BFH Urteil v. - VI R 183/98

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Im Einspruchsverfahren wegen ”Einkommensteuer 1984” (Streitjahr) machte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ohne Erfolg Darlehensverluste als negative Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit geltend. In der Klageschrift beantragte er: ”1. Unter Änderung des ESt-Bescheides 1984 vom das zu versteuernde Einkommen um 356.500 DM zu mindern. Die Klage richtet sich insofern gegen die Einspruchsentscheidung…vom .…4. Gegenstand des Klagebegehrens ist die auf den Betrag von 356.500 DM entfallende Einkommen- und Kirchensteuer.”

Das Finanzgericht (FG) forderte den Kläger mit Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) u.a. auf, bis zum den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Das Schreiben enthielt eine Belehrung über die Folgen einer Fristversäumung und wurde dem Prozessbevollmächtigten am bekannt gegeben. Nach Ablauf der Frist wies das FG die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1690 veröffentlichen Gründen als unzulässig ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Gegenstand des Klagebegehrens sei nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Kläger dem Gericht den konkreten Sachverhalt unterbreite, der nach seiner Ansicht unzutreffend gewürdigt sei. Allein durch einen bezifferten Klageantrag werde der Gegenstand des Klagebegehrens nicht hinreichend bezeichnet. Im Einspruchsverfahren habe der Kläger beantragt, Verluste in Höhe von 248 000 DM abzuziehen, während der Klageantrag darauf abziele, das zu versteuernde Einkommen um 356 500 DM zu mindern.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 65 Abs. 1 Satz 1 und 76 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Er beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger habe in der Klageschrift den Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet.

1. Nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht dem Kläger eine Frist zur Ergänzung seiner Klage setzen, wenn sie nicht den Anforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO entspricht. Daraus ergibt sich, dass das FG vor einer Ausschlussfristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO prüfen muss, ob die eingereichte Klage den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO entspricht (Beschlüsse des Bundesfinanzhof —BFH— vom V B 75/96, BFH/NV 1997, 415, und vom VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818; vgl. ferner , BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628, und vom III R 93/95, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483). Nach § 65 Abs. 1 FGO erfordert eine zulässige Anfechtungsklage neben der Angabe des Klägers, des Beklagten und des angefochtenen Verwaltungsaktes die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens. Das Tatbestandsmerkmal ”Gegenstand des Klagebegehrens” ist durch das FGO-Änderungsgesetz vom (BGBl I 1992, 2109) für den bis dahin verwendeten Begriff ”Streitgegenstand” eingefügt worden, ohne dass damit eine sachliche Änderung beabsichtigt war (BTDrucks 12/1061, S. 14). Auslegung und Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO sollten lediglich von dem Meinungsstreit über den Streitgegenstand freigehalten werden. Die bisherige Rechtsprechung zu § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ist daher weiter anwendbar (BFH-Urteile in BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483, und in BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628; vom VIII R 56/98, BFH/NV 2000, 198, und vom IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16; ebenso Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 65 Anm. 31, 46; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 65 FGO Rz. 34).

Nach dem Beschluss des Großen Senats des (BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99) ist zur Bezeichnung des Streitgegenstands —jetzt: des Gegenstands des Klagebegehrens— vorzutragen, worin die den Kläger treffenden Rechtsverletzungen liegen und inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sein soll. Da das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf, muss es in die Lage versetzt werden, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen (ebenso , BFH/NV 1996, 564, und in BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628, sowie in BFH/NV 2000, 198; ferner vom X R 20/98, BFH/NV 1999, 1603). Wie weit das Klagebegehren im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt (BFH-Urteile in BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483; in BFH/NV 1999, 1603; in BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628, und in BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16; vgl. ferner BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 415).

2. Zur Konkretisierung des Klagebegehrens kann ein bestimmter Klageantrag ausreichen. Der BFH hat wiederholt entschieden, dass der Gegenstand des Klagebegehrens hinreichend bestimmt ist, wenn ein Kläger die Herabsetzung der Steuerschuld bzw. einer bestimmten Besteuerungsgrundlage auf einen genau bezeichneten Betrag beantragt (, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242) oder wenn er sein Begehren durch Angabe von Umsatz, Vorsteuer und Gewinn näher umschreibt (, BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462; in BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628; in BFH/NV 1999, 1603, und vom XI R 31-32/97, BFH/NV 1998, 1245). Auch der erkennende Senat hält bei einem bezifferten Klageantrag weitere Angaben zum Sachverhalt jedenfalls dann nicht für erforderlich, wenn der Sachverhalt, um den gestritten wird, in groben Zügen aus der Einspruchsentscheidung erkennbar ist. Denn dann ist dem Gericht bekannt, worüber es i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO entscheiden soll.

3. Die Vorentscheidung kann danach keinen Bestand haben. Entgegen der Ansicht des FG ist der Gegenstand des Klagebegehrens durch den bezifferten Antrag in der Klageschrift hinreichend bezeichnet, das zu versteuernde Einkommen um 356 500 DM zu mindern. Aus diesem Antrag in Verbindung mit der in der Klageschrift erwähnten Einspruchsentscheidung konnte das FG den Gegenstand des Klagebegehrens, nämlich den Abzug von Darlehensverlusten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in bestimmter Höhe, entnehmen. Es hätte deshalb die Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht setzen und die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 1480 Nr. 12
HAAAA-65915