BSG Beschluss v. - B 4 SF 4/16 R

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsweg - Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das BSG bei sog negativen rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt - Verweisungsbeschluss - Bindungswirkung - Durchbrechung

Gesetze: § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, § 17a Abs 2 S 1 GVG, § 17a Abs 2 S 3 GVG, Art 19 Abs 4 GG

Instanzenzug: SG Hildesheim Az: S 34 SO 100/16 Beschluss

Gründe

1I. Die Beteiligten als vormalige Parteien einer Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung nach dem SGB XII für den Leistungsbereich des ambulanten Betreuten Wohnens für Menschen mit Behinderung vom September 2013 beendeten ihre vertraglichen Beziehungen durch Vergleich vom vor dem SG Hildesheim. Hierdurch erledigte sich zugleich eine vom Beklagten zuvor ausgesprochene Kündigung der Vereinbarung.

2Für die im Juni 2016 von der Klägerin bei dem LG Göttingen erhobene Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, 25 000 Euro zzgl weiterer Zahlungen zu erbringen, hat dieses Gericht sich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Hildesheim verwiesen (Beschlüsse vom /).

3Mit Beschluss vom hat sich auch das SG Hildesheim für sachlich unzuständig erklärt, das Verfahren ausgesetzt und dem BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es halte sich nicht an den Verweisungsbeschluss des LG Göttingen gebunden. Dessen Auffassung, das SG Hildesheim sei für die Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatz zuständig, entbehre jeden sachlichen Grundes und sei offensichtlich nicht haltbar. Weder der Hinweis auf früher geltende Vereinbarungen noch darauf, dass wegen der Wirksamkeit der Kündigung ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig gewesen sei, vermöge § 71 Abs 2 Nr 2 GVG außer Kraft zu setzen.

4II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG durch das BSG liegen vor.

5Das BSG ist hier als der für einen der beteiligten Gerichtszweige zuständige oberste Gerichtshof für die Bestimmung zuständig, weil es vom SG Hildesheim als erster oberster Gerichtshof um die Entscheidung angegangen worden ist. Das BSG hat bereits entschieden, dass in entsprechender Anwendung des § 58 Abs 1 Nr 4 SGG das zuständige Gericht auch dann zu bestimmen ist, wenn ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit und das Gericht eines anderen Gerichtszweigs den Rechtsweg zu sich rechtskräftig verneint haben, sofern das BSG als erster oberster Gerichtshof mit dieser Bestimmung befasst wird ( - SozR 1500 § 58 Nr 4; vgl zuletzt ). Dies entspricht auch der übereinstimmenden Rechtsprechung des BGH und des BAG zu den vergleichbaren Vorschriften ihrer Verfahrensordnungen ( Ib ARZ 207/64 - BGHZ 44, 14; - BAGE 23, 167 = AP Nr 8 zu § 36 ZPO; AP Nr 34 zu § 36 ZPO).

6Zuständiges Gericht ist das SG Hildesheim. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung der Beschlüsse des LG Göttingen. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs 2 S 3 GVG bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Es ist nicht Aufgabe des "gemeinsam" übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, den Streit der beteiligten Gerichte über den Anwendungsbereich von Regelungen über die Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen (vgl zuletzt Beschluss des Senats vom - B 4 SF 5/16 R - mwN).

7Nur in seltenen Ausnahmefällen kommt eine Durchbrechung der Bindungswirkung in Betracht, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichen Erwägungen beruht. Eine fehlerhafte Auslegung des Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird und die vertretene Auffassung jeden sachlichen Grundes entbehrt, sodass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt (stRspr; vgl nur - Juris RdNr 9; zuletzt - RdNr 4; - MDR 2015, 908).

8Trotz des knappen Verweisungsbeschlusses des Einzelrichters am LG Göttingen liegt ein solcher Ausnahmefall hier nicht vor, weil dieser offenbar einen sich aus verschiedenen Rechtsgrundlagen ergebenden Zahlungsanspruch mit einem rechtlichen Zusammenhang zur Kündigung der Sozialhilfevereinbarungen zugrunde gelegt hat. Vor diesem Hintergrund kann der Senat nicht von einer willkürlichen Verweisung ausgehen.

9Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:131216BB4SF416R0

Fundstelle(n):
YAAAG-42056