tariflich bestimmten Zahltag zu entrichten (vgl.  - Rn. 36). Obwohl der Differenzbetrag für Oktober 2015 wegen § 24 Abs. 1 Satz 3 TV-L bereits am fällig geworden ist und daher ab dem zu verzinsen wäre, konnte der Beklagte zur Zahlung von Zinsen antragsgemäß erst ab dem verurteilt werden (§ 308 Abs. 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:231117.U.6AZR33.17.0

Fundstelle(n):
BB 2018 S. 563 Nr. 10
DB 2018 S. 7 Nr. 8
IAAAG-72773