BFH Beschluss v. - VIII B 130/14, VIII B 17/15

Zuständigkeit für eine Urteilsberichtigung

Leitsatz

1. Mit der Vorlage einer Sache an den BFH gemäß § 130 FGO entfällt die Befugnis des FG, während eines beim BFH anhängigen Beschwerdeverfahrens einen erneuten Berichtigungsbeschluss gleichen Inhalts zu erlassen (Anknüpfung an den , BFHE 145, 574, BStBl II 1986, 413).

2. Zuständig für eine Urteilsberichtigung ist gemäß § 107 Abs. 1 FGO das Gericht, das das zu berichtigende Urteil erlassen hat. Ist ein Rechtsmittel eingelegt, ist das Rechtsmittelgericht neben, aber nicht statt des FG für die Berichtigung der Entscheidung der Vorinstanz zuständig.

Gesetze: FGO § 107FGO § 130

Instanzenzug: FG München Beschlüsse vom 01.09.2014 und 03.12.2014 15 K 2982/11

Gründe

1 1. Die Verfahren VIII B 130/14 und VIII B 17/15 werden gemäß §§ 121, 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Das Finanzgericht (FG) hat in beiden Beschlüssen über dieselbe vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) begehrte Berichtigung der Gründe und des Urteilsausspruchs für das Streitjahr 2008 entschieden und beiden hiergegen erhobenen Beschwerden der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht abgeholfen. Aus diesem Grund erscheint eine einheitliche Behandlung der Beschwerden sachgerecht.

2 2. Die Beschwerde ist begründet.

3 Die Berichtigungsbeschlüsse des und vom hinsichtlich des Tenors und der Entscheidungsgründe des Urteils vom im Verfahren 15 K 2982/11 für das Streitjahr 2008 waren aufzuheben.

4 a) Der ist unter fehlerhafter Anwendung des § 107 FGO ergangen.

5 aa) Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Beschluss nicht wegen sachlicher Unzuständigkeit des FG verfahrensfehlerhaft ergangen. Das FG war trotz der im Verfahren VIII B 108/14 gleichzeitig anhängigen Nichtzulassungsbeschwerde für die Entscheidung über den Berichtigungsantrag des FA gemäß § 107 FGO und gemäß § 130 Abs. 1 FGO über die Nichtabhilfe der Beschwerde sachlich zuständig.

6 Zuständig für eine Urteilsberichtigung ist gemäß § 107 Abs. 1 FGO das Gericht, das das zu berichtigende Urteil erlassen hat. Ist ein Rechtsmittel eingelegt, ist (daneben) auch das Rechtsmittelgericht für die Berichtigung der Entscheidung der Vorinstanz zuständig.

7 Dies entspricht sowohl der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 319 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO; s. , BGHZ 106, 370) als auch zu § 118 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO; s. VI C 1.66, BVerwGE 30, 146) und findet auch im Rahmen des § 107 Abs. 1 FGO Anwendung.

8 In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wird eine Zuständigkeit des BFH für die Entscheidung über einen Berichtigungsantrag gemäß § 107 FGO bejaht, wenn ein Beschwerdeverfahren über die Nichtzulassung der Revision anhängig ist (BFH-Beschlüsse vom VII B 227/91, BFH/NV 1993, 312; vom III B 5/99, BFH/NV 2000, 844; vom VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114; vom VI B 52/14, BFH/NV 2015, 217). Die Anhängigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde beginnt mit Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 57/13, BFH/NV 2014, 61; vom IX B 13/14, BFH/NV 2015, 225; gleiche Auffassung Steinhauff in Hübschmann/Hepp/ Spitaler —HHSp—, § 36 FGO Rz 4). Dies ist hier der , an dem die auch für das Streitjahr 2008 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH eingegangen ist, die die Kläger später wieder zurück genommen haben.

9 Die mit Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde begründete Zuständigkeit des BFH auch für eine Entscheidung in der Urteilsberichtigung gemäß § 107 FGO verdrängt aber die daneben fortbestehende Zuständigkeit des FG für die Entscheidung über den Berichtigungsantrag des FA nicht.

10 Der BFH geht im Beschluss in BFH/NV 1993, 312 ebenfalls von einer parallelen Zuständigkeit des FG und des BFH für eine Tatbestandsberichtigung aus. Zwar wird vom BFH zum Teil auch von einer „übergehenden Zuständigkeit“ gesprochen (, BFH/NV 2004, 1265; vom I R 91/10, BFH/NV 2012, 2004, Rz 13). Die Entscheidung in BFH/NV 2012, 2004 zitiert allerdings die Entscheidung in BFH/NV 2004, 1265, die auf das (BFHE 95, 97, BStBl II 1969, 340) Bezug nimmt. In den Gründen der Entscheidung in BFHE 95, 97, BStBl II 1969, 340 verweist der BFH auf die oben angeführte Rechtsprechung des BGH zu § 319 ZPO, nach der eine parallele Zuständigkeit des Ausgangs- und des Rechtsmittelgerichts für eine Tatbestandsberichtigung nach Anhängigkeit des Rechtsmittelverfahrens besteht. Die Gefahr, dass in zwei Instanzen gleichzeitig einander widersprechende Entscheidungen über dieselbe Berichtigungsfrage ergehen, wiegt zudem geringer als das auch für das Rechtsmittelgericht zu bejahende praktische Bedürfnis einer Berichtigungsmöglichkeit (s. überzeugend zu § 319 ZPO Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 23. Aufl., § 319 Rz 22 f.; zustimmend Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 319 Rz 22; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl., § 319 ZPO Rz 20; MünchKommZPO/Musielak, § 319 Rz 14; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 74. Aufl., § 319 Rz 27; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 118 Rz 6).

11 Das FG hatte als angerufenes Gericht daher den bei ihm erhobenen Berichtigungsantrag nicht gemäß § 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes an den BFH abzugeben, zumal es von der anhängig gewordenen Nichtzulassungsbeschwerde im Zeitpunkt der Entscheidung wohl keine Kenntnis hatte (vgl. Schallmoser in HHSp, § 70 FGO Rz 5; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 70 Rz 4; Schoenfeld in Beermann/Gosch, FGO § 70 Rz 5; zur (umgekehrten) Abgabe des BFH an das FG wegen instanzieller Unzuständigkeit s. BFH-Beschlüsse vom VIII S 4/94, BFH/NV 1995, 800; vom VIII S 23/12, BFH/NV 2013, 570).

12 bb) Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Korrektur der Entscheidungsgründe und des Tenors nach § 107 FGO waren jedoch nicht erfüllt.

13 (1) Der in § 107 FGO verwendete Begriff der „offenbaren Unrichtigkeit“ umfasst nach ständiger Rechtsprechung des BFH, ähnlich wie derjenige in § 129 der Abgabenordnung, alle bei der Abfassung des FG-Urteils unterlaufenen „mechanischen“ Fehler. Ein solcher liegt vor, wenn eine in dem Urteil enthaltene Aussage die vom FG getroffenen Feststellungen oder die von ihm angestellten Überlegungen nicht zutreffend zum Ausdruck bringt und dies aus dem Urteil selbst heraus erkennbar wird. § 107 FGO greift dagegen nicht ein, wenn die ernstliche Möglichkeit besteht, dass die in Rede stehende Wendung auf einer unvollständigen Ermittlung oder einer unrichtigen Würdigung des Sachverhalts oder auf einem Rechtsirrtum des FG beruht. Die Berichtigung scheidet auch dann aus, wenn die Möglichkeit zu einer „mechanischen“ Korrektur fehlt, weil eine zusätzliche oder erneute richterliche Würdigung des Sachverhalts erforderlich ist (s. zu dieser ständigen Rechtsprechung BFH-Beschlüsse vom I B 121/10, BFH/NV 2010, 2098; vom IV B 59/10, BFH/NV 2012, 251).

14 (2) Die Steuerberechnung des FG für das Streitjahr 2008 in den Gründen und der Tenor für das Streitjahr 2008 waren im Streitfall nicht in diesem Sinne „offenbar“ unrichtig. Es bestand für einen objektiven Dritten nicht die Möglichkeit, eine offenbare Unrichtigkeit der Entscheidungsgründe und des Tenors in der vom FA beanstandeten Weise zu erkennen.

15 Das FG hat auf Seite 5 im Tatbestand des Urteils ausgeführt, im Streitjahr 2008 seien den Klägern Zinserträge in Höhe von 251.769,97 € im Rahmen einer Schätzung des FA zugerechnet worden. In dem vom FG im Urteil wiedergegebenen Antrag (Seite 6 des Urteils) beantragten die Kläger ebenfalls die Minderung ihrer Kapitalerträge um 251.769,97 €.

16 Das FG hat der Klage für 2008 stattgegeben. Auf Seite 14 im Rahmen der Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen für 2008 hat es die laut Einkommensteuerbescheid 2008 vom angesetzten Einkünfte (455.292 €) um die im Antrag der Kläger genannten Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 251.769 € gemindert und ist zu „Einkünften aus Kapitalvermögen laut Urteil“ in Höhe von 203.523 € gelangt. Im Tenor der Entscheidung hat es den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Maßgabe geändert, dass Einnahmen aus Kapitalvermögen in 2008 in Höhe von 203.523 € der Besteuerung zugrunde zu legen seien.

17 Die Steuerberechnung des FG in den Entscheidungsgründen entsprach damit sowohl dem Antrag der Kläger als auch der im Tatbestand wiedergegebenen Höhe hinzugeschätzter Kapitalerträge. Da die Entscheidung des FG vom Klageantrag gedeckt ist, liegt eine „offenbare“ Unrichtigkeit des Urteils, die ein objektiver Dritter erkennen kann, nicht vor (s. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 2098, Rz 15). Die Berichtigung der Entscheidungsgründe i.S. des FA war vielmehr nur aufgrund einer (neuen) Würdigung des FG anhand der Akten in Form eines Vergleichs der veranlagten Kapitalerträge im angefochtenen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2008 vom mit der Festsetzung der Einkünfte im vorher bestehenden Einkommensteuerbescheid 2008 vom möglich.

18 Auch eine Berichtigung des Urteilsausspruchs gemäß § 107 FGO für das Streitjahr 2008, die nur anknüpfend an eine Berichtigung der Einkünfteermittlung in den Gründen möglich wäre, kann nicht erfolgen. Eine „mechanische Korrektur“ des Tenors gemäß § 107 Abs. 1 FGO ist regelmäßig nur dann möglich, wenn die in den Entscheidungsgründen enthaltene, ins einzelne gehende und begründete Berechnung der Steuer zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, als die im Tenor des Urteils festgesetzte Steuer (, BFH/NV 1998, 46). Wie dargelegt, kommt die Berichtigung der Steuerberechnung für 2008 in den Entscheidungsgründen nicht in Betracht. Da diese nicht möglich ist, kann auch der Tenor nicht hieran anknüpfend berichtigt werden.

19 b) Die Beschwerde ist auch hinsichtlich des wegen eines Verfahrensfehlers begründet. Dieser Berichtigungsbeschluss des FG verletzt § 130 Abs. 1 FGO. Das FG war nach der Entscheidung, der Beschwerde der Kläger gegen den ersten Berichtigungsbeschluss vom nicht abzuhelfen, nicht mehr befugt, während des noch anhängigen Beschwerdeverfahrens beim BFH einen inhaltsgleichen Berichtigungsbeschluss zu erlassen.

20 § 130 Abs. 1 FGO sieht vor, dass das FG einer Beschwerde abzuhelfen hat, wenn es sie für begründet hält, und verlangt andernfalls die unverzügliche Vorlage der Beschwerde beim BFH. Bei Nichtabhilfe ist der BFH ab Vorlage des Streitfalls als Beschwerdegericht für die Entscheidung in der Sache bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens allein zuständig (s. z.B. , juris). Mit der Vorlage der Sache an den BFH entfiel somit die Befugnis des FG, während des anhängigen Beschwerdeverfahrens einen erneuten Berichtigungsbeschluss gleichen Inhalts zu erlassen (s. hierzu den insoweit übertragbaren , BFHE 145, 574, BStBl II 1986, 413 zur „Abhilfe“ durch Erlass einer inhaltsgleichen Entscheidung mit anderer Begründung).

21 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 1052
WAAAF-73081