BFH Urteil v. - X R 104/98

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin von Grundstücken in K und O. Auf diesen errichtete sie Hallen, die sie an eine GmbH verpachtete, deren Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin sie war. Ein mit einer weiteren Halle bebautes Grundstück in R vermietete die Klägerin an eine Großhandelskette. Die für die Errichtung der Hallen aufgenommenen Darlehen waren durch Grundschulden auf den Grundstücken gesichert.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) wertete die Verpachtung der Grundstücke in K und O als Betriebsaufspaltung. Er behandelte die Pachtzinsen als gewerbliche Einnahmen und die GmbH-Anteile sowie die Grundstücke als notwendiges Betriebsvermögen des Besitzunternehmens.

Im Jahr 1980 nahm die GmbH Kredite auf. Für einen Teil dieser Kredite übernahm die Klägerin eine Bürgschaft über 1 325 000 DM. Als weitere Sicherheit bewilligte sie die Eintragung von Grundschulden auf den Grundstücken in K und O. Zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die zur Sicherung der Darlehen für die Errichtung der Hallen und der Verbindlichkeiten der GmbH eingetragenen Grundschulden auf ca. 7,2 Mio. DM.

Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der GmbH wurden die Anteile bis 1985 sukzessive auf 1 DM abgeschrieben. Im Jahr 1985 entschloss sich die Klägerin, die GmbH zu liquidieren. Der Warenbestand wurde veräußert. Die Pachtverhältnisse über die Grundstücke in O und K wurden zum gelöst. Die Grundstücke wurden anderweitig verpachtet. In diesen Vorgängen sahen die Beteiligten die Beendigung der Betriebsaufspaltung und die Aufgabe des Gewerbebetriebs der Klägerin unter Überführung der Grundstücke in O und K in das Privatvermögen zum . Der Aufgabegewinn in Höhe von ca. 2 Mio. DM wurde im Jahr 1985 der Besteuerung unterworfen. Dabei wurde der gemeine Wert der Hallengrundstücke in O und K mit 1,66 Mio. DM bzw. 4,4 Mio. DM angenommen.

Zum beliefen sich die durch Grundschulden abgesicherten Darlehensverbindlichkeiten der Klägerin aus dem Bau der Hallen und die gesamten Verbindlichkeiten der GmbH (einschließlich Steuerschulden, Lieferantenverbindlichkeiten, Schuldwechsel etc.) auf folgende Beträge:

Verbindlichkeiten der Klägerin:

Hallengrundstück O 1 049 138,83 DM

Hallengrundstück K 2 737 257,26 DM

Hallengrundstück R   423 594,94 DM

4 209 991,03 DM

Verbindlichkeiten GmbH 3 948 381,84 DM

8 158 372,87 DM

Ab 1986 schuldete die Klägerin die Verbindlichkeiten großenteils durch Aufnahme neuer Darlehen um; zu einem geringen Teil wurden alte Verbindlichkeiten fortgeführt. Hierbei tilgte die Klägerin von den Schulden der GmbH nach eigenen Angaben einen Betrag in Höhe von 3 053 393,87 DM, um die drohende Inanspruchnahme aus den dinglichen Sicherheiten und damit die Versteigerung der Hallengrundstücke, die zwischenzeitlich an Dritte verpachtet waren, zu verhindern.

In der Einkommensteuererklärung für 1986 machte die Klägerin Schuldzinsen in Höhe von 410 950,75 DM und Disagiobeträge in Höhe von 315 000 DM bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten geltend. Das FA veranlagte die Klägerin zunächst antragsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Änderungsbescheid vom berücksichtigte das FA hingegen die Disagiobeträge mangels entsprechender Nachweise nicht mehr.

Im Einspruchsverfahren sah das FA zwar die Disagiobeträge, nicht aber die zusätzlich geltend gemachten Schuldzinsen in Höhe von 13 416,67 DM als nachgewiesen an. Da es wegen der fehlenden Angaben der Klägerin die Zins- und Disagiobeträge —von einer Ausnahme abgesehen— nicht den einzelnen Darlehen zuordnen konnte, nahm es die Aufteilung im Wege der Schätzung vor. Es ermittelte das Verhältnis der mit der Errichtung der Hallen zusammenhängenden Darlehen und der Schulden der GmbH, für die die Klägerin Sicherheit geleistet hatte, zum Gesamtbetrag dieser Verbindlichkeiten wie folgt:

Darlehen Hallengrundstücke 4 209 991,03 DM =  57,96 v.H.

gesicherte Schulden der GmbH 3 053 393,87 DM =  42,04 v.H.

Gesamtbetrag 7 263 384,90 DM = 100,00 v.H.

Die Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung errechnete das FA aufgrund dieser Verhältnisrechnung:

Nachgewiesene Aufwendungen 725 950,75 DM

direkte Zuordnung von

Kreditzinsen -  46 709,13 DM 46 709,13 DM

aufzuteilender Betrag 679 241,63 DM

davon WK aus Vermietung und

Verpachtung (= 57,96 v.H.) 393 688,45 DM

Werbungskosten insgesamt 440 397,57 DM

Einen Betrag in Höhe von 72 930,28 DM ließ das FA als nachträgliche Betriebsausgaben zum Abzug zu, da nur insoweit die von der Klägerin gesicherten Verbindlichkeiten der GmbH nicht durch die Verwertung der Betriebsgrundstücke hätten getilgt werden können. 226 039,57 DM der Zins- und Disagioaufwendungen blieben damit 1986 steuerlich unberücksichtigt.

Die in der Einspruchsentscheidung zum Einkommensteuerbescheid für 1987 anerkannten Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 292 230,27 DM und die nachträglichen Betriebsausgaben von 45 960,08 DM berechnete das FA entsprechend. Die keiner Einkunftsart zugeordneten Zinsaufwendungen betrugen 1987 133 993,23 DM.

Von den für das Jahr 1988 geltend gemachten Schuldzinsen und Disagiobeträgen behandelte das FA in der Einspruchsentscheidung zum Einkommensteuerbescheid 302 697,80 DM als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung und 45 233,83 DM als nachträgliche Betriebsausgaben. 137 337,57 DM ordnete es der steuerlich unbeachtlichen Privatsphäre zu.

Die Klage gegen die Steuerfestsetzungen für die Jahre 1986 bis 1988, in der die Klägerin den Abzug der gesamten Zins- und Disagiobeträge als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bzw. als nachträgliche Betriebsausgaben beantragte, wies das Finanzgericht (FG) ab. Eine Berücksichtigung der gesamten Aufwendungen als Werbungskosten scheide aus, da es teilweise an der erforderlichen Veranlassung der Aufwendungen durch die Erzielung von Einkünften fehle.

Entscheidend für die Zuordnung der Schulden sei der Zweck der Kreditaufnahme. Eine Umwidmung sei nach dem (BFHE 166, 425, BStBl II 1992, 404) nur unter Heranziehung des Surrogationsgedankens vorstellbar. Andernfalls wäre auch ein privater Konsumentenkredit, der an einem vermieteten Grundstück dinglich abgesichert sei, durch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung veranlasst.

Zwar hätten im Jahr 1986 noch die nachträglich geltend gemachten und nachgewiesenen Schuldzinsen in Höhe von 13 416,67 DM dem aufzuteilenden Gesamtaufwand hinzugerechnet werden müssen. Dieser Fehler werde jedoch dadurch kompensiert, dass das FA bei der Berechnung des Aufteilungsmaßstabs für Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung und nachträgliche Betriebsausgaben zu Unrecht die unmittelbar zuzuordnenden Schuldzinsen einbezogen habe. Dadurch sei der Klägerin im Ergebnis ein zu hoher Aufwand zuerkannt worden.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der § 21 Abs. 1 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Sie beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und der Einspruchsentscheidungen die angefochtenen Einkommensteuerbescheide dahin gehend zu ändern, dass die in den Streitjahren gezahlten Schuldzinsen und Disagiobeträge auch insoweit als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder als nachträgliche Betriebsausgaben berücksichtigt werden, als sie auf Kredite der GmbH zurückgehen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Änderungsbescheide vom .

II. Die Revision führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Unrecht den Abzug der von der Klägerin gezahlten Zins- und Disagiobeträge als nachträgliche Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung abgelehnt.

1. Zutreffend wurden die unmittelbar durch den Bau der Hallen verursachten Schuldzinsen und Disagiobeträge als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anerkannt. Wegen fehlender Angaben der Klägerin durften die Beträge im Schätzungswege aufgeteilt werden.

2. Schuldzinsen für betrieblich begründete Verbindlichkeiten sind nach ständiger Rechtsprechung auch im Falle einer Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG) insoweit nachträgliche Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4, § 24 Nr. 2 EStG), als die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten nicht durch den Verwertungserlös oder durch eine mögliche Verwertung von Aktivvermögen beglichen werden können. (vgl. , BFHE 186, 526, BStBl II 1999, 209, m.w.N.).

Auf dieser Grundlage hat das FG im Wege der Schätzung ermittelte Schuldzinsen und Disagiobeträge dem Grunde nach zutreffend als nachträgliche Betriebsausgaben anerkannt. Allerdings ist fraglich, ob es die Höhe der betrieblich begründeten Verbindlichkeiten zutreffend festgestellt hat. Betriebsschulden des Einzelunternehmens der Klägerin (Besitzunternehmen) waren zum einen die gesicherten Verbindlichkeiten der GmbH. Nach § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG mussten die Bürgschaftsverpflichtung über 1 325 000 DM und eine Rückstellung für eine ungewisse (dingliche) Verpflichtung in Höhe der zu erwartenden Inanspruchnahme aus den für die Verbindlichkeiten der GmbH bestellten Grundschulden in dem Zeitpunkt passiviert werden, in dem eine Inanspruchnahme der Klägerin als Bürgin drohte bzw. zu erwarten war, dass die GmbH ihre Schulden nicht begleichen konnte (, BFH/NV 1991, 588, m.w.N.). Diese Voraussetzungen lagen unabhängig vom Zeitpunkt der Beendigung der Betriebsaufspaltung spätestens Ende 1985 vor. Weitere Betriebsschulden des Einzelunternehmens der Klägerin waren die aus dem Bau der Hallen resultierenden, aber auch allgemein betrieblich begründete Verbindlichkeiten.

3. Soweit die Schuldzinsen für betriebliche Verbindlichkeiten des Einzelunternehmens der Klägerin (vgl. unter 2.) nicht als nachträgliche Betriebsausgaben geltend gemacht werden können, sind sie jedenfalls Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (Senatsurteil vom X R 96/95, BFHE 187, 21, BStBl II 1999, 353).

Die Klägerin hat zwar die ursprünglich im Rahmen ihres Einzelunternehmens für allgemeine betriebliche Zwecke aufgenommenen Kredite nach der Aufgabe des Betriebes nicht mittels Veräußerung der Hallengrundstücke getilgt. Da sie indes, um diese nunmehr an Dritte zu verpachten, die betrieblichen Verbindlichkeiten durch neue Darlehen abgelöst hat, dienen die Schuldzinsen für die neuen Darlehen ebenso wie die aufgewendeten Disagiobeträge den nunmehr angestrebten Pachteinkünften und sind daher als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar (vgl. auch , BFH/NV 2001, 1065). Der nachweislich verwirklichte Entschluss, die ehemaligen Betriebsgrundstücke zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einzusetzen, steht einer neuen Anlageentscheidung gleich. In Höhe des Grundstückswerts stehen die neuen Kredite in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesen neuen Einkünften, zu deren Erzielung das Wirtschaftsgut nunmehr verwendet wird (vgl. —zur Zuordnung eines Kredits zu einer neuen Kapitalanlage— , BFHE 182, 312, BStBl II 1997, 454, unter II. 2. a; in BFHE 187, 21, BStBl II 1999, 353, zur Fortführung einer ehemaligen Betriebsschuld im Rahmen einer vermögensverwaltenden Vermietung).

Mit dieser Beurteilung weicht der erkennende Senat nicht von dem Urteil des XI. Senats vom XI R 98/96 (BFHE 184, 502, BStBl II 1998, 144) ab. Nach dieser Entscheidung können Schuldzinsen nicht in Werbungskosten bei einer anderen Einkunftsart umgewidmet werden, wenn das zugrunde liegende Darlehen nicht während des Betriebs entstanden, sondern Folge der Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs ist. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor. Im Streitfall standen die Verbindlichkeiten hingegen in keinem Zusammenhang mit der Beendigung der Betriebsaufspaltung und der Aufgabe des Betriebs des Einzelunternehmens, sondern waren Folge der Bürgschaftsübernahme durch die Klägerin bzw. der dinglichen Sicherung der Schulden der GmbH.

4. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist und sein Urteil sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend darstellt, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Senat vermag allerdings nicht abschließend über das Begehren der Klägerin zu entscheiden. Denn die abschließende umfassende Sachverhaltsaufklärung, in welcher Höhe Betriebsschulden des Einzelunternehmens im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe vorlagen und welche Schuldzinsen und Disagiobeträge in den Streitjahren als nachträgliche Betriebsausgaben oder —wegen der steuerlich anzuerkennenden ”Umwidmung"— als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzuerkennen sind, obliegt dem FG als Tatsacheninstanz.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 163
BFH/NV 2002 S. 163 Nr. 2
FR 2002 S. 81 Nr. 2
IAAAA-66473