BAG Urteil v. - 4 AZR 666/14

Eingruppierung einer staatlich anerkannten Heilpädagogin bei Tätigkeit in einer integrativen Kindergartengruppe - Arbeitsvorgang

Gesetze: Anh zu Anl C Entgeltgr S8 Fallgr 2 TVöD-V

Instanzenzug: ArbG Halle (Saale) Az: 5 Ca 1850/11 E NMB Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 4 Sa 176/12 E Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

2Die Klägerin ist ausgebildete Erzieherin und seit dem Jahr 1997 staatlich anerkannte Heilpädagogin. Sie ist seit 1980 bei der Beklagten beschäftigt und wird derzeit in der Kindertagesstätte „K“, einer integrativen Einrichtung für Kinder mit und ohne Behinderung, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden eingesetzt. Die Gruppe, in der die Klägerin tätig ist, bestand zuletzt aus 20 Kindern, von denen zwei eine Behinderung haben. Diese werden insbesondere von der Klägerin betreut. Auch in den übrigen Gruppen mit behinderten Kindern wird jeweils eine sonderpädagogisch qualifizierte Fachkraft eingesetzt.

3Wegen der Arbeitsaufgaben der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht auf die von ihr vorgelegte Stellenbeschreibung vom Bezug genommen. Dort heißt es ua.:

4Aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit und arbeitsvertraglicher Bezugnahme waren auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags idF des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifrechtliche Vorschriften - (BAT-O) anwendbar. Die Klägerin wurde nach der Vergütungsgruppe VIb BAT-O vergütet. Mit Inkrafttreten des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst für den Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Fassung (TVöD-V/VKA) wurde sie zunächst in die Entgeltgruppe 6 TVöD-V/VKA übergeleitet und wird seit dem nach der Entgeltgruppe S 6 TVöD-V/VKA vergütet.

5Die Beklagte vergütet auch alle anderen Erzieherinnen und Erzieher, die über einen Abschluss als staatlich anerkannte Heilpädagogen verfügen, nach der Entgeltgruppe S 6 TVöD-V/VKA. Sie zahlt jedoch monatliche Zulagen in Höhe der Differenz zwischen den Entgeltgruppen S 6 und S 8 TVöD-V/VKA, wenn die betreffende Erzieherin bzw. der betreffende Erzieher (ihrer Einschätzung nach) vorübergehend mehr als 50 vH der Arbeitszeit mit heilpädagogischen Tätigkeiten verbracht hat und insbesondere, wenn in dem betreffenden Monat in der Kindergruppe mehr als ein Drittel Kinder mit Behinderung zu betreuen waren.

6Mit Schreiben vom machte die Klägerin gegenüber der Beklagten erfolglos ihre Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8 TVöD-V/VKA geltend.

7Mit ihrer am erhobenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, sie erfülle das Tätigkeitsmerkmal der Heilpädagogin mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit und sei daher bis zum nach der Entgeltgruppe S 8 Fallgr. 2 TVöD-V/VKA zu vergüten gewesen. Ihre Tätigkeit könne entsprechend dem ganzheitlichen Ansatz der Heilpädagogik nicht in einzelne Arbeitsvorgänge unterteilt werden. Als Heilpädagogin sei sie die einzige sonderpädagogisch qualifizierte Fachkraft in der betreffenden Gruppe, ohne die eine Förderung der behinderten Kinder nach den Vorgaben des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt (KiFöG LSA) nicht möglich sei. Im Rahmen ihrer Tätigkeit würden die sonderpädagogischen Fähigkeiten ständig abgerufen und benötigt.

8Die Klägerin hat zuletzt beantragt

9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei bis zum zutreffend nach der Entgeltgruppe S 6 TVöD-V/VKA vergütet worden. Die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8 TVöD-V/VKA hätten nicht vorgelegen. Das Tätigkeitsmerkmal der Fallgruppe 2 sei nicht erfüllt. Die Klägerin sei zwar Heilpädagogin mit staatlicher Anerkennung, jedoch fehle es an einer „entsprechenden Tätigkeit“. Sie betreue weder ausschließlich noch überwiegend behinderte Kinder, weshalb ihre heilpädagogische Tätigkeit deutlich weniger als 50 vH der Gesamttätigkeit ausmache. Ihre heilpädagogischen Fähigkeiten würden nur zeitweilig abgerufen. Deshalb sei sie auch nicht in einer heilpädagogischen Gruppe tätig. Nach den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben sei zwar in jeder Gruppe eine sonderpädagogische Fachkraft zu beschäftigen, dies müsse jedoch nicht zwingend eine Heilpädagogin oder ein Heilpädagoge sein.

10Das Arbeitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts - teilweise - abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin - beschränkt auf den Zeitraum bis zum - die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

11Die Revision der Klägerin - an deren Zulassung durch das Landesarbeitsgericht der Senat nach § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden ist, obwohl ein Zulassungsgrund iSv. § 72 Abs. 2 ArbGG unter keinem Gesichtspunkt erkennbar ist, insbesondere weil entscheidungserhebliche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung der Berufungsentscheidung offensichtlich nicht zugrunde liegen - ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit einer unzutreffenden und unzureichenden Begründung zu Unrecht abgewiesen. Ob die Klägerin bis zum eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8 TVöD-V/VKA verlangen kann, kann der Senat aufgrund der bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

12I. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts galt für das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst der BAT-O unter anderem kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit. Das Landesarbeitsgericht hat danach für die Eingruppierung der Klägerin neben § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT-O, der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts idF des ÄndTV Nr. 8 vom (TVÜ-VKA) zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor maßgebend war, zu Recht die Tätigkeitsmerkmale des TVöD-V/VKA zugrunde gelegt.

13Die maßgebenden Tätigkeitsmerkmale im Anh. zu Anl. C TVöD-V/VKA lauteten bis zum :

14II. Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht keinen Arbeitsvorgang bestimmt, sondern zu Unrecht angenommen, auf der Grundlage des von den Parteien vorgetragenen Sachverhalts lasse sich nicht bestimmen, ob die Tätigkeit der Klägerin einen oder mehrere Arbeitsvorgänge ausmache.

151. Maßgebend für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis (st. Rspr., etwa  - Rn. 24; - 4 AZR 5/09 - Rn. 22 mwN). Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Nur wenn es tatsächlich möglich ist, Tätigkeiten von unterschiedlicher Wertigkeit abzutrennen, werden diese nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst. Wiederkehrende, gleichartige und gleichwertige Bearbeitungen können zusammengefasst werden. Nicht zusammengefasst werden können jedoch Bearbeitungen, die tariflich unterschiedlich zu bewerten sind, sofern die unterschiedlich wertigen Arbeitsleistungen von vorneherein - sei es aufgrund der Schwierigkeit oder anderer Umstände - auseinandergehalten werden. Dafür reicht jedoch nicht die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Angestellte übertragen zu können, solange sie als einheitliche Arbeitsaufgabe einer Person übertragen sind. Tatsächlich getrennt sind Arbeitsschritte nicht, wenn sich erst im Laufe der Bearbeitung herausstellt, welchen tariflich erheblichen Schwierigkeitsgrad der einzelne Fall aufweist (st. Rspr., zB  - Rn. 15 mwN; grdl. - 4 AZR 308/08 - Rn. 20 mwN).

162. Ausgehend von diesen Maßstäben bildet die gesamte Tätigkeit der Klägerin einen einheitlichen Arbeitsvorgang. Wie im Fall von Erzieherinnen und Erziehern bei der Betreuung von Gruppen (zB  - zu II 2 c der Gründe mwN) sowie der Bearbeitung von Fällen durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ( -; - 4 AZR 727/14 - Rn. 16 mwN) ist auch im Fall der Betreuung von Personen oder Personengruppen durch Heilpädagogen regelmäßig von einem einheitlichen Arbeitsvorgang auszugehen (vgl.  - zu B I 2 c der Gründe). Im Streitfall spricht dafür insbesondere die in der Stellenbeschreibung genannte Hauptaufgabe der Klägerin, die darin besteht, behinderten und nicht behinderten Kindern gemeinsame Erfahrungsfelder und Lernanreize zu bieten, die sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und ihr Sozialverhalten stärken. Die so beschriebene Tätigkeit ist auf ein einheitliches Arbeitsergebnis gerichtet. Sie lässt sich bei Berücksichtigung des erzieherischen Konzepts ersichtlich nicht in die Arbeit mit Kindern ohne Behinderung auf der einen und Kindern mit Behinderung auf der anderen Seite aufteilen. Entsprechende Anhaltspunkte sind dem Vortrag der Parteien auch nicht zu entnehmen. Sie sind vielmehr ihrerseits während des gesamten Rechtsstreits übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der Klägerin einen einheitlichen Arbeitsvorgang ausmacht. Zur Bestimmung des Arbeitsergebnisses bedurfte es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keines weiteren, detaillierten Vortrags der Klägerin.

17III. Ob die Klägerin bis zum einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8 TVöD-V/VKA hatte, steht noch nicht fest. Es fehlt insoweit an den erforderlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.

181. Die Klägerin ist unstreitig Heilpädagogin mit staatlicher Anerkennung im Sinne des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 8 Fallgr. 2 TVöD-V/VKA. Sie hat eine entsprechende Zusatzausbildung erfolgreich absolviert.

192. Der Senat vermag jedoch auf der Grundlage der bisherigen landesarbeitsgerichtlichen Feststellungen nicht zu beurteilen, ob die Klägerin eine „entsprechende Tätigkeit“ im tariflichen Sinne ausübt.

20a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine „entsprechende Tätigkeit“ im tariflichen Sinne anzunehmen, wenn sich die auszuübende Tätigkeit auf die konkrete Fachrichtung der jeweils erforderlichen Ausbildung bezieht und sie die durch die Ausbildung erworbenen Fähigkeiten gerade erfordert. Nicht ausreichend ist es, wenn die entsprechenden Kenntnisse des Beschäftigten für den übertragenen Aufgabenbereich lediglich nützlich oder erwünscht sind. Sie müssen vielmehr im tariflichen Sinne zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich, dh. notwendig sein ( - Rn. 23 mwN; - 4 AZR 629/97 - zu 5 a der Gründe, BAGE 90, 53).

21b) Nicht maßgebend für das Tarifmerkmal der „entsprechenden Tätigkeit“ ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - die Tätigkeit in einer „heilpädagogischen Gruppe“. Soweit die Beklagte zur Begründung ihrer Auffassung auf Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verweist, ist diese für das streitgegenständliche Tätigkeitsmerkmal nicht einschlägig. In den herangezogenen Entscheidungen war die Tätigkeit in einer heilpädagogischen Gruppe ausdrücklich ein Tarifmerkmal ( -; - 4 ABR 80/83 - BAGE 50, 241, jeweils zu Vergütungsgruppe Vb Fallgr.1 Buchst. k des Teils II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT aF). Dieses ist in der Entgeltgruppe S 8 Fallgr. 2 TVöD-V/VKA gerade nicht vorgesehen.

22c) In Anwendung dieser Grundsätze wird das Landesarbeitsgericht deshalb zu prüfen haben, ob die (Zusatz-)Ausbildung der Klägerin als Heilpädagogin für die auszuübende Tätigkeit erforderlich oder lediglich nützlich und erwünscht ist.

23aa) Dabei wird zunächst aufzuklären sein, ob der Klägerin Tätigkeiten übertragen sind, die eine heilpädagogische Ausbildung schlechthin erfordern und nicht auch durch Arbeitnehmer ausgeübt werden können, die eine andere Ausbildung, insbesondere etwa die einer Heilerziehungspflegerin oder eines Heilerziehungspflegers, absolviert haben.

24bb) Für den Fall, dass nach den noch zu treffenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die der Klägerin übertragenen Aufgaben eine heilpädagogische Ausbildung erfordern sollten, genügt es für die Erfüllung der tariflichen Anforderungen, wenn die entsprechenden Aufgaben innerhalb des einheitlichen Arbeitsvorgangs in rechtlich erheblichem Ausmaß vorliegen. Sie müssen nicht ihrerseits innerhalb des Arbeitsvorgangs in dem von § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 und Unterabs. 4 BAT-O bestimmten Maß anfallen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 43; - 4 AZR 166/08 - Rn. 27 mwN).

25IV. Über die Kosten der Revision wird das Landesarbeitsgericht mit zu entscheiden haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:270917.U.4AZR666.14.0

Fundstelle(n):
BB 2017 S. 3059 Nr. 51
GAAAG-64639