BFH Beschluss v. - VIII B 25/01

Gründe

I. Aufgrund einer beim Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurde dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) bekannt, dass der Antragsteller bei einer Finanzanlagengemeinschaft (FAG) X unter einem anonymen Nummernkonto Kapitalanlagen gegen Gewährung von Festzinsen getätigt hatte. X betrieb ein betrügerisches ”Schneeballsystem”. Dieses System brach im Jahr 1996 zusammen. X wurde verhaftet und zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Fahndungsprüfers hatte der Antragsteller der ”FAG X” am   700 000 DM, am   700 000 DM und am   1 500 000 DM zur Verfügung gestellt. Der Antragsteller hatte diese Beträge durch Aufnahme von Bankdarlehen refinanziert.

Da der Antragsteller Einkünfte aus Kapitalvermögen in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1991 bis 1995 nicht angegeben hatte, erfasste das FA in den angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheiden 1991 bis 1995 vom folgende Einkünfte aus Kapitalvermögen:


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1991
 
Einnahmen
       8 167 DM
Werbungskosten
       5 540 DM
Sparerfreibetrag
         600 DM
 
————
Einkünfte
       2 027 DM


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1992
 
Einnahmen
     148 143 DM
Werbungskosten
      99 987 DM
Sparerfreibetrag
         600 DM
 
—————
Einkünfte
      47 556 DM


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1993
 
Einnahmen
     202 633 DM
Werbungskosten
     133 000 DM
Sparerfreibetrag
       6 000 DM
 
—————
Einkünfte
      63 633 DM


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1994
 
Einnahmen
     299 882 DM
Werbungskosten
     138 655 DM
Sparerfreibetrag
       6 000 DM
 
—————
Einkünfte
     155 227 DM


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1995
 
Einnahmen
     658 381 DM
Werbungskosten
     171 033 DM
Sparerfreibetrag
       6 000 DM
 
—————
Einkünfte
     481 348 DM

Den Einspruch gegen die Einkommensteueränderungsbescheide 1991 bis 1994 wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Den vom Antragsteller gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) dieser Einkommensteueränderungsbescheide lehnte das FA ab.

Die Vollziehung des Einkommensteueränderungsbescheids 1995 setzte das FA in Höhe eines Einkommensteuerteilbetrages von 120 547 DM aus. Mit erneutem Einkommensteueränderungsbescheid 1995 vom setzte das FA die Einkommensteuer 1995 von bisher 237 084 DM auf 116 537 DM herab; dabei berücksichtigte es die Einkünfte aus Kapitalvermögen nunmehr nur noch mit 253 932 DM. Über den Einspruch betreffend den Einkommensteueränderungsbescheid 1995 hat das FA noch nicht entschieden.

Mit der Klage gegen die Einkommensteueränderungsbescheide 1991 bis 1994 vom erstrebt der Antragsteller deren Aufhebung. Zur Begründung dieses Begehrens führt er aus, ihm seien auf die in Rede stehenden Kapitalanlagen keine Renditen gutgeschrieben worden. Weder gebe es in der Buchführung des Schuldners Unterlagen, aus denen Gutschriften im Detail und im Rahmen einer ordnungsgemäßen Buchführung ersichtlich seien, noch sei dort ein Konto geführt worden noch habe er entsprechende Mitteilungen korrekt und regelmäßig zugesandt erhalten.

Zudem sei der Schuldner X von 1991 an zahlungsunfähig gewesen. Hätten alle Gläubiger die ihnen zustehenden fälligen Forderungen gegen diesen geltend gemacht, hätte er sie bereits damals nicht erfüllen können. Dies sei abweichend von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entscheidend, nicht aber der Umstand, dass der Schuldner X bis in das Jahr 1996 hinein alle tatsächlich gegen ihn gerichteten Forderungen beglichen habe. Ergänzend beruft sich der Antragsteller auf das (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG—, 2000, 1124).

Gleichzeitig mit seiner Klage wegen der Streitjahre 1991 bis 1994 beantragte der Antragsteller beim FG, die Vollziehung der Einkommensteueränderungsbescheide 1991 bis 1995 bis zum Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung auszusetzen, soweit das FA die Aussetzung nicht bereits verfügt hatte.

Das FG lehnte den Antrag auf AdV ab. Es führte im Wesentlichen aus:

An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide bestünden keine ernstlichen Zweifel. Das Gericht teile die auf der nach seiner Ansicht zutreffenden Rechtsprechung des BFH (vgl. insbesondere Urteile vom VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755; VIII R 12/96, BFHE 184, 34, BStBl II 1997, 761, und VIII R 13/96, BFHE 184, 46, BStBl II 1997, 767) beruhende Auffassung des FA, dass die streitigen Zinsen dem Antragsteller in den Streitjahren durch Schuldumschaffung (Novation) zugeflossen seien, soweit er sie nicht ohnehin ausgezahlt erhalten habe.

Keine ernstlichen Bedenken bestünden gegen die Annahme des FA, dass die dem Antragsteller zugesagten Renditen diesem gut geschrieben worden seien. Wie sich im Rahmen der Steuerfahndungsprüfung ergeben habe, habe die ”FAG X” auch für den Antragsteller eine elektronische Kundenkartei geführt (vgl. Ermittlungsakten der Steuerfahndung, Bd. I, Bl. 1 ff.). Am habe die ”FAG X” dem Antragsteller unter dessen Kunden-Nummer ”...” eine Abrechnung erteilt, in der Zinsen ausgewiesen worden seien (Bl. 16 der Ermittlungsakten, Bd. I, a.a.O.). Der Antragsteller habe zudem bei seiner Vernehmung vom eingeräumt, dass er jeweils bei der Verlängerung der Verträge erfahren habe, wie hoch der ”Gewinn des letzten Anlagejahres” gewesen sei (Bl. 109 f. der Ermittlungsakten, Bd. I, a.a.O.). Die für seinen Kapitaldienst erforderlichen Beträge habe er sich jeweils auszahlen lassen, während er die restlichen Beträge ”stehen gelassen” habe, um hierfür die vereinbarten hohen Zinsen zu erhalten. Wie der Antragsteller bei seiner Vernehmung vom ferner dargelegt habe, habe er sich einen Festzinssatz von 16 v.H. jährlich zusichern lassen (a.a.O.).

Diese Umstände belegten, dass sich der Antragsteller die gesamten ihm gutgeschriebenen Zinsen auch hätte auszahlen lassen können, aber —im eigenen Interesse— darauf verzichtet habe, um den hochverzinslichen Anlagebetrag zu erhöhen.

Zu Unrecht nehme der Antragsteller an, der Schuldner X sei bereits in den Streitjahren 1991 bis 1995 zahlungsunfähig gewesen. Nach der oben zitierten Rechtsprechung des BFH reiche es für die Bejahung der Zahlungsfähigkeit aus, dass der Schuldner X in den Streitjahren dem Auszahlungsverlangen von Anlegern nachgekommen sei. Selbst im Jahr 1996 habe der Antragsteller noch einen Betrag von 416 554 DM ausgezahlt erhalten (vgl. Quittung vom , Bl. 15 der Ermittlungsakten, Bd. I, a.a.O.). X habe bei verständiger und objektiver Beurteilung der Sachlage in den Streitjahren nicht damit rechnen müssen, dass alle oder eine Vielzahl von Anlegern innerhalb eines kurzen Zeitraums die Auszahlung der Anlagebeträge und der Zinsen fordern würden. Dies sei nach der Rechtsprechung des BFH bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit entscheidend. Unbeachtlich sei hingegen, dass die Wahl des Antragstellers, die Zinsen teilweise wieder anzulegen, zugleich dem nach außen hin nicht bekundeten Interesse des Schuldners X entsprochen habe, zwecks Aufrechterhaltung des ”Schneeballsystems” möglichst wenig Kapitalbeträge und Zinsen auszahlen zu müssen.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Aussetzungsbegehren weiter. Zur Begründung verweist er in erster Linie auf die Begründung seines Aussetzungsantrages vor dem FG in Verbindung mit der Klageschrift vom . Des Weiteren beruft er sich auf die Ausführungen im Urteil des FG Nürnberg in EFG 2000, 1124. Ergänzend trägt er im Wesentlichen vor:

Das FG sei nicht auf seine (des Antragstellers) Argumentation eingegangen, dass die vom FA der Besteuerung zugrunde gelegten Berechnungen auf abstrakt ermittelten Zahlen und nicht auf konkreten Gutschriften durch X beruhten. Die vom FA aus dem Fahndungsbericht übernommenen Zahlen seien willkürlich und nicht nachvollziehbar. Sie ergäben sich aus keinen Buchungsbestätigungen des X.

Das FG habe angenommen, X habe ”bei verständiger und objektiver Beurteilung der Sachlage” in den Streitjahren nicht damit rechnen müssen, alle oder eine Vielzahl von Anlegern würden innerhalb eines kurzen Zeitraums die Auszahlung der Anlagebeträge und der Zinsen fordern.

Dies sei eine Hypothese, die durch keinerlei tatsächliche Feststellungen gedeckt sei. Im Gegenteil: X habe, wie jeder, der ein derartiges ”Schneeballsystem” installiere, jederzeit damit rechnen müssen, dass das System zusammenbrechen würde. Mit fortlaufender Zeit habe sich die Wahrscheinlichkeit des Zusammenbruchs erhöht. Im Fall von X sei die Gefahr, dass das Schneeballsystem zusammenbreche, laufend —während des gesamten Streitzeitraums— gegeben gewesen. Die Annahme des FG, X habe nicht damit rechnen müssen, dass eine Vielzahl von Anlegern die Auszahlung fordern würde, sei daher unrichtig.

Der Antragsteller beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Vollziehung der Einkommensteueränderungsbescheide 1991 bis 1994 vom und des Einkommensteueränderungsbescheids 1995 vom ab Fälligkeit der Steuernachzahlungen bis zum Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung auszusetzen, soweit die festgesetzten Einkommensteuerbeträge die ursprünglichen Ansätze überstiegen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Zu Recht hat das FG die vom Antragsteller begehrte AdV der angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide 1991 bis 1995 abgelehnt.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen eine Unklarheit in der Beurteilung von Tatsachen oder eine Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig erweisen könnte (vgl. z.B. , BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 69 Rz. 77, m.w.N.).

2. Bei der im Verfahren zur AdV gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung unterliegt es —wie das FG zutreffend angenommen hat— keinen ernstlichen Zweifeln, dass das FA die streitigen ”Zinsen” als Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfassen durfte.

a) Dies gilt zunächst für diejenigen ”Zinsen”, die dem Antragsteller in den Streitjahren vom Schuldner X tatsächlich ausgezahlt wurden. Der beschließende Senat verweist insoweit zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die sinngemäß geltenden Ausführungen in seinem Urteil in BFHE 184, 46, BStBl II 1997, 767 (unter II. 2. der Gründe). An den dortigen Grundsätzen hält der Senat uneingeschränkt fest. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 FGO begründende Einwendungen dagegen vermochte der Antragsteller nicht zu erheben.

b) Entsprechendes gilt aber auch für den Teil der vom FA der Besteuerung unterworfenen ”Zinsen”, die sich der Antragsteller nicht auszahlen, sondern zwecks Erhöhung seines Anlagekapitals ”stehen ließ”. Zu Recht hat es das FG auch insoweit nicht für ernstlich zweifelhaft gehalten, dass dem Antragsteller auch diese ”Renditen” in den Streitjahren —im Wege der Schuldumschaffung (Novation)— zugeflossen sind.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) i.S. von § 11 Abs. 1 EStG dem Steuerpflichtigen zugeflossen, sobald dieser über sie wirtschaftlich verfügen kann (vgl. z.B. , BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480).

aaa) Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden.

bbb) Jedoch kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten (Schuldner) einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Zahlungsverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung stehe (BFH-Urteil in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter II. a der Gründe, m.w.N.). Allerdings muss der Gläubiger in diesem Fall in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (, BFHE 132, 410, BStBl II 1981, 305, und in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. a der Gründe).

ccc) Ein Zufluss kann zudem durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden, dass der Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet werden soll. In dieser Schuldumschaffung (Novation) kann eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch tatsächliche Zahlung beglichen hätte (= Zufluss beim Gläubiger) und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag infolge des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder zur Verfügung gestellt hätte (= Wiederabfluss des Geldbetrages beim Gläubiger; vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. c der Gründe; vom X R 55/91, BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, aa der Gründe). Der zuletzt beschriebene lange Leistungsweg wird durch die Novationsvereinbarung lediglich verkürzt, indem auf den überflüssigen Umweg der Aus- und Rückzahlung des Geldbetrages verzichtet wird.

Von einem Abfluss der Altforderung i.S. von § 11 Abs. 1 EStG kann in derartigen Fällen der Schuldumschaffung nach der Rechtsprechung des BFH allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn sich die Novation als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers (Steuerpflichtigen) über den Gegenstand der Altforderung darstellt, also auf einem freien Entschluss des Gläubigers beruht (vgl. z.B. , BFHE 142, 215, BStBl II 1986, 48, unter 2. d der Gründe; in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, aa der Gründe). Für die Beantwortung der Frage, ob dies zutrifft, kommt dem Umstand wichtige Bedeutung zu, in wessen Interesse die Novation lag. Lag sie im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Gläubigers, indiziert dies dessen Verfügungsmacht über den Gegenstand der Altforderung (vgl. z.B. , BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469, unter III. 2. c, dd der Gründe; in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, aa der Gründe).

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze begegnet es keinem ernstlichen Zweifel, dass die streitigen, nicht tatsächlich ausgezahlten ”Zinsen” dem Antragsteller in den jeweiligen Zeitpunkten ihrer Gutschrift und Wiederanlage zugeflossen sind.

aaa) Mit Recht hat das FG angenommen, dass ernstliche Zweifel gegen die Annahme des Steuerfahnders und des FA, die streitigen ”Zinsen” seien dem Antragsteller gutgeschrieben worden, nicht bestehen. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, dass die ”FAG X” für den Antragsteller eine elektronische Kundenkartei geführt (vgl. Bl. 1 ff. der Ermittlungsakten der Steuerfahndung, Bd. I) und am dem Antragsteller unter dessen anonymen Nummernkonto ”...” eine Abrechnung erteilt hat, in der ”Zinsen” ausgewiesen wurden (vgl. Bl. 16 der Ermittlungsakten, a.a.O.). Auch hat der Antragsteller bei seiner Vernehmung durch Beamte des FA am selbst eingeräumt, dass er sich von ”Herrn X einen Festzinssatz von 16 % per anno zusichern” ließ und dass er jeweils ”bei der Verlängerung der Verträge (erfahren habe), wie hoch der Gewinn des letzten Anlagejahres war”. Bei Bedarf habe er bei der Firma X angerufen und um Auszahlung gebeten, da er den Kapitaldienst bei seinen (Refinanzierungs-)Banken habe leisten müssen. Die Auszahlungen seien bar geleistet worden (im Einzelnen vgl. Bl. 109 ff. der Ermittlungsakten, Bd. I, a.a.O.).

Substantiierte Einwendungen gegen diese Feststellungen vermochte der Antragsteller nicht zu erheben.

bbb) Demnach hatte der Antragsteller die Wahl, die ihm gutgeschriebenen ”Zinsen” entweder auszahlen zu lassen oder wieder anzulegen, d.h. zum Zwecke der Erhöhung seiner Kapitalanlagen zu verwenden. Seine jeweilige Entscheidung, auf die Auszahlung der ”Zinsen” zu verzichten und die entsprechenden Beträge stattdessen zur Wiederanlage zu verwenden, stand daher einem Zufluss der ”Renditen” i.S. von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht entgegen. In der Wahl einer solchen Wiederanlage lag zivilrechtlich eine Novation. Der Antragsteller hatte die ihm zu Gebote stehende Wahl zwischen Auszahlung der ”Zinsen” und deren Wiederanlage im eigenen Interesse —um fortan höhere Renditen erzielen zu können— im Sinne der letztgenannten Alternative ausgeübt. Dabei ist entgegen der Ansicht des FG Nürnberg in EFG 2000, 1124 ohne Belang, dass der Kapitalanleger (hier: Antragsteller) diese Wahl nicht getroffen hätte, wenn ihm die Täuschungsmanöver seines Vertragspartners (hier: X) bekannt gewesen wären. Hierbei handelt es sich um einen für die einkommensteuerliche Wertung unbeachtlichen Motivirrtum.

Unbeachtlich ist es entgegen der vom FG Nürnberg (EFG 2000, 1124) geäußerten Ansicht auch, dass die Wahl des betrogenen Anlegers zur Wiederanlage der ”Renditen” zugleich dem nach außen nicht bekundeten Interesse des betrügerisch handelnden ”Finanzdienstleisters” (hier: X) entsprach, zwecks Aufrechterhaltung seines ”Schneeballsystems” möglichst wenige ”Renditen” und Kapitalbeträge auszahlen zu müssen. Entscheidend ist allein, dass es der Betreiber des ”Schneeballsystems” dem Anleger freigestellt hatte, statt der Wiederanlage die sofortige Auszahlung der gutgeschriebenen ”Renditen” zu verlangen, und ihm damit die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die ”Renditebeträge” eingeräumt hatte (Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II. 2. b, bb, bbb der Gründe).

Selbst wenn dem FG Nürnberg in EFG 2000, 1124 aber darin zu folgen wäre, dass eine (zivilrechtlich) wirksame Novationsabrede im Falle des Betreibens eines betrügerischen ”Schneeballsystems” daran scheitere, dass der Wille des Anlegers allein auf die Wiederanlage solcher ”Renditen” gerichtet sei, auf die er (zivilrechtlich) einen Anspruch habe, nicht dagegen auf die Wiederanlage von Scheinrenditen, würde dies an einem Zufluss der ”Renditen” in den beschriebenen Zeitpunkten nichts ändern. Die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung des BFH in den Fällen der Novation einen Zufluss bejaht hat, sind dieselben, die für die Annahme eines Zuflusses im Falle der bloßen Gutschrift in den Büchern des Schuldners (ohne Novation) erforderlich sind: Der Steuerpflichtige (Gläubiger) muss die wirtschaftliche Verfügungsbefugnis über den Gegenstand seiner Forderung besitzen. Das ist der Fall, wenn er über den in den Büchern des Schuldners gutgeschriebenen Betrag frei (nach Belieben) disponieren, ihn also abholen, abrufen oder verrechnen —also auch ”novieren"— kann.

Trifft dies bei der Wiederanlage der ”Renditen” zu, so kommt es entgegen der Ansicht des FG Nürnberg in EFG 2000, 1124 für den Zufluss des Gegenstands der Altforderungen (hier: der gutgeschriebenen ”Renditebeträge”) nicht darauf an, ob die Novation (zivilrechtlich) wirksam zustande kommt. Auf die Wirksamkeit der Novation käme es unter Zuflussgesichtspunkten nur dann an, wenn Gegenstand des Zuflusses nicht der der Altforderung zugrunde liegende Geldbetrag (vgl. oben II. 2. b, aa, ccc), sondern —was aber unrichtig wäre— die im Wege der Novation begründete Neuforderung (hier: eine Kapitalforderung infolge Erhöhung der Kapitaleinlagen) wäre. Letzteres anzunehmen wäre indessen schon deswegen unzutreffend, weil die im Wege der Novation stattfindende Einräumung einer neuen Forderung (hier: Kapitalforderung) anstelle der (erlöschenden) alten (hier: ”Renditeforderung”) einen Zufluss i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht auslösen könnte, weil ein Zufließen in diesem Sinne stets erst dann eintritt, wenn der Steuerpflichtige über den Gegenstand der Forderung (bei einer auf Geld gerichteten Forderung also über das Geld) verfügen kann, was im Regelfall erst dann zutrifft, wenn die Forderung durch tatsächliche Zahlung erfüllt wird (näher dazu Dötsch, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 1997, 837, 841).

ccc) Zutreffend hat das FG des Weiteren entgegen der Ansicht des Antragstellers auch keine ernstlichen Zweifel daran gehegt, dass X —hätte der Antragsteller statt der Wiederanlage eines Teils der streitigen ”Zinsen” deren Auszahlung gewählt— an den jeweiligen Zeitpunkten in den Streitjahren zu den entsprechenden Zahlungen bereit und fähig gewesen wäre.

-Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein Zufluss i.S. des § 11 Abs. 1 EStG sowohl in den Fällen der bloßen Gutschrift des betreffenden Betrages in den Büchern des Schuldners als auch in den Fällen der Novation grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn der Schuldner in dem betreffenden Zeitpunkt zur Zahlung des Betrages in der Lage gewesen wäre, also nicht zahlungsunfähig war (vgl. z.B. , BFHE 109, 573, BStBl II 1973, 815, betreffend Buchgutschrift, und vom VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224, 225, unter 2. b der Gründe, betreffend Novation). Als Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinne ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners anzusehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen (vgl. z.B. Senatsurteile in BFHE 109, 573, BStBl II 1973, 815, 816, und in BFH/NV 1988, 224, 225, re. Sp.).

-Nach diesen Grundsätzen liegen im Streitfall ernstliche Zweifel daran, dass X in den Streitjahren in den jeweiligen Zeitpunkten der Wiederanlagen der ”Zinsen” objektiv zahlungsfähig war, nicht vor. Dies folgt schon aus der zwischen den Beteiligten unstreitigen Tatsache, dass X in dem hier zu beurteilenden Zeitraum (1991 bis 1995) dem Auszahlungsverlangen von Anlegern stets nachkam. In diesem Zusammenhang kommt es entgegen der vom Antragsteller geäußerten Ansicht nicht darauf an, ob X in diesem Zeitraum auch imstande gewesen wäre, alle Verbindlichkeiten, also auch die noch nicht innerhalb eines absehbaren Zeitraums (von drei bis sechs Monaten; vgl. , BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415, unter 1. a der Gründe) fällig werdenden und gekündigten Kapitalanlagen, auf einmal auszuzahlen. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, dass X bei verständiger und objektiver Beurteilung der gegebenen Sachlage nicht damit habe rechnen müssen, dass alle oder eine Vielzahl von Anlegern innerhalb eines kurzen Zeitraums die Auszahlung ihrer Kapitalanlagen und ”Renditen” fordern würden.

-Entgegen der Auffassung des Antragstellers vermag an diesem Ergebnis auch nichts der Umstand zu ändern, dass das von X betriebene ”Schneeballsystem” der jederzeitigen und sich mit zunehmendem Zeitablauf erhöhenden Gefahr seines Zusammenbruchs ausgesetzt war. Konkrete Tatsachen dafür, dass sich diese zweifelsohne bestehende abstrakte Gefahr schon im Streitzeitraum dergestalt verdichtete, dass ein solcher Zusammenbruch unmittelbar bevorstand, hat der Antragsteller nicht anführen können. So ist es denn auch tatsächlich erst nach Ablauf des Streitzeitraums zum Zusammenbruch des von X unterhaltenen ”Schneeballsystems” gekommen und gelang es dem Antragsteller selbst noch im Februar 1996, die von ihm begehrte Auszahlung in Höhe von 416 554 DM zu realisieren (Bl. 15 der Ermittlungsakten der Steuerfahndung, Bd. I). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den BFH-Entscheidungen vom GrS 1/94 (BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307) und vom I R 103/93 (BFH/NV 1998, 572), weil dort —anders als im Streitfall— die Vermögensverhältnisse der Schuldner den Gläubigern genau bekannt und nicht —wie hier— verschleiert worden waren.

cc) Der Zufluss von Einnahmen i.S. der §§ 8 Abs. 1 und 11 Abs. 1 Satz 1 EStG setzt allerdings voraus, dass beim Steuerpflichtigen eine Vermögensmehrung, d.h. eine objektive Bereicherung, eintritt (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 224, 225, m.w.N.).

aaa) Am Eintreten solcher objektiver Bereicherungen bestanden indessen im Streitfall ebenfalls keine ernstlichen Zweifel, weil X in den maßgebenden Zeitpunkten der Gutschriften und Wiederanlagen der ”Zinsen”, hätte der Antragsteller statt der Wiederanlage der gutgeschriebenen Zinsen deren Auszahlung begehrt, diesem Auszahlungsverlangen hätte entsprechen können und auch tatsächlich entsprochen hätte (vgl. oben II. 2. b, bb, ccc).

bbb) Ohne Belang ist dabei, dass die ursprünglich realisierbaren Zinsforderungen zu einem späteren, nach Ablauf des Streitzeitraumes eingetretenen Zeitpunkt uneinbringlich wurden. Bei diesem Forderungsausfall handelte es sich nach herrschender und zutreffender Auffassung um einen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen irrelevanten privaten Vermögensverlust (vgl. Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II. 3. der Gründe, m.w.N.).

ccc) Einer objektiven Bereicherung des Antragstellers i.S. von § 8 Abs. 1 EStG durch die bezeichneten Vorgänge stand ferner nicht entgegen, dass X die Auszahlung von Zinsen und die diesen —wie dargelegt— i.S. von § 11 Abs. 1 EStG gleich zu erachtenden Wiederanlagen von ”Zinsen” mit Mitteln bestritt, die ihm von anderen Anlegern oder gar vom Antragsteller selbst zur Verfügung gestellt worden waren. Woher die vom Schuldner zur Begleichung seiner Verbindlichkeiten verwendeten, in seinem wirtschaftlichen Eigentum stehenden Geldmittel stammten, ob sie z.B. aus selbsterwirtschafteten Erträgen, Krediten, Schenkungen oder strafbaren Handlungen erlangt wurden, ist für die durch die Zahlung oder bei einem vergleichbaren Vorgang beim Empfänger eintretende objektive Bereicherung i.S. von § 8 Abs. 1 EStG grundsätzlich ohne Belang (Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II. 2. c, m.w.N.).

ddd) Eine objektive Bereicherung des Antragstellers lässt sich schließlich auch nicht mit dem Argument verneinen, die als Gutschriften stehen gelassenen ”Zinsen” seien wertlos gewesen. Dies trifft —wie unter II. 2. b, bb, ccc dargelegt— in den hier relevanten Zeitpunkten der Gutschriften und Wiederanlagen nicht zu.

dd) Ferner bestehen auch keine ernstlichen Zweifel daran, dass die streitigen Zinsen dem Antragsteller in den Streitjahren als Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zuflossen. Die entsprechenden Gutschriften waren nicht als nicht steuerbare Kapitalrückzahlungen zu qualifizieren (zur näheren Begründung vgl. Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II. 2. d der Gründe, m.w.N.).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1119 Nr. 9
FR 2001 S. 848 Nr. 16
XAAAA-67534