Online-Nachricht - Montag, 02.04.2012

Umsatzsteuer | Überlassung von Wohnraum an einen Geschäftsführer einer jur. Person (EuGH)

Eine nationale Regelung, nach der die Verwendung eines Teils eines von einer steuerpflichtigen juristischen Person errichteten Gebäudes für den privaten Bedarf des Personals als eine steuerfreie Dienstleistung behandelt wird - obgleich die Merkmale einer Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie nicht erfüllt sind - steht nicht im Einklang mit Europarecht (; B.L.M.).

Hintergrund: Bei dem belgischen Verfahren geht es um die Auslegung von der Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und des Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EWG-Richtlinie. Das Verfahren betrifft - vor dem Hintergrund der Seeling-Rechtsprechung des EuGH - die Frage, ob im Fall einer (unentgeltlichen) Nutzungsüberlassung von Räumlichkeiten einer juristischen Person an ihren Geschäftsführer die Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken gemäß Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie Anwendung findet und damit insoweit für die juristische Person hinsichtlich der bezogenen Vorleistungen der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist.
Sachverhalt: Die Klägerin, eine AG, erwarb im Jahr 2003 den Nießbrauch an einem Gebäude. Für diesen Vorgang fiel in der Rechnung an die Klägerin ausgewiesene MwSt an. Im Jahr 2004 nutzte die Klägerin in dem Gebäude nur ein Büro und einen Archivraum. Die übrigen Räume des Gebäudes wurden von dem Geschäftsführer der Klägerin für private Wohnzwecke genutzt. Die belgische Steuerverwaltung erkannte für den Erwerb des Nießbrauchsrechts den Vorsteuerabzug nur zum Teil an. Hinsichtlich der privaten Nutzung des Gebäudes wurde der Vorsteuerabzug abgelehnt. Im vorinstanzlichen Verfahren wurde der Klägerin der volle Vorsteuerabzug zugesprochen, wobei jedoch die unentgeltliche Überlassung des Gebäudes an den Geschäftsführer zur privaten Nutzung jährlich der Wertabgabenbesteuerung unterliege. Das Vorlagegericht hält es für fraglich, ob die Grundsätze der Seeling-Rechtsprechung auch im vorliegenden Fall Anwendung finden. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte sich die Anwendung des Urteils Seeling allein auf Steuerpflichtige beschränken, die natürliche Personen sind.
Hierzu führte der EuGH weiter aus: Der Gerichtshof hat in seinem Urteil Seeling entschieden, dass Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen die Verwendung eines Teils eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen als eine – als Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks im Sinne des Art. 13 Teil B Buchst. b – steuerfreie Dienstleistung behandelt wird. Zwar verhielt es sich in der dem Urteil Seeling zugrunde liegenden Rechtssache so, dass der Steuerpflichtige eine natürliche Person war und somit Identität zwischen diesem Steuerpflichtigen und der Person vorlag, die das dem Unternehmen zugeordnete Gebäude für ihren privaten Bedarf nutzte. Aus diesem Umstand kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die Auslegung, die der Gerichtshof in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie in dem genannten Urteil vorgenommen hat, dann keine Anwendung finden kann, wenn der Steuerpflichtige eine juristische Person ist.
Quelle: EuGH online
Hinweis: Ab dem ist im deutschen Recht das sog. Seeling-Modell nicht mehr anwendbar. Gemäß § 15 Abs. 1b UStG ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb sowie für die sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit sie nicht auf die Verwendung des Grundstücks für Zwecke des Unternehmens entfällt. Aufgrund dieser Vorsteuerabzugsbeschränkung unterliegt die Verwendung eines Grundstücks für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf des Personals, nicht mehr der unentgeltlichen Wertabgabenbesteuerung nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG. Das vorliegende Verfahren könnte deshalb nur auf die bis zum bestehende Rechtslage Auswirkungen haben. Allerdings hat der BFH in zwei Parallelverfahren bereits entschieden, dass bezüglich der bis zum geltenden Rechtslage auch einer juristischen Person der volle Vorsteuerabzug aus den Anschaffungskosten für ein gemischt genutztes Grundstück zustehen kann und dass hierbei die gleichen Grundsätze anzuwenden sind, wie sie für Einzelunternehmer gelten ( NWB BAAAD-74763 und NWB SAAAD-79649). Einem Unternehmer, der ein gemischt genutztes Gebäude vollständig seinem Unternehmen zuordnet und diese Entscheidung bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs getroffen hat, steht - bei im Übrigen für steuerpflichtige Ausgangsumsätze genutztem Grundstücksteil - auch dann der vollständige Vorsteuerabzug zu, wenn er das Gebäude teilweise seinen Gesellschafter-Geschäftsführern unentgeltlich für deren private Wohnzwecke überlässt, da es sich hierbei nicht um eine steuerfreie, den Vorsteuerabzug ausschließende Vermietung handelt. Ob im jeweiligen Fall eine Überlassung des Gebäudes der GmbH an einen Gesellschafter-Geschäftsführer durch einen Mietvertrag, im Rahmen eines Anstellungsvertrags (entgeltlich als Sachbezug) oder gänzlich unentgeltlich beabsichtigt ist, kommt auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. hierzu NWB-Nachricht v. 16.3.2011).
 

 

Fundstelle(n):
NWB MAAAF-43745