BAG Urteil v. - 5 AZR 767/14

Vertrag zugunsten Dritter - Rechtswahl

Leitsatz

Eine konkludente Rechtswahl iSv. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO (juris: EGV 593/2008) können die Prozessparteien nur dann durch ihr Verhalten im Rechtsstreit treffen, wenn sie auch die Parteien des zu beurteilenden Vertragsverhältnisses sind.

Gesetze: Art 3 Abs 1 S 2 EGV 593/2008

Instanzenzug: ArbG Bayreuth Az: 4 Ca 441/13 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 3 Sa 172/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Haftung für Arbeitsvergütung aufgrund eines Schuldbeitritts.

2Die Klägerin war seit 1999 bei der K GmbH in M beschäftigt. Die Vergütung setzte sich aus einem Bruttostundenlohn, einem monatlichen Urlaubsgeld sowie vermögenswirksamen Leistungen zusammen.

3Mit Schreiben vom unterbreitete die K GmbH dem bei ihr gewählten Betriebsrat folgendes

4Dem Schreiben beigefügt waren die Entwürfe eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans, deren Wirksamkeit jeweils unter der aufschiebenden Bedingung eines Schuldbeitritts der in der Schweiz ansässigen Beklagten hinsichtlich der Löhne/Gehälter der Arbeitnehmer der K GmbH stehen sollte. Zu einer Unterzeichnung von Interessenausgleich und Sozialplan kam es nicht.

5Am schlossen die Beklagte und die K GmbH in Luzern folgenden „Vertrag zugunsten Dritter“:

6Am wurde über das Vermögen der K GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Masseunzulänglichkeit wurde angezeigt. Der Insolvenzverwalter stellte die Klägerin ab von der Arbeit frei und kündigte das Arbeitsverhältnis mit der verkürzten Kündigungsfrist des § 113 InsO zum . Bei Einhaltung der regulären Kündigungsfrist hätte das Arbeitsverhältnis bis zum bestanden.

7Nachdem die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Zahlung von Vergütung aufgefordert hatte, hat sie mit Klageschrift vom wegen des Lohns für November 2012 bis April 2013 Zahlungsklage vor dem Arbeitsgericht Bayreuth erhoben.

8Mit Schreiben vom erklärte die Beklagte gegenüber dem Insolvenzverwalter vorsorglich den Rücktritt vom Vertrag zugunsten Dritter.

9Die Klägerin meint, die Beklagte hafte für Vergütung aufgrund des Schuldbeitritts. Dieser stehe nicht unter der Bedingung eines Zustandekommens von Interessenausgleich und Sozialplan. Ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag habe die Beklagte selbst ausgeschlossen.

10Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin

11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Bedingung für den Schuldbeitritt sei nicht eingetreten. Jedenfalls sei der Versuch einer Restrukturierungsmaßnahme Geschäftsgrundlage des Vertrags zugunsten Dritter gewesen. Diese sei gestört, weshalb ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar sei. Darüber hinaus hafte die Beklagte jedenfalls nicht für Löhne für März und April 2013, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits zuvor geendet habe.

12Das Arbeitsgericht hat zunächst ein stattgebendes Versäumnisurteil gegen die Beklagte erlassen. Nach Einspruch der Beklagten hat es mit Endurteil das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

13Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Anwendung deutschen Rechts durch das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerhaft. Auf den Streitfall findet Schweizer Recht Anwendung. Mangels Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Schweizer Recht kann der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte nach den Regelungen des Luganer Übereinkommens (LugÜ) gegeben. Zutreffend haben die Vorinstanzen angenommen, dass die internationale Zuständigkeit jedenfalls nach Art. 24 LugÜ begründet worden ist, indem sich die Beklagte rügelos auf die Klage vor den deutschen Arbeitsgerichten eingelassen hat.

15II. Ob die Zahlungsklage begründet ist, kann erst nach Feststellung des anwendbaren Schweizer Rechts entschieden werden.

161. Das Landesarbeitsgericht hat deutsches Recht angewandt. Dies ist rechtsfehlerhaft. Eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin kann nur in dem zwischen der Beklagten und der K GmbH geschlossenen Vertrag zugunsten Dritter gründen. Auf diesen Vertrag ist mangels ausdrücklicher oder konkludenter Rechtswahl der Vertragsparteien Schweizer Recht anzuwenden.

17a) Auf nach dem geschlossene Verträge findet zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. EU L 177 vom S. 6 ff. - Rom I-VO -) Anwendung (Art. 28 Rom I-VO). Diese löst die Art. 27 ff. EGBGB aF ab.

18Der einer möglichen Haftung der Beklagten zugrunde liegende Vertrag zugunsten Dritter wurde im Jahr 2012 geschlossen.

19b) Nach Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO gilt diese für alle vertraglichen Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.

20Der als Haftungsgrund heranzuziehende Vertrag zugunsten Dritter weist Verbindungen sowohl zur Bundesrepublik Deutschland als auch zur Schweiz auf. Die Vertragspartner des Vertrags zugunsten Dritter haben ihren jeweiligen Sitz in unterschiedlichen Staaten.

21c) Die Rom I-VO ist unabhängig davon anwendbar, ob das berufene Recht dasjenige eines Mitgliedstaats iSd. Art. 1 Abs. 4 Satz 1 Rom I-VO oder eines Drittstaats ist. Sie enthält allseitige Kollisionsnormen.

222. Ausgehend vom Grundsatz der freien Rechtswahl (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO) kann die Wahl ausdrücklich oder konkludent getroffen werden (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO). Voraussetzung einer stillschweigenden Rechtswahl ist, dass sie sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder den Umständen des Falls ergibt.

23a) Eine ausdrückliche Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 Rom I-VO wurde im Vertrag zugunsten Dritter nicht getroffen.

24b) Eine eindeutige konkludente Wahl iSd. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 Rom I-VO zur Anwendung deutschen Rechts haben die Parteien des Vertrags zugunsten Dritter ebenfalls nicht getroffen.

25Als Indiz für eine konkludente Rechtswahl scheidet zunächst die Vertragssprache unabhängig davon aus, dass dieser allenfalls unterstützende Funktion zukommen kann (vgl.  - Rn. 29). Die deutsche Sprache wird sowohl am Sitz der Beklagten bzw. am Ort der Unterschriftsleistung in der Schweiz als auch am Sitz der K GmbH verwendet.

26Auch der Ort des Vertragsabschlusses kann lediglich unterstützend herangezogen werden (vgl. Palandt/Thorn 75. Aufl. Rom I (IPR) Art. 3 Rn. 7). Hier könnte die Unterschriftsleistung in der Schweiz sowie die Verwendung des Briefbogens der Beklagten die Anwendung Schweizer Rechts nahelegen.

27Schließlich kann die im Vertrag zugunsten Dritter vereinbarte Währung, in der ggf. zu haften wäre, ein Indiz für eine konkludente Rechtswahl sein ( - zu V 2 b der Gründe). Die vereinbarte Währung in Euro könnte den Schluss auf die Wahl deutschen Rechts zulassen.

28Zwar kann im Verhalten der Parteien im Prozess eine konkludente Rechtswahl liegen, indem diese sich ausschließlich auf Rechtsvorschriften eines bestimmten Staats beziehen (st. Rspr., vgl. (B) - Rn. 20, BAGE 147, 342;  - zu A II 1 a der Gründe). Doch ist im Streitfall der Vertrag zugunsten Dritter zu beurteilen, der nicht von den Prozessparteien, sondern der Beklagten und einer am Rechtsstreit nicht beteiligten dritten Person geschlossen wurde. Eine Rechtswahl durch Prozessverhalten scheidet daher aus.

29Zusammenfassend betrachtet, lässt sich keine eindeutige konkludente Rechtswahl der Vertragsparteien des Vertrags zugunsten Dritter, wie sie Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 Rom I-VO fordert, feststellen.

303. Das mangels Rechtswahl anzuwendende Recht bestimmt sich nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO.

31a) Der Vertrag zugunsten Dritter betrifft weder einen der Anwendungsfälle des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO noch einen der Sachverhalte der Art. 5 bis Art. 8 Rom I-VO. Deshalb unterliegt der Vertrag gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO dem Recht des Staats, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

32b) Charakteristische Leistung des hier streitigen Vertrags zugunsten Dritter ist die Haftung für etwaige Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer der K GmbH und damit die Zahlung von Geld. Dies ist die den Vertrag prägende Leistung, zu der sich die Beklagte grundsätzlich verpflichtet hat (vgl. zur Bürgschaft MüKoBGB/Martiny 6. Aufl. Rom I-VO Art. 4 Rn. 224 bzw. zur Patronatserklärung ebd. Rn. 239). Daher ist das Recht des Staats anzuwenden, in dem die Beklagte ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gemäß Art. 19 Abs. 1 und Abs. 3 Rom I-VO ist dies bei Gesellschaften der Ort ihrer Hauptverwaltung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, vorliegend Zug in der Schweiz. Es ist somit Schweizer Recht anzuwenden, denn eine engere Verbindung zu einem anderen Staat iSd. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO ist nicht erkennbar.

33III. Das Landesarbeitsgericht wird nach Ermittlung des Schweizer Rechts den Sachverhalt unter Berücksichtigung der maßgeblichen Auslegungsgrundsätze, der Frage einer möglichen Bedingung, der Bewertung einer Geschäftsgrundlage und des Rücktritts der Beklagten und schließlich einer Haftung für einzelne Vergütungsbestandteile und dies auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses der Klägerin hinaus, neu zu beurteilen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:230316.U.5AZR767.14.0

Fundstelle(n):
NJW 2016 S. 2285 Nr. 31
RIW 2016 S. 543 Nr. 8
YAAAF-75863