BFH Beschluss v. - V B 44/15

Verfahrensfehler des FG durch Unterlassen eines richterlichen Hinweises; unsubstantiierter Beweisantrag

Leitsatz

1. Ein Verfahrensfehler des FG durch Unterlassen eines richterlichen Hinweises liegt nicht vor, wenn sich bereits aus der Prozessgeschichte (Aufklärungsverfügung des FG, Stellungnahme des FA) ergibt, dass bestimmte Umstände für die Entscheidung der Klage von Bedeutung sind.

2. Der Einwand, das FG habe sich bei der Vernehmung eines Zeugen nicht an das im Beweisbeschluss formulierte Thema gehalten, begründet keinen Verfahrensfehler.

3. Unsubstantiierten Beweisanträgen muss das FG nicht entsprechen. Ein Antrag auf Vernehmung eines Zeugen ist unsubstantiiert, wenn er nicht konkrete Tatsachen bezeichnet, über welche die Vernehmung des Zeugen stattfinden soll, sondern sich pauschal auf den gesamten Inhalt eines Schriftsatzes bezieht.

Gesetze: FGO § 76 Abs. 1, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 82, FGO § 81 Abs. 1, ZPO § 359 Nr. 1, ZPO § 373, ZPO § 404, ZPO § 412

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet.

2 1. Verfahrensfehler des Finanzgerichts —FG— (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) durch Verletzung der richterlichen Hinweispflicht liegen nicht vor.

3 Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Diese Hinweispflichten verpflichten das FG, Schutz und Hilfestellungen für die Beteiligten zu geben, deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder beseitigt wird. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Erforderlichkeit, diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, auf der Hand, so stellt ein unterlassener Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn die Klägerin steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten war (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2016, 38, m.w.N.).

4 a) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe sie darauf hinweisen müssen, dass es die —das Beweisthema der Zeugenvernehmung nicht betreffenden— Äußerungen des Zeugen C zu den Auswirkungen von Lagerzeiten auf die Verwertbarkeit von Alttextilien in den Urteilsgründen berücksichtigen werde und ihr Gelegenheit geben müssen, daraufhin entsprechend vorzutragen, liegt darin keine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht.

5 aa) Dass die Lagerzeit der Textilien für die Berücksichtigung des von der Klägerin geltend gemachten Abschlags wegen Qualitätsverlustes eine Rolle spielte, folgt bereits daraus, dass sie vom FG durch die Aufklärungsverfügung vom u.a. aufgefordert wurde, „ergänzend darzulegen,…wie und wo die Ware gelagert wurde (im Freien, in einer Halle, Lagerfläche, Lagerzeiten) ...”. Darüber hinaus hatte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) auf Seite 3 des Schriftsatzes vom nicht nur ausgeführt, dass die Klägerin keinerlei Nachweise über den Lagerbestand geführt habe, sondern auch eine übermäßig lange Einlagerung der Altkleider als nicht glaubhaft erachtet, da die Klägerin an die Sortieranstalt wöchentlich Ausgangsrechnungen unter Angabe der Nummern der jeweiligen Wiegenoten erstellt habe. Die Sichtung der Ausgangsrechnungen ergebe, dass kontinuierlich Sammelware bei dem Sortierbetrieb abgeliefert wurde. Es sei daher nicht ersichtlich, dass die Abnahme nicht zeitgemäß erfolgte und die Klägerin deshalb Sammelware für längere Zeit eingelagert habe. Da sich bereits aus der Prozessgeschichte ergibt, dass die Lagerdauer thematisiert wurde und offensichtlich für die Entscheidung der Klage von Bedeutung war, bedurfte es insoweit keines besonderen Hinweises des FG an die steuerlich beratene Klägerin.

6 bb) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, das FG habe sich bei der Vernehmung des Zeugen C nicht an das im Beweisbeschluss formulierte Thema „Hintergrund und Durchführung des Beratervertrages” gehalten, begründet dieser Einwand keinen zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensfehler.

7 Nach § 359 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) enthält der Beweisbeschluss „die Bezeichnung der streitigen Tatsachen, über die der Beweis zu erheben ist”. Die Angabe des Beweisthemas bezweckt —vor allem für Beweisaufnahmen vor dem beauftragten oder ersuchten Richter— diese, aber auch die Beteiligten und die Personalbeweismittel (Zeugen und Sachverständige) darüber zu informieren, über welche vom Gericht für entscheidungserheblich gehaltenen Tatsachen Beweis erhoben werden soll. Eine inhaltliche Beschränkung auf bestimmte Fragen, wie sie der Klägerin vorschwebt, ergibt sich daraus jedoch nicht. Auch ist der Beweisbeschluss für das Gericht u.a. deswegen nicht bindend, weil im finanzgerichtlichen Verfahren das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO); im Beweistermin kann die Beweiserhebung auch ohne ausdrückliche Änderung des Beweisbeschlusses und ohne Zustimmung der Beteiligten über das beschlossene Beweisthema hinaus geändert oder ergänzt werden, wenn dies sachdienlich erscheint (, BFH/NV 2006, 2093, m.w.N.).

8 So liegen die Verhältnisse im Streitfall, da der Zeuge über umfassende Branchenkenntnisse verfügte und damit sachkundig war; wie sich der Anlage zum Protokoll entnehmen lässt, hatte der Zeuge C die nunmehr von der Klägerin beanstandete Aussage auf ihre Nachfrage getätigt. Zudem ergibt sich weder aus dem Sitzungsprotokoll noch aus dem Schriftsatz vom , in dem die Klägerin umfassend zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen hatte, dass diese insoweit Einwendungen erhoben hätte.

9 b) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht insoweit vor, als die Klägerin rügt, es habe eines Hinweises bedurft, um das für die Hinzuschätzungen nicht streitgegenständliche Jahr 2004 als Vergleichsjahr berücksichtigen zu können. Diese Rüge verkennt nicht nur, dass die Klage ausweislich des Rubrums die Jahre 2002 bis 2004 betrifft, sondern auch, dass Streitgegenstand einer Anfechtungsklage im steuergerichtlichen Verfahren die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts im Ganzen ist (vgl. zuletzt , BFH/NV 2014, 373) und nicht etwa —wie die Klägerin offensichtlich meint— einzelne Besteuerungsgrundlagen oder Begründungen (vgl. z.B. , juris; , BFHE 232, 232, BFH/NV 2011, 712). Das FG wäre daher nicht daran gehindert, innerhalb des vom FA festgesetzten Steuerbetrags einzelne Besteuerungsgrundlagen (hier: Hinzuschätzungen der steuerpflichtigen Umsätze für 2004) in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für den Steuerpflichtigen ungünstiger zu beurteilen, als dies in dem angefochtenen Steuerbescheid geschehen ist (vgl. , BFH/NV 2008, 1347).

10 c) Soweit die Klägerin vorbringt, das FG gehe zu Unrecht davon aus, dass sich eine Lagerungsbedürftigkeit der Alttextilien aus dem Schreiben der S vom nicht nachvollziehbar ergebe, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung durch das FG und ersetzt diese durch ihre eigene. Mit ihrem Vortrag bezeichnet die Klägerin keinen Verfahrensmangel, sondern erhebt lediglich sachlich-rechtliche Einwände gegen die Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Dies kann selbst dann nicht zur Zulassung der Revision führen, wenn die fehlerhafte Beweiswürdigung auf einem Verstoß gegen allgemeine Grundsätze der Beweiswürdigung beruht und deshalb einer zugelassenen Revision möglicherweise zum Erfolg verhelfen könnte (vgl. , BFH/NV 2006, 2093).

11 2. Das FG hat nicht dadurch gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verstoßen, dass es den Beweisanträgen der Klägerin nicht gefolgt ist.

12 Die Sachaufklärungspflicht erfordert, dass das FG Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles hätten aufdrängen müssen. Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen. Da die Sachaufklärungspflicht dazu dient, die Spruchreife der Klage herbeizuführen, hat das Gericht jedoch nur das aufzuklären, was aus seiner (materiell-rechtlichen) Sicht entscheidungserheblich ist (, BFH/NV 2010, 52, m.w.N.). Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass das FG unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachgehen muss; ein Beweisantrag ist unsubstantiiert, wenn er nicht angibt, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll (Herbert in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 76 Rz 29, m.w.N.).

13 a) Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Vernehmung des Zeugen L „für die dargestellten Abläufe und Vorgehensweisen bei Sammlungen, Transportfahrten, Einlagerungen und Entsorgungen” zu Recht abgelehnt. Mit ihrem Beweisangebot bezieht sich die Klägerin auf den gesamten Vortrag im Schriftsatz vom (S. 2 bis 5). Damit hat die Klägerin nicht, wie § 373 ZPO dies erfordert, die konkreten Tatsachen bezeichnet, über welche die Vernehmung des Zeugen stattfinden soll. Denn sie hat mit ihrer weitreichenden und umfassenden Formulierung keine entscheidungserheblichen Tatsachen in das Wissen des von ihr benannten Zeugen gestellt (vgl. , juris). Hinzu kommt, dass die Klägerin in dem o.g. Schriftsatz auch Behauptungen aufgestellt hat (beispielsweise Verfahrensweise bei zugekaufter Ware), zu denen der Zeuge aus eigener Wahrnehmung nichts wissen konnte.

14 b) Ein Verfahrensfehler des FG liegt auch nicht insoweit vor, als es das Beweisangebot, „der dargelegten Kostentragung bei Entsorgungen” durch Vernehmung eines instruierten Vertreters der Firma M abgelehnt hat.

15 aa) Einer Beweisaufnahme bedarf es u.a. dann nicht, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (BFH-Beschlüsse vom I B 8/12, BFH/NV 2013, 703, sowie vom XI B 117/11, BFH/NV 2013, 918). Dies war vorliegend der Fall, da das Gericht dem Vortrag der Geschäftsführerin in der mündlichen Verhandlung, wonach die Lieferanten die Kosten der Entsorgung zu tragen hatten, gefolgt ist und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.

16 bb) Im Hinblick auf die Ausführungen der Klägerin auf Seite 3 ihres Schriftsatzes vom durfte das FG den Beweisantrag der Klägerin auch in diesem Sinne verstehen. Soweit sie nunmehr im Rahmen der Beschwerde vorbringt, ihr Beweisangebot habe sich nicht darauf bezogen, dass die Firma M oder sonstige Lieferanten die Kosten der Entsorgung zu tragen hatten, sondern darauf, dass durch den Beweis der von der Firma M getragenen Entsorgungskosten ein entsprechender Müllanteil aus dem Warenbestand feststellbar gewesen wäre, wird damit kein Verfahrensfehler des FG dargelegt.

17 c) Zu Unrecht rügt die Klägerin, das FG habe einen Verfahrensfehler begangen, indem es —entgegen ihrem Beweisantrag— kein Sachverständigengutachten für die Behauptung eingeholt habe, dass die Lagerung teilweise feuchter Textilien die fünf- bis zehnfache Menge um sich herum verdirbt und damit zu einer Ausschussmenge von ca. 15 % führt.

18 aa) Während das FG die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise grundsätzlich erheben muss, steht die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Hat es die nötige Sachkunde selbst, braucht es einen Sachverständigen nicht hinzuziehen (, BFH/NV 2015, 1093). Das dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholende Sachverständigengutachten nach § 82 FGO i.V.m. §§ 404, 412 ZPO zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung gutachterlicher Stellungnahme absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 1093, m.w.N.).

19 bb) Vor diesem Hintergrund war die Ablehnung eines Sachverständigenbeweises im Streitfall frei von Ermessensfehlern. Das FG hat die behaupteten Auswirkungen von nassen Textilien auf umliegende Ware als wahr unterstellt (S. 26 des FG-Urteils), dies aber zu Recht für nicht entscheidungserheblich gehalten. Denn die Klägerin hatte weder die Lagerungsbedürftigkeit der zugekauften noch der eingesammelten Textilien nachvollziehbar dargelegt und quantifizierbar nachgewiesen. Darüber hinaus ist das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass eine Beeinträchtigung der umliegenden Alttextilien bei nur kurzfristigen Lagerungen nicht eintritt. Trotz der Aufklärungsverfügung des und den Ausführungen des FA im Schriftsatz vom (vgl. Ausführungen unter 1.a aa) hatte die Klägerin keine konkreten Umstände für darüber hinausgehende Lagerzeiten plausibel dargelegt.

20 3. Die Beschwerde ist auch insoweit unbegründet, als die Klägerin eine Zulassung der Revision wegen eines offensichtlichen Rechtsanwendungsfehlers von erheblichem Gewicht i.S. einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) begehrt.

21 a) Die Klägerin rügt insoweit, das FG habe nach dem vorliegenden Prozessstoff von einer Einlagerung gewisser Warenmengen unter Witterungseinfluss ausgehen müssen, gleichwohl aber keinen Abschlag für während der Einlagerung unbrauchbar gewordene Ware vorgenommen.

22 b) Mit diesem Vorbringen wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des FG, das auf S. 24 seines Urteils gerade nicht von der Lagerungsbedürftigkeit der zugekauften und gesammelten Textilien ausgegangen ist. Die Grundsätze der Tatsachen- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zugeordnet und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen eines mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO entzogen (vgl. , BFH/NV 2002, 359, m.w.N.).

23 4. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

24 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Fundstelle(n):
AO-StB 2016 S. 195 Nr. 7
BFH/NV 2016 S. 934 Nr. 6
OAAAF-72291