Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen - S 0362

Gesonderte Feststellung gem. § 181 Abs. 5 AO nach Ablauf der Feststellungsfrist

I. Allgemeines

Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als sie für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Eine mittelbare Bedeutung reicht aus (, BStBl 2002 II, 681).

§ 181 Abs. 5 AO ist Ausdruck der dienenden Funktion des Feststellungsverfahrens und will verhindern, dass die rechtliche Verselbständigung der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zu materiell unrichtigen Steuerfestsetzungen führt, obschon die entsprechenden Steuern noch nicht verjährt sind (, BStBl 2011 II, 963).

§ 181 Abs. 5 AO gilt nicht nur für den erstmaligen Erlass, sondern auch für die Änderung und Berichtigung von Feststellungsbescheiden (, BStBl 1994 II, 381).

Fallgestaltungen, in denen eine Feststellung gem. § 181 Abs. 5 AO in Betracht kommt, sind z. B.:

  • Nach § 171 Abs. 4 AO wird der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt, soweit vor ihrem Ablauf mit einer Außenprüfung begonnen wird. Wurden in einem Steuerfall in der Prüfungsanordnung als Prüfungsumfang lediglich die Einkommensteuer und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb angegeben und stellt sich später im Rechtsbehelfsverfahren gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide heraus, dass die geprüften Einkünfte aus Gewerbebetrieb tatsächlich gem. §§ 179 ff AO gesondert festzustellen waren, so gilt die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 bzw. Abs. 3a AO nicht auch für das nunmehr nachzuholende Feststellungsverfahren. Vielmehr ist der Ablauf der Feststellungsfrist losgelöst von dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuerbescheide zu prüfen. Es handelt sich insofern um zwei selbständige Verfahren.

    Der Erlass der Bescheide über die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb ist jedoch trotz Ablaufs der Feststellungsfrist noch nach § 181 Abs. 5 AO möglich, weil die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer aufgrund des anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist.

  • Stellt sich im Laufe eines Rechtsbehelfsverfahrens heraus, dass der angefochtene Feststellungsbescheid unwirksam ist, so scheitert ein erneuter Erlass des Feststellungsbescheides häufig am Ablauf der Feststellungsfrist, mit der Folge, dass die (einheitlich und) gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen ersatzlos aus dem jeweiligen Folgebescheid herauszunehmen sind (Bindungswirkung gem. § 182 Abs. 1 AO). Führt die Anpassung des Folgebescheides in diesen Fällen zu einer Steuererstattung, ist nach dem , BFH/NV 2004, 1066) der erneute Erlass des Feststellungsbescheides trotz Ablaufs der Feststellungsfrist gem. § 181 Abs. 5 AO zulässig, weil der Eintritt der Festsetzungsverjährung unter diesen Umständen bei dem Folgebescheid gem. § 171 Abs. 14 AO gehemmt ist, bis der Erstattungsanspruch zahlungsverjährt ist. Die Zahlungsverjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO) und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch (in diesem Fall der Erstattungsanspruch, der sich aufgrund der Änderung des Folgebescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO wegen der Aufhebung des Grundlagenbescheides ergeben würde) erstmals fällig geworden ist (229 Abs. 1 AO).

Ist die Durchführung des Feststellungsverfahrens gem. § 181 Abs. 5 AO zulässig, so kann der Folgebescheid – unbeschadet des Ablaufs der Festsetzungsfrist im übrigen – nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO innerhalb der Frist der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO an den wirksam bekannt gegebenen Feststellungsbescheid angepasst werden. Denn § 171 Abs. 10 AO bezweckt, dass dem Folgefinanzamt genügend Zeit zur Auswertung des Grundlagenbescheides zur Verfügung steht. Bei der Prüfung, ob die Festsetzungsfrist für den Folgebescheid noch nicht abgelaufen ist und daher ein Feststellungsbescheid noch gem. § 181 Abs. 5 AO erlassen werden darf, bleibt die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO allerdings außer Betracht. Andernfalls wäre der Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 181 Abs. 5 AO im Ergebnis immer möglich, weil durch seinen Erlass die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO hinsichtlich der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid zum Tragen käme.

Eine einheitlich und gesonderte Feststellung von Einkünften (§ 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO) kann trotz Ablaufs der für sie geltenden Feststellungsfrist (§§ 181 Abs. 1, 169 – 171 AO) auch dann gem. § 181 Abs. 5 AO durchgeführt werden, wenn bei einzelnen Feststellungsbeteiligten die Festsetzungsfrist für den Folgebescheid bereits abgelaufen ist (, BStBl 1997 II, 750). Der materiellen Richtigkeit des Folgebescheides ist stets Vorrang vor dem Gebot der Einheitlichkeit der gesonderten Feststellung einzuräumen, denn nur dies entspricht dem Sinn des Feststellungsverfahrens als ein dem Steuerfestsetzungsverfahren dienendes Verfahren. Andernfalls wäre zudem vor Erlass eines Feststellungsbescheides gem. § 181 Abs. 5 AO bei den Wohnsitzfinanzämtern aufwändig zu prüfen, ob bereits bei einzelnen Feststellungsbeteiligten Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Dies ist gerade bei Publikumsgesellschaften nahezu unmöglich (vgl. , BStBl 1995 II, 822, , BStBl 1997 II, 750, , BFH/NV 2000, 254, und , BFH/NV 2001, 414).

II. Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO

Wird auf der Grundlage des § 181 Abs. 5 AO eine gesonderte Feststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist durchgeführt, ist im Feststellungsbescheid auf seine eingeschränkte Wirkung hinzuweisen (, BStBl 1990 II, 411). Dieser Hinweis hat Regelungscharakter, weil mit ihm der zeitliche Geltungsbereich der getroffenen Feststellungen abweichend von § 182 Abs. 1 AO bestimmt und damit rechtsgestaltend auf das Steuerrechtsverhältnis eingewirkt wird (vgl. z. B. , BFH/NV 2010, 1788).

Der Hinweis muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Feststellungen nach Ablauf der Feststellungsfrist getroffen wurden und nur noch für solche Folgesteuern von Bedeutung sind, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen war (, BStBl 1999 II, 4). Die genaue Angabe, für welche Steuerarten und für welche Besteuerungszeiträume (Veranlagungszeiträume) den getroffenen Feststellungen Rechtswirkung zukommen soll, ist nicht erforderlich (, BStBl 1998 II, 426, und , BStBl 1998 II, 555). Ich bitte daher bei Feststellungen gem. § 181 Abs. 5 AO folgenden Erläuterungstext zu verwenden:

„Der Feststellungsbescheid ergeht nach Ablauf der Feststellungsfrist. Nach § 181 Abs. 5 AO kann er deshalb nur solchen Steuerfestsetzungen zugrunde gelegt werden, deren Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen war.”

Für die Fälle der Einheitsbewertung des Grundbesitzes steht der maschinelle Erläuterungstext Nr. 991 sowie für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften (§ 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO) der maschinelle Erläuterungstext 827 zur Verfügung.

Fehlt der Hinweis oder entspricht er nicht den inhaltlichen Anforderungen, so ist der Feststellungsbescheid rechtswidrig und aufzuheben. Eine Nachholung durch Ergänzungsbescheid (§ 179 Abs. 3 AO) ist nicht zulässig (, BStBl 1998 II, 426, und , BFH/NV 1999, 282). Es besteht jedoch die Möglichkeit, den nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO erforderlichen Hinweis in der Einspruchsentscheidung nachzuholen (, BFH/NV 2006, 228–230). Gleiches kann in einem während des Einspruchsverfahrens erlassenen Änderungsbescheid, der nach § 365 Abs. 3 Satz 1 AO zum Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens wird, erfolgen (, BFH/NV 2010, 1236–1238). Eines vorherigen Verböserungshinweises nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO bedarf es in diesen Fällen dann nicht, wenn sich die Verböserung durch Rücknahme des Einspruchs ohnehin nicht vermeiden lässt (, BFH/NV 2006, 228–230; , BFH/NV 2014, 847–851).

Hat das Finanzgericht den Feststellungsbescheid allein wegen des fehlenden Hinweises gem. § 181 Abs. 5 AO rechtskräftig aufgehoben, ist das Finanzamt durch die Rechtskraft des Urteils nicht daran gehindert, den Feststellungsbescheid unter Beifügung des Hinweises erneut zu erlassen, sofern die Festsetzungsfrist für den Folgebescheid noch nicht abgelaufen ist. Denn gem. § 110 FGO binden rechtskräftige Urteile die an dem Rechtsstreit Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die Aufhebung des Feststellungsbescheids durch das Finanzgericht wirkt ex tunc. Das hat zur Folge, dass die Beteiligten in den Verfahrensstand zurückversetzt werden, in dem sie sich vor Erlass des später aufgehobenen Feststellungsbescheids befunden haben.

III. Verlustfeststellung nach § 10d EStG

Ein Verlustfeststellungsbescheid nach § 10d EStG kann nur dann noch nach Ablauf der Feststellungsfrist gemäß § 181 Abs. 5 AO erlassen werden, wenn das Finanzamt die Verlustfeststellung pflichtwidrig unterlassen hat (vgl. § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007). Dies gilt jedoch nicht, wenn die Feststellungsfrist vor Inkrafttreten des JStG 2007 (= ) bereits abgelaufen war (, BStBl II 2009, 816).

Nach den , BFH/NV 2014, 1206, und , BFH/NV 2015, 1089 (anhängige Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1293/15), stellt die durch § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2007 angeordnete Anwendung des § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 EStG auf alle bei Inkrafttreten der Norm noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar.

Eine pflichtwidrig unterlassene Verlustfeststellung liegt nur vor, wenn eine Verlustfeststellung bisher gänzlich fehlt; die Änderung einer bereits fristgerecht ergangenen Feststellung fällt nicht darunter (, BStBl 2016 II, 353).

Geht dem Finanzamt eine Feststellungserklärung erst wenige Tage vor Eintritt der Feststellungsverjährung zu, kann nicht erwartet werden, dass der Feststellungsbescheid noch – wie dies das Gesetz in § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO, § 181 Abs. 5 Satz 3 AO ausdrücklich verlangt – innerhalb der Frist den Bereich der für die Feststellung zuständigen Finanzbehörde verlässt. In einem solchen Fall hat das FA die Feststellung zwar unterlassen, aber nicht pflichtwidrig (, BStBl 2011 II, 807, und , BStBl 2014 II, 143).

Ein verbleibender Verlustabzug (aus früheren VZ) kann auch nach Ablauf der Feststellungsfrist über § 181 Abs. 5 AO nicht mehr gesondert festgestellt werden, wenn der Steuerpflichtige in den folgenden, aber bereits festsetzungsverjährten VZ, in die der Verlust hätte vorgetragen werden müssen, über zur Verlustkompensation ausreichende Beträge verfügt hat (, BFH/NV 2013, 1381).

Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen v. - S 0362

Fundstelle(n):
DB 2016 S. 2873 Nr. 49
BAAAF-88404