Online-Nachricht - Freitag, 18.09.2015

Reiserecht | Annullierung eines Fluges wegen unerwarteter technischer Probleme (EuGH)

Luftfahrtunternehmen müssen Fluggästen auch bei Annullierung eines Fluges wegen unerwarteter technischer Probleme Ausgleich leisten. Jedoch können bestimmte technische Probleme, die u.a. aus versteckten Fabrikationsfehlern, die die Flugsicherheit beeinträchtigen, aus Sabotageakten oder aus terroristischen Handlungen resultieren, die Luftfahrtunternehmen von ihrer Ausgleichspflicht befreien ().

Hintergrund: Im Fall der Annullierung eines Fluges ist das Luftfahrtunternehmen nach dem Unionsrecht verpflichtet, den betroffenen Fluggästen Betreuungs- und Ausgleichsleistungen (je nach Entfernung zwischen 250 und 600 Euro) zu erbringen. Es ist allerdings dann nicht zu einer solchen Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Sachverhalt: Die Klägerin hatte ein Flugticket für einen Flug von Quito (Ecuador) nach Amsterdam (Niederlande) gebucht. Das Flugzeug landete in Amsterdam mit einer Verspätung von 29 Stunden. Nach Angaben von Fluggesellschaft war die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände, nämlich eine Kombination von Mängeln zurückzuführen: Zwei Teile, die Kraftstoffpumpe und die hydromechanische Einheit, seien defekt gewesen. Diese Teile, die nicht verfügbar gewesen seien, hätten per Flugzeug aus Amsterdam geliefert werden müssen, um sodann in das betreffende Flugzeug eingebaut zu werden. Die Gesellschaft wies ferner darauf hin, dass bei den defekten Teilen die durchschnittliche Lebensdauer nicht überschritten gewesen sei. Auch habe deren Hersteller keinen spezifischen Hinweis gegeben, der darauf hindeutete, dass bei diesen Teilen ab einem bestimmten Alter Mängel auftreten könnten.
Hierzu führte der EuGH weiter aus:

  • Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass aus seiner Rechtsprechung hervorgeht, dass technische Probleme tatsächlich zu den außergewöhnlichen Umständen zählen können.

  • Die Umstände im Zusammenhang mit dem Auftreten dieser Probleme können jedoch nur dann als „außergewöhnlich“ eingestuft werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist.

  • So verhält es sich nach Auffassung des Gerichtshofs u.a. dann, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrtunternehmens besteht, oder eine zuständige Behörde entdeckte, dass diese bereits in Betrieb genommenen Maschinen einen versteckten Fabrikationsfehler aufweisen, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Gleiches gelte auch bei durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen.

  • Da jedoch der Betrieb von Flugzeugen unausweichlich technische Probleme mit sich bringt, sehen sich Luftfahrtunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeit gewöhnlich solchen Problemen gegenüber. Im Hinblick hierauf können technische Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, als solche keine „außergewöhnlichen Umstände“ darstellen.

Anmerkung: Der EuGH wies auch darauf hin, dass ein Ausfall, der durch das vorzeitige Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs hervorgerufen wurde, zwar ein unerwartetes Vorkommnis darstelle. Dennoch bleibe ein solcher Ausfall untrennbar mit dem sehr komplexen System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden, das vom Luftfahrtunternehmen oft unter schwierigen oder gar extremen Bedingungen, insbesondere Wetterbedingungen, betrieben wird, wobei kein Teil eines Flugzeugs eine unbegrenzte Lebensdauer hat. Daher sei dieses unerwartete Vorkommnis im Rahmen der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit, und das Luftfahrtunternehmen sehe sich dieser Art von unvorhergesehenen technischen Problemen gewöhnlich gegenüber. Im Übrigen sei die Vorbeugung eines solchen Ausfalls oder der dadurch hervorgerufenen Reparatur, einschließlich des Austauschs eines vorzeitig defekten Teils, vom betroffenen Luftfahrtunternehmen zu beherrschen, da es seine Aufgabe sei, die Wartung und den reibungslosen Betrieb der Flugzeuge, die es zum Zweck seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten betreibt, sicherzustellen. Folglich könne ein technisches Problem wie das in Rede stehende nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ fallen.
Quelle: EuGH, Pressemitteilung v.

Fundstelle(n):
NWB HAAAF-47594