BFH Beschluss v. - V B 40/01

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt.

Das (Az. 5 K 515/00) die Klage des Klägers wegen Umsatzsteuer 1994 bis 1998 abgewiesen. Das FG ordnete die Zustellung des Urteils durch die Post mit Postzustellungsurkunde an. Auf dieser ist vermerkt, dass der Postbedienstete versucht hat, die für ”Herrn Rechtsanwalt A in B-Straße” bestimmte Sendung zuzustellen und in ”der Wohnung des in der Anschrift bezeichneten Empfängers” (Einzelperson, Einzelfirma, Rechtsanwalt usw.) niemanden angetroffen” habe. Der Postbote habe unter der angegebenen Anschrift wie bei gewöhnlichen Briefen üblich die schriftliche Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt. Als Datum der Niederlegung ist der vermerkt. Am ging per Telefax beim FG die Beschwerde des Klägers ein, mit der er die Zulassung der Revision gegen das Urteil vom beantragt.

Auf den Hinweis der Geschäftstelle des erkennenden Senats, dass die Beschwerde erst am beim FG eingegangen ist, beantragte der Kläger vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die Zustellung entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Nach dem Inhalt der Postzustellungsurkunde habe der Postzusteller am Samstag den einen Zustellversuch bei der Wohnung bestätigt. Bei der im Adressfeld angegebenen Adresse handele es sich jedoch ausschließlich um seine Geschäftsräume, die am Wochenende regelmäßig nicht besetzt seien. Seine Wohnung befinde sich hingegen 0,5 km von den Kanzleiräumen entfernt. Er habe seine Kanzleianschrift nie als Wohnungsanschrift angegeben und auch nie dort gewohnt.

Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

II. Die Beschwerde ist rechtzeitig erhoben; sie hat jedoch keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat die Beschwerdefrist nicht versäumt, denn das Urteil des FG ist fehlerhaft zugestellt worden. Die Beschwerdefrist ist daher nicht in Gang gesetzt worden.

a) Nach § 53 Abs. 2 FGO wird im finanzgerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften des VwZG zugestellt. Nach § 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Schriftstück, das nach den Vorschriften der §§ 180 und 181 ZPO nicht zugestellt werden kann, durch Niederlegung bei der Postanstalt zugestellt werden. Die Vorschriften der §§ 180 und 181 ZPO betreffen jedoch nur die Zustellung in der Wohnung des Empfängers. Für die in § 183 ZPO vorgesehene Zustellung in einem Geschäftslokal oder der Kanzlei eines Freiberuflers gelten diese Vorschriften nicht. Die Möglichkeit einer Ersatz-Zustellung durch Niederlegung ist in einem solchen Fall gesetzlich nicht vorgesehen. Verfährt der Postbote dennoch in dieser Weise, ist die Zustellung unwirksam (, BFH/NV 1999, 938, und , Steuerrechtsprechung in Karteiform —StRK—, Verwaltungszustellungsgesetz, § 3, Rechtsspruch 72; Entscheidung des Bundesgerichtshofs —BGH— vom VIII ZR 73/75, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1976, 149; Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts —BAG— vom 2 AZR 583/74, NJW 1976, 1421; Stöber in Zöller, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 22. Aufl., § 182 Rdnr. 1, § 183 Rdnr. 1; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 59. Aufl., § 183 Anm. 1, jeweils m.w.N.).

b) Im Streitfall hat der Postbote das zuzustellende Schriftstück niedergelegt, obwohl —wie der Kläger durch Vorlage der Meldebescheinigung bei der Gemeinde nachgewiesen hat— als Empfängeranschrift die Kanzleiadresse des Klägers angegeben war. Ohne Bedeutung ist insoweit, ob für den die Zustellung ausführenden Postbeamten, weil es sich nicht um eine Sozietät handelt, nicht ohne weiteres erkennbar war, dass der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift nicht (auch) eine Wohnung, sondern nur seine Kanzlei unterhält, denn die Voraussetzungen für die Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt müssen objektiv vorliegen (, BFHE 110, 174, BStBl II 1973, 877). Die Zustellung war daher unwirksam.

c) Hat der Empfänger —wie hier— das finanzgerichtliche Urteil tatsächlich erhalten, ist der Mangel der Unwirksamkeit zwar nach § 9 VwZG geheilt (Urteil des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom GmS-OGB 2/75, BFHE 121, 1, BStBl II 1977, 275), jedoch werden die in § 9 Abs. 2 VwZG bezeichneten Rechtsmittelfristen, zu denen auch die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gehört, nicht in Lauf gesetzt.

2. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg.

a) Der Kläger meint, der Vorsitzende des Senats des FG habe verfahrensfehlerhaft den in der mündlichen Verhandlung anwesenden Kläger nicht darauf hingewiesen, dass über seinen Antrag, die Umsatzsteuer 1994 bis 1998 aus Billigkeitsgründen zu erlassen, mangels Vorverfahren nicht entschieden werden könne.

Zwar hat der Vorsitzende nach § 76 Abs. 2 FGO im Rahmen seiner rechtlichen Hinweis- und Fürsorgepflichten u.a. darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg der Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit eines Klägers, zumal in Formsachen, scheitern. Das Gericht ist deshalb gehalten, durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozessziel am wirksamsten erreicht werden kann. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Zweckmäßigkeit bestimmter Anträge jedoch auf der Hand, so stellt der unterlassene Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßene Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger durch einen fachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten wird oder selbst fachkundig ist (vgl. , BFH/NV 1992, 609; BFH-Beschlüsse vom III B 14/00, BFH/NV 2000, 1349; vom VII B 221/99, BFH/NV 2000, 1229; vom VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978, jeweils m.w.N.). Im Streitfall bestand für den Vorsitzenden des FG schon deshalb kein Anlass zum Hinweis auf das fehlende Vorverfahren, weil der Kläger in Erwiderung auf den Schriftsatz des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) ausgeführt hat, er teile nicht die Auffassung des FA, die Klage sei mangels Vorverfahrens unzulässig; vielmehr lägen seiner Auffassung nach die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage vor. Für einen weiteren Hinweis darauf bestand hiernach kein Anlass.

Im Übrigen hat der Kläger auch nicht vorgetragen, was er konkret auf entsprechende Hinweise des Gerichts überhaupt dargelegt hätte und inwiefern das angefochtene Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1349).

b) Der Kläger macht als Verfahrensfehler weiter geltend, das FG habe, wenn es die Klage als unzulässig abweise, keine Ausführungen zur Begründetheit der Klage machen dürfen. Insofern ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht dargelegt, dass das FG ohne diese Ausführungen anders hätte entscheiden können.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1573 Nr. 12
KAAAA-67145