BGH Urteil v. - XI ZR 314/15

Widerruf der zur Finanzierung von Lebensversicherungsprämien geschlossenen Verbraucherdarlehensverträge: Unstreitigstellen des Zustandekommens verbundener Verträge durch die Parteien

Leitsatz

Die Parteien können das Zustandekommen verbundener Verträge als Ergebnis einer rechtlichen Bewertung nicht unstreitig stellen.

Gesetze: § 355 BGB vom , § 358 Abs 2 S 2 BGB vom , § 495 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: 5 U 9/15vorgehend LG Lübeck Az: 3 O 96/13

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung und Feststellung nach Widerruf seiner auf den Abschluss zweier Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen in Anspruch.

2Der Kläger interessierte sich im Jahr 2005 für eine "Sicherheits-Kompakt-Rente" (SKR), die von einer zur "S.    -Gruppe" gehörenden S.            GmbH & Co. KG vermittelt wurde. Er schloss mit der R.                                Limited einen Vertrag über eine Kapitallebensversicherung, mit der W.                                  Aktiengesellschaft einen Vertrag über eine Rentenversicherung und mit der E.                     AG einen Vertrag über eine Risikolebensversicherung. Für die Kapitallebensversicherung und die Rentenversicherung fielen Einmalprämien in Höhe von 341.504 € und von 270.673 €, insgesamt mithin 612.177 €, an, die der Kläger überwiegend mittels von der Beklagten zur Verfügung gestellter Fremdmittel und in Höhe von 197.265 € aus eigenen Mitteln aufbringen sollte. In Aussicht genommen war, mit dem Ertrag der Kapitallebensversicherung die (endfälligen) Fremdmittel abzulösen und mittels der aus der Rentenversicherung erwirtschafteten Renten mit einer vertraglichen Komponente und einer Bonusrente die laufenden Finanzierungskosten zu bedienen.

3Entsprechend schloss der Kläger zur (Teil-)Finanzierung der für die Lebensversicherung und die Rentenversicherung erforderlichen Einmalprämien sowie zur Finanzierung von Vermittlungskosten unter Einrechnung eines Disagios mit der Beklagten im Dezember 2005 zwei Verbraucherdarlehensverträge mit Laufzeiten jeweils bis zum zu Nennbeträgen von 85.314 € und 392.307 €. Die Beklagte belehrte den Kläger jeweils über sein Widerrufsrecht wie folgt:

4Der Prozessbevollmächtigte des Klägers widerrief für diesen mit Schreiben vom unter Vorlage einer auf den datierten Vollmacht die auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen des Klägers.

5Seine Klage auf Zahlung der Differenz zwischen der von ihm vorgetragen erbrachten Leistungen in Höhe von 311.481,29 € abzüglich vereinnahmter Rentenerträge in Höhe von 111.668,97 €, mithin auf Zahlung von 199.812,32 €, auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, auf negative Feststellung betreffend etwaige Ansprüche der Beklagten aus den Darlehensverträgen und auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm Zinsen auf verauslagte Gerichtskosten bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags bei Gericht zu zahlen, mit der er "hilfsweise" die Verurteilung Zug um Zug "gegen das Angebot des Verzichts auf die Rückabtretung der Ansprüche" durch die Beklagte aus den näher bezeichneten Versicherungsverträgen beantragt hat, hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

6Die Revision des Klägers hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

7Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

8Dem Kläger habe, als er den Widerruf erklärt habe, ein Widerrufsrecht nicht mehr zugestanden, weil die von der Beklagten erteilten Belehrungen die Widerrufsfrist wirksam in Gang gesetzt hätten. Zwar hätten die Widerrufsbelehrungen den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen, weil sie mittels der Verwendung des Wortes "frühestens" nicht hinreichend deutlich über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist unterrichtet hätten. Die Beklagte könne sich aber auf die Gesetzlichkeitsfiktion des damals gültigen Musters für die Widerrufsbelehrung berufen. Soweit die Beklagte das Muster abgeändert habe, brächten diese Änderungen die Gesetzlichkeitsfiktion nicht in Gefahr.

II.

9Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Teilen nicht stand.

101. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt, dem Kläger sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, seine auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem und dem geltenden Fassung zu widerrufen. Dass das Widerrufrecht des Klägers nach § 358 Abs. 2 Satz 2 BGB in der zwischen dem und dem geltenden Fassung (künftig: a.F.) ausgeschlossen gewesen sei, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

112. Unzutreffend ist dagegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am bereits abgelaufen gewesen.

12a) Die dem Kläger erteilten Widerrufsbelehrungen informierten, was das Berufungsgericht gesehen hat, mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn und - insoweit vom Berufungsgericht fehleingeschätzt - mittels der eingefügten Fußnote: "Bitte Frist im Einzelfall prüfen" unklar über die Länge der Widerrufsfrist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 564/15, WM 2016, 1930 Rn. 18 f., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

13b) Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der zwischen dem und dem geltenden Fassung kann sich die Beklagte entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts nicht berufen. Wie der Senat für eine inhaltsgleiche Widerrufsbelehrung nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, hat die Beklagte das Muster, was der Senat durch einen Vergleich selbst feststellen kann (st. Rspr., zuletzt Senatsurteil vom - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 26, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ), einer inhaltlichen Bearbeitung unterzogen, die über das nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV in der bis zum geltenden Fassung für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion Unschädliche hinausgeht.

III.

14Das Berufungsurteil stellt sich nur insoweit aus anderen Gründen als richtig dar, als das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Erstattung von vorgerichtlich verauslagten Anwaltskosten versagt und die Feststellung nicht getroffen hat, die Beklagte sei dem Kläger zur Verzinsung verauslagter Gerichtskosten verpflichtet (§ 561 ZPO). Im Übrigen hält das Berufungsurteil einer revisionsrechtlichen Überprüfung auch nicht mit anderer Begründung stand.

151. Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten zu. Aus Verzug kann der Kläger selbst dann Zahlung nicht verlangen, wenn sich die Darlehensverträge aufgrund des Widerrufs in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt haben sollten. Da der vorgerichtlich mandatierte Rechtsanwalt als Vertreter des Klägers den Widerruf erklärt hat und nach eigenem Vortrag des Klägers schon am mit der Angelegenheit befasst wurde, ist er, was aber Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit wäre, nicht nach Eintritt des Schuldnerverzugs mandatiert worden (Senatsurteil vom - XI ZR 467/15, juris Rn. 31). Der Kläger kann die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten auch nicht mit der Begründung verlangen, die Beklagte schulde ihm Schadensersatz, weil sie ihre Verpflichtung zur Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verletzt habe (Senatsurteil vom aaO Rn. 34 f.). Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz daneben Vortrag dazu gehalten hat, die Beklagte hafte aus dem Gesichtspunkt einer Falschberatung des Vermittlers auf Schadensersatz, hat er damit in zweiter Instanz einen weiteren Streitgegenstand eingeführt (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 254/15, WM 2016, 1831 Rn. 23 ff.). Das Berufungsurteil ist auf einen so begründeten Anspruch nicht eingegangen, so dass seine Rechtshängigkeit mit Ablauf der in §§ 320, 321 ZPO genannten Fristen entfallen ist (vgl. , NJW-RR 2005, 790, 791 f.).

162. Weiter steht dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung verauslagter Gerichtskosten neben dem Zinsanspruch aus § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob ein solcher Anspruch aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB neben dem Anspruch aus § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO überhaupt in Betracht kommen kann. Jedenfalls hat der Kläger die Beklagte mit der Erstattung verauslagter Gerichtskosten weder in Verzug gesetzt noch die Forderung, deren Verzinsung er verlangt, rechtshängig gemacht (vgl. , NJW 2014, 3151 Rn. 22).

173. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des § 561 ZPO nicht vor. Insbesondere kann der Senat nicht von einer § 242 BGB widerstreitenden Ausübung des Widerrufsrechts des Klägers ausgehen.

IV.

18Mangels Entscheidungsreife ist die Sache daher im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

19Das Berufungsgericht wird sich nach Maßgabe der nach Erlass des Berufungsurteils präzisierten Grundsätze mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob der Ausübung des Widerrufsrechts § 242 BGB entgegen gestanden hat (vgl. , WM 2016, 1835 Rn. 39 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ, und - XI ZR 564/15, WM 2016, 1930 Rn. 34 ff. sowie vom - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 30).

20Sollte das Berufungsgericht das Ergebnis erzielen, der Kläger habe seine auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen wirksam widerrufen, wird es bei der Ermittlung der aus dem Widerruf resultierenden Rechtsfolgen zu bedenken haben, dass die Parteien das Zustandekommen verbundener Verträge - weil Ergebnis einer rechtlichen Bewertung - nicht unstreitig stellen können (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 6/12, WM 2013, 1314 Rn. 30). Das Berufungsgericht wird sich mithin nach Maßgabe der Rechtsprechung des Senats (vgl. , BGHZ 184, 1 Rn. 13 ff., 16 ff. und vom - XI ZR 406/13, BGHZ 205, 249 Rn. 19 ff.) mit den Voraussetzungen des § 358 BGB a.F. zu befassen haben.

21Sollte es dahin gelangen, der Kläger habe die Darlehensverträge wirksam widerrufen, wird es, sofern es die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Zug-um-Zug-Verurteilung der Beklagten für gegeben erachtet, zu berücksichtigen haben, dass eine negative Feststellung "Zug um Zug" gegen Leistung mangels Vollstreckbarkeit des Feststellungsurteils im eigentlichen Sinne prozessual ins Leere geht (Senatsurteil vom - XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117 Rn. 83 mwN) und ein Anspruch durch Erlassvertrag, nicht durch "Verzicht" zum Erlöschen gebracht wird.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:090517UXIZR314.15.0

Fundstelle(n):
DB 2017 S. 7 Nr. 25
WM 2017 S. 1206 Nr. 25
ZIP 2017 S. 1204 Nr. 25
UAAAG-47325