BGH Beschluss v. - VII ZB 2/17

Rechtsbeschwerdeverfahren wegen einer Forderungspfändung: Einstellung der Zwangsvollstreckung durch den Bundesgerichtshof als Vollstreckungsorgan

Leitsatz

Jedenfalls soweit ein zulässiges Rechtsbeschwerdeverfahren wegen einer Forderungspfändung beim Bundesgerichtshof anhängig ist, ist dieser kraft Devolutiveffekts zuständiges Vollstreckungsorgan im Sinne der §§ 764, 828 ZPO. Er kann daher die Zwangsvollstreckung einstellen und Pfändungsbeschlüsse aufheben.

Gesetze: § 764 ZPO, § 775 Nr 3 ZPO, § 776 S 1 ZPO, § 828 ZPO, § 20 Abs 2 AVAG, Art 32 EGV 44/2001, Art 32ff EGV 44/2001, Art 66 Abs 2 EUV 1215/2012

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-9 T 570/16vorgehend AG Frankfurt Az: 82 M 15838/16nachgehend Az: VII ZB 2/17 Beschlussnachgehend Az: VII ZB 2/17 Beschluss

Gründe

I.

1Mit Urteil des Berufungsgerichts in Brüssel vom wurde die Schuldnerin verurteilt, an die Gläubigerin den Gegenwert von 6.906.600 USD in Euro zuzüglich Zinsen und Verfahrenskosten zu zahlen. Das Landgericht Frankfurt am Main erklärte dieses Urteil mit Beschluss vom für vollstreckbar und setzte die von der Schuldnerin bis zur Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung zu erbringende Sicherheitsleistung auf 13.200.000 € fest. Die Vollstreckbarerklärung wurde der Schuldnerin erst am zugestellt.

2Auf Grundlage der mit der Vollstreckungsklausel versehenen Vollstreckbarerklärung hat das Amtsgericht F.           auf Antrag der Gläubigerin durch Beschluss vom Forderungen der Schuldnerin gegen mehrere Drittschuldner gepfändet. Auf die Erinnerung der Schuldnerin hat es mit Beschluss vom den Pfändungsbeschluss aufgehoben und die Wirksamkeit des Aufhebungsbeschlusses von seiner Rechtskraft abhängig gemacht. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Wie das Amtsgericht hat auch das Beschwerdegericht angenommen, ein Pfändungsbeschluss habe vor Zustellung der Vollstreckbarerklärung nicht erlassen werden dürfen. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts hat die Gläubigerin die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.

3Die Schuldnerin hat Hinterlegungsbescheinigungen vorgelegt, nach denen sie am und am bei der Gerichtskasse F.           Beträge von 12.882.931,46 € und 317.068,54 € - insgesamt somit 13.200.000 € - hinterlegt hat. Sie begehrt die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung des Pfändungsbeschlusses.

II.

4Entsprechend § 20 Abs. 2 AVAG ist die Zwangsvollstreckung einzustellen und der erlassene Pfändungsbeschluss aufzuheben.

51. Die Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom in der Fassung vom (BGBl. I S. 2146) - AVAG - sind hier entsprechend anwendbar. Da sich die Vollstreckbarerklärung auf ein belgisches Urteil aus dem Jahr 2011 und somit auf eine Entscheidung bezieht, die in einem vor dem eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen ist, richtet sich das Verfahren der Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 66 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. Nr. L 351 vom , S. 1) - Brüssel-Ia-VO - nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. Nr. L 12 vom , S. 1) - Brüssel-I-VO. Auf solche Altverfahren sind die Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes entsprechend anzuwenden (vgl. m.w.N.).

62. Die Regelung des § 20 Abs. 2 AVAG entspricht § 775 Nr. 3, § 776 Satz 1 ZPO (vgl. BT-Drucks. 11/351, S. 26 zu § 22 Abs. 2 AVAG in der Fassung von 1988). Liegt ein in § 775 ZPO (oder entsprechend in § 20 Abs. 2 AVAG) benanntes Vollstreckungshindernis vor, stellt das Vollstreckungsorgan von Amts wegen die Vollstreckung ein (vgl. MünchKommZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 775 Rn. 24; Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 14. Aufl., § 775 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Spohnheimer, ZPO, 4. Aufl., § 775 Rn. 50; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 775 Rn. 9; Hk-ZPO/Kindl, 7. Aufl., § 775 Rn. 14; vgl. auch , BGHZ 25, 60, 65 f.).

7Für die Pfändung von Forderungen ist grundsätzlich das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zuständiges Vollstreckungsorgan, §§ 764, 828 ZPO. Jedenfalls soweit diesbezüglich ein zulässiges Rechtsmittelverfahren anhängig ist, geht die Zuständigkeit kraft Devolutiveffekts auf das jeweilige Rechtsmittelgericht über (vgl. Wieczorek/Schütze/Bittmann, ZPO, 4. Aufl., § 764 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 4. Aufl., § 828 Rn. 3a; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 764 Rn. 1 und § 828 Rn. 1). Aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde der Gläubigerin ist daher der Bundesgerichtshof in Bezug auf den angefochtenen Pfändungsbeschluss zuständiges Vollstreckungsorgan.

83. Die Voraussetzungen für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung und eine Aufhebung des Pfändungsbeschlusses nach § 20 Abs. 2 AVAG sind gegeben, weil die Schuldnerin durch Vorlage von öffentlichen Urkunden nachgewiesen hat, dass sie Sicherheit in Höhe von 13.200.000 € geleistet hat.

9a) Die Beurteilung dieses von Amts wegen zu berücksichtigenden Vollstreckungshindernisses unterliegt nicht den im Rechtsbeschwerdeverfahren geltenden Beschränkungen gemäß § 577 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Hindernis - wie hier durch Hinterlegung am - erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens entstanden ist. Denn es geht nicht um eine Überprüfung der Entscheidung des Beschwerdegerichts, sondern um die vom Bundesgerichtshof als nun zuständigem Vollstreckungsorgan zu beachtenden Grenzen der Vollstreckung.

10b) Bei den Hinterlegungsbescheinigungen und den ebenfalls vorgelegten Annahmeanordnungen der Hinterlegungsstelle handelt es sich um öffentliche Urkunden, § 415 Abs. 1 ZPO (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 775 Rn. 6). Aus ihnen und dem von ihnen in Bezug genommenen Hinterlegungsantrag der Schuldnerin, der ebenfalls berücksichtigt werden kann (vgl. Zöller/Stöber, aaO, § 751 Rn. 4), ergibt sich, dass es sich bei den eingezahlten Beträgen um eine Sicherheit handelt, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus der Vollstreckbarerklärung vom hinterlegt wurde.

11Zwar hat die Schuldnerin in ihrem Antrag auf Annahme der Geldhinterlegung vom in dem hierbei ausgefüllten Formblatt in der Zeile "3. Hinterlegungsgrund" bei der vorgesehenen Möglichkeit "a) Sicherheitsleistung" lediglich "---" eingetragen. Sie hat dann jedoch unter "b) sonstige (Angabe zur Rechtfertigung der Hinterlegung)" angegeben: "Die Hinterlegung erfolgt auf Grund von § 20 Abs. 1 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG)". Außerdem hat sie in dem begleitenden Schriftsatz, der ebenfalls als Antrag auf Annahme von Geldhinterlegung bezeichnet ist, als Begründung ausgeführt, dass die Gläubigerin offenbar am einen Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2-03 O 315/16) zur Vollstreckbarerklärung eines zwischen den Parteien ergangenen Urteils in Belgien erwirkt habe. Die Schuldnerin sei nach § 20 Abs. 1 AVAG befugt, die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des Betrages abzuwenden, wegen dessen der Berechtigte vollstrecken darf. Die Schuldnerin beantrage insofern die Annahme der Geldhinterlegung.

12Diese Erklärungen können nicht anders verstanden werden, als dass der Geldbetrag zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus der Vollstreckbarkeitserklärung vom hinterlegt wurde. § 20 Abs. 1 AVAG hat (nur) die Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einer Vollstreckbarkeitserklärung zum Inhalt. Gericht, Datum und Aktenzeichen dieses Titels (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 des Hinterlegungsgesetzes des Landes Hessen vom [GVBl. I S. 306] - HessHintG) sind ausdrücklich erwähnt und ergeben sich außerdem auch aus dem beigefügten Pfändungsbeschluss vom . Nichts anderes gilt für die zweite Einzahlung, die zur selben Sache erfolgte, § 8 Abs. 5 HessHintG.

13Die Befürchtung der Gläubigerin, die Hinterlegungen seien auf den Pfändungsbeschluss vom bezogen, weshalb die Schuldnerin die hinterlegten Beträge bei Aufhebung des Pfändungsbeschlusses zurückfordern könnte, ist unbegründet. Der von der Schuldnerin als Hinterlegungsgrund in Bezug genommene § 20 Abs. 1 AVAG hat die Abwendung der Zwangsvoll-streckung aus einem Titel zum Gegenstand; bei dem Pfändungsbeschluss handelt es sich jedoch nicht um einen Titel. Die Schuldnerin hat ihrem Antrag auf Hinterlegung den Pfändungsbeschluss vom lediglich beigefügt. Eine auch inhaltlich fernliegende Erklärung, der Hinterlegungszweck würde entfallen, sobald der Pfändungsbeschluss aufgehoben sei, ist ihrem Antrag nicht zu entnehmen. Die Beifügung erklärt sich daraus, dass ihr einerseits der Titel noch nicht zugestellt, dieser aber im Pfändungsbeschluss genannt war, und sie andererseits im Ergebnis mit der Hinterlegung die Aufhebung dieses Beschlusses bezweckte.

14c) Die Höhe der von der Schuldnerin geleisteten Sicherheitsleistung entspricht der Festsetzung in der Vollstreckbarerklärung vom , die erkennbar eine Sicherheit im Sinne von § 20 AVAG betrifft. Sie reicht daher zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vor Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung aus.

15Ob die hinterlegten 13.200.000 € dem Betrag entsprechen, wegen dessen der Berechtigte vollstrecken darf (§ 20 Abs. 1 AVAG), kann insoweit offen bleiben. Da allein die inländische Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung die maßgebliche Grundlage für die Zwangsvollstreckung in Deutschland ist (vgl. , BGHZ 122, 16, 18, juris Rn. 17 m.w.N.), ist eine Zwangsvollstreckung nicht über die in der Vollstreckbarerklärung enthaltenen Beschränkungen hinaus zulässig. Zu diesen Beschränkungen gehört auch die Festsetzung, dass die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in einer bestimmten Höhe abgewendet werden kann.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:310517BVIIZB2.17.0

Fundstelle(n):
DB 2017 S. 7 Nr. 29
NJW 2017 S. 10 Nr. 32
NJW-RR 2017 S. 1274 Nr. 20
WM 2017 S. 1422 Nr. 29
SAAAG-50453