BVerwG Urteil v. - 10 C 13/14

Anweisung zur Erhöhung der Kreisumlage durch die Kommunalaufsicht an einen überschuldeten Kreis

Leitsatz

1. Eine landesrechtliche Pflicht der kommunalen Aufgabenträger zum Haushaltsausgleich und zur Verringerung eines Haushaltsdefizits ist mit der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar.

2. Die Kommunalaufsichtsbehörde darf der Kommune innerhalb eines für diese eröffneten Gestaltungsspielraums grundsätzlich nicht eine bestimmte Maßnahme alternativlos vorschreiben. Anderes kann gelten, wenn angesichts des absehbaren zeitlichen Auslaufens einer realisierbaren Handlungsmöglichkeit keine realisierbare Alternative mehr besteht.

3. Eine aufsichtsbehördliche Anweisung zur Festlegung eines bestimmten Kreisumlagesatzes muss ausreichend Rücksicht auf den Finanzbedarf der kreisangehörigen Gemeinden nehmen.

4. Ein Gemeindeverband ist von seinen landesrechtlichen Pflichten zum Haushaltsausgleich nicht bundesverfassungsrechtlich dadurch freigestellt, dass er eine unzureichende Finanzierung vom Land erhält.

Gesetze: Art 28 Abs 2 S 2 GG, Art 28 Abs 2 S 3 Halbs 1 GG, § 52 Abs 1 LKreisO HE 2005, § 53 Abs 2 LKreisO HE 2005, § 54 LKreisO HE 2005, § 139 GemO HE 2005, § 138 GemO HE 2005, § 92 Abs 3 S 1 GemO HE 2005, § 37 Abs 1 FinAusglG HE 2007, § 37 Abs 5 FinAusglG HE 2007, § 28 Abs 2 FinAusglG HE 2007

Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 8 A 816/12 Urteilvorgehend Az: 3 K 936/10.KS Urteil

Tatbestand

1Der Kläger, ein hessischer Landkreis, wendet sich gegen eine kommunalaufsichtliche Anweisung des beklagten Landes, für das Haushaltsjahr 2010 den Hebesatz für die Kreisumlage zu erhöhen.

2Der Kreistag des Klägers beschloss am in der Haushaltssatzung für das Jahr 2010 einen Hebesatz für die Kreisumlage in Höhe von 32,5 %. Die vom Kläger in einer Bürgermeisterversammlung angehörten Gemeinden hatten sich gegen eine Erhöhung des Kreisumlagesatzes gewandt. Zusammen mit der Schulumlage von 22,5 % ergab sich danach eine Umlageverpflichtung der kreisangehörigen Gemeinden gegenüber dem Kreis von insgesamt 55 %.

3Mit Bescheid vom genehmigte die Kommunalaufsicht des Beklagten die Haushaltssatzung unter der aufschiebenden Bedingung einer Erhöhung des Hebesatzes für die Kreis- und Schulumlage um 3 % auf insgesamt 58 %. Andernfalls werde der Beklagte den Kläger entsprechend aufsichtlich anweisen. Zur Begründung verwies der Beklagte auf das Haushaltsdefizit des Klägers in Höhe von 34 Mio. €, das größte Defizit unter den hessischen Landkreisen. Von einer Kreisumlageerhöhung könne allerdings in dem Umfang, in dem der Kläger die veranschlagten ordentlichen Aufwendungen noch reduziere, abgesehen werden.

4Eine Erhöhung der Umlage lehnte der Kreistag jedoch ab, weil der Kreishaushalt nicht zu Lasten der Gemeinden saniert werden solle, während das Land sich aus der Aufgabenfinanzierung des Kreises zurückziehe. Es sei beabsichtigt, gegen eine kommunalaufsichtliche Anweisung Klage zu erheben.

5Daraufhin wies der Beklagte den Kläger mit kommunalaufsichtlicher Verfügung vom an, die Kreisumlage bis zum auf 35,5 % festzusetzen, ordnete die sofortige Vollziehung der Anweisung an und drohte die Ersatzvornahme an. Der Kläger verletze seine Pflicht zum Haushaltsausgleich aus § 92 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO). Er sei nach § 37 Abs. 1 des Finanzausgleichsgesetzes (FAG-HE) verpflichtet, eine Kreisumlage zu erheben, soweit die sonstigen Einnahmen zum Haushaltsausgleich nicht ausreichten. Bereits für das Haushaltsjahr 2009 sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass eine Erhöhung der Kreisumlage angesichts seiner defizitären Situation unumgänglich sei. Nach der Konsolidierungsleitlinie des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport liege die Obergrenze für einen Gesamthebesatz aus Kreis- und Schulumlage mit Rücksicht auf die Gemeinden bei 58 %. Bis zu dieser Grenze halte der Beklagte die Kreise zur Hebung ihres Umlagesatzes an. Die Gemeinden könnten zum Ausgleich unverschuldeter Rechnungsfehlbeträge beim Land Finanzhilfen aus dem Landesausgleichsstock beantragen.

6Nachdem der Kläger der Anweisung nicht nachkam, setzte der Beklagte mit Bescheid vom im Wege der Ersatzvornahme den Hebesatz für die Kreisumlage auf 35,5 % fest. Der Kläger erließ auf dieser Grundlage Umlagebescheide. Hiergegen legten sämtliche kreisangehörigen Gemeinden Widerspruch ein.

7Der Kläger hat am Klage gegen die Anweisungsverfügung vom erhoben. Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben, soweit der Kläger darin zur Festsetzung des Kreisumlagesatzes auf 35,5 % angewiesen worden war. Den ursprünglich weiteren Antrag auf Rückgängigmachung der Vollziehung der Anweisungsverfügung hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren zurückgenommen; insoweit hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Kommunalaufsicht könne eine rechtswidrige Haushaltssatzung lediglich beanstanden. Eine Anweisung zu konkreten Maßnahmen in Bezug auf einen Haushaltsausgleich greife in unzulässiger Weise in den Gestaltungsspielraum des Kreises sein.

8Mit Berufungsurteil vom hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Für den Beklagten habe kommunalaufsichtlicher Handlungsbedarf bestanden, nachdem der Kläger seine Pflicht zum Haushaltsausgleich wiederholt nicht beachtet habe. Der Kläger sei in seiner anhaltenden defizitären Situation nach § 92 Abs. 3 HGO i.V.m. § 37 FAG-HE zur Erhebung der Kreisumlage mindestens in der angewiesenen Höhe verpflichtet gewesen. Zuweisungen aus dem Landeshaushaltsstock habe er nicht beantragt. Er habe daher den unter Berücksichtigung der Belange der zahlungspflichtigen Gemeinden höchstmöglichen Hebesatz festsetzen müssen. Die Grenze, welche sowohl den Finanzbedarf des Klägers als auch die Leistungsfähigkeit der zahlungspflichtigen Städte und Gemeinden berücksichtige, liege nach den Berechnungen des Beklagten bei 58 %. Diesen der Konsolidierungsleitlinie des Innenministeriums entnommenen Erfahrungswert habe der Beklagte seiner Anweisung zugrunde legen dürfen. Die genannte, auch für die übrigen Landkreise geltende Obergrenze habe auch der Kläger inzwischen im Rahmen der Verhandlungen über Entschuldungshilfen nach dem hessischen Schutzschirmgesetz akzeptiert. Die kommunalaufsichtliche Anweisung sei jedenfalls zur Verringerung des Defizits des Klägers geeignet, auch wenn sie nicht zum Ausgleich des gesamten Haushaltsdefizits führe. Sie sei mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Selbstverwaltung des Klägers vereinbar. Der Beklagte habe über längere Zeit letztlich erfolglose Verhandlungen mit dem Kläger über eine Ausgabenreduzierung und Einnahmeerhöhung geführt. Der Kläger habe sich nicht einmal an sein eigenes Haushaltskonsolidierungskonzept gehalten. Die Kommunalaufsicht habe ihre Maßnahme nicht auf eine Beanstandung der Haushaltssatzung beschränken müssen. Nach den Vorberatungen sei deutlich gewesen, dass mit einer Beanstandung keine Erhöhung des Hebesatzes und damit keine Verringerung des Defizits hätte erreicht werden können. Außerdem wäre sie mit den Nachteilen einer vorläufigen Haushaltsführung verbunden gewesen, welche nicht für einen längerfristigen Einsatz gedacht sei. Die Verhältnismäßigkeit der Anweisung werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Land möglicherweise seine Finanzierungspflichten gegenüber dem Kläger verletzt habe. Diese seien nicht Gegenstand des Verfahrens.

9Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsurteil verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 28 Abs. 2 GG. Er habe gegenüber dem beklagten Land einen Anspruch auf finanzielle Ausstattung zur Erledigung der eigenen und der ihm übertragenen Aufgaben. Seine Haushaltsnotlage sei nicht durch eine eigene Pflichtverletzung herbeigeführt worden. Der Verstoß gegen die Pflicht, ihn auskömmlich auszustatten, liege vielmehr in der Sphäre des Beklagten. Demgegenüber trügen die Gemeinden keine Verantwortung für seine Finanznot. Der in der angefochtenen Anweisung vorgesehene Kreisumlagesatz sei willkürlich und unverhältnismäßig. Die konkreten Verhältnisse im Landkreis seien nicht geprüft worden. Die Anweisungsverfügung greife in sein Recht auf eigenverantwortliche Festlegung des Hebesatzes ein. Seine Entscheidung, den Hebesatz bei insgesamt 55 % zu belassen, sei mit Rücksicht auf die finanzielle Situation der kreisangehörigen Gemeinden getroffen worden.

10Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom zurückzuweisen.

11Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

12Er ist der Auffassung, das Selbstverwaltungsrecht des Klägers werde durch die Verpflichtung zum Haushaltsausgleich begrenzt. Bei Vorliegen der landesrechtlichen Voraussetzungen bestehe unabhängig von den Ursachen des Haushaltsdefizits eine Rechtspflicht zur Erhöhung der Kreisumlage. Eine mangelhafte Ausstattung des Klägers durch das Land sei weder in tatsächlicher Hinsicht belegt, noch folge sie aus der zwischenzeitlichen Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs vom - P.St. 2361 - (NVwZ 2013, 1151). Die von ihm, dem Beklagten, angesetzte Obergrenze für eine Kreisumlage in Höhe von 58 % stelle einen hinreichenden finanziellen Spielraum für die umlagepflichtigen Gemeinden sicher. Für fast alle kreisangehörigen Gemeinden habe sich im Jahr 2010 auch nach diesem Hebesatz eine geringere Umlagehöhe ergeben als im Vorjahr. Zum Zeitpunkt der Anweisung sei nicht bekannt gewesen, dass die finanzielle Situation der kreisangehörigen Gemeinden vergleichbar schlecht wie diejenige des Klägers gewesen sei. Der Beklagte habe seine Finanzaufsicht über den Kläger in ermessensfehlerfreier Weise im Rahmen des bestehenden Systems des kommunalen Finanzausgleichs ausgeübt.

13Der Vertreter des Bundesinteresses verweist darauf, dass die Verpflichtung des Kreises zum Haushaltsausgleich durch das Recht der Gemeinden auf finanzielle Mindestausstattung begrenzt sei. Auch den Kreisen komme ein Recht auf Mindestausstattung gegenüber dem Land zu.

Gründe

14Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angegriffene Berufungsurteil verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

151. Das Berufungsgericht ist konkludent von der Zulässigkeit der Klage und damit auch von einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die Anfechtung der Anweisungsverfügung des Beklagten vom ausgegangen. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger ist durch den Verwaltungsakt der kommunalaufsichtlichen Anweisungsverfügung (vgl. 8 C 29.63 - BVerwGE 19, 121 <123>) auch nach Ablauf des Haushaltsjahres 2010 im Hinblick auf die Einschränkung seines Selbstverwaltungsrechts beschwert und sieht sich den Widersprüchen der kreisangehörigen Gemeinden gegen die vom Beklagten verlangte und mit dessen nachfolgender Ersatzvornahme vom umgesetzte Erhöhung der Kreisumlage ausgesetzt. Dass der Kläger nicht auch gegen die kommunalaufsichtliche Ersatzvornahme vorgegangen ist, ändert nichts. Ob eine kommunalrechtliche Ersatzvornahme ein der Bestandskraft fähiger eigenständiger Grundverwaltungsakt oder eine Maßnahme des Vollstreckungsrechts ist, bestimmt sich nach den jeweiligen landesrechtlichen Normen der Gemeindeordnung (vgl. dazu Lange, Kommunalrecht, 2013, S. 1167, 1169). Die hier im Berufungsurteil konkludent getroffene Bewertung, dass es für die Zulässigkeit der gegen die Anweisungsverfügung gerichteten Klage einer Anfechtung auch der Ersatzvornahme nicht bedurfte, unterliegt daher nicht der revisionsgerichtlichen Prüfung. Im Übrigen wäre ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers jedenfalls dadurch gegeben, dass er im Falle eines Obsiegens im vorliegenden Verfahren einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Rücknahme der Ersatzvornahme des Beklagten vom geltend machen könnte.

162. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht die Klage in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils als unbegründet abgewiesen. Prüfungsmaßstab ist insofern allein die verfassungsrechtliche Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung des Klägers aus Art. 28 Abs. 2 Satz 2 und 3 Halbs. 1 GG. Die revisionsgerichtliche Überprüfung muss von dem Inhalt der irrevisiblen Vorschriften des Landesrechts ausgehen, den das Berufungsgericht durch Auslegung ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO; 8 C 43.09 - BVerwGE 138, 89 <91 f.>). Bundesrecht kann allerdings eine verfassungskonforme Auslegung der irrevisiblen landesrechtlichen Normen durch das Revisionsgericht gebieten (stRspr, vgl. 9 C 6.13 - juris Rn. 11).

17Die angegriffene Verfügung greift in die kommunale Finanzhoheit des Klägers als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ein, welche die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens beinhaltet (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvL 2/61 - BVerfGE 23, 353 <369> und vom - 2 BvR 480/61 - BVerfGE 26, 172 <181>; - BVerfGE 52, 95 <117>; Beschluss vom - 2 BvR 1808/82, 2 BvR 1809/82, 2 BvR 1810/82 - BVerfGE 71, 25 <36>). Die für Kreise als Gemeindeverbände und für Gemeinden gleichermaßen geltende Gewährleistung der finanziellen Eigenverantwortung ist notwendiges Korrelat der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung; sie ist durch die Ergänzung des Art. 28 Abs. 2 GG um Satz 3, wonach die Gewährleistung der Selbstverwaltung auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung umfasst, klarstellend verstärkt worden (, 2 BvR 2189/04 - BVerfGE 125, 141 <160>; 8 C 43.09 - BVerwGE 138, 89 <94 f.> und vom - 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 11). Zu den von der Finanzautonomie des Kreises umfassten Entscheidungen gehört auch die Festsetzung der Höhe der landesrechtlich vorgesehenen Kreisumlage.

18Die den Gemeindeverbänden gewährleistete Garantie der kommunalen Selbstverwaltung kann allerdings vom Gesetzgeber ausgestaltet und beschränkt werden. Unter den in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG normierten Gesetzesvorbehalt fallen auch landesrechtliche Regelungen über die staatliche Kommunalaufsicht, wie sie hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in § 54 Abs. 1 der Hessischen Landeskreisordnung (HKO) i.V.m. §§ 135 ff. HGO bestehen. Die staatliche Rechtsaufsicht über die Kreise ist wie bei den Gemeinden ein verfassungsrechtlich gebotenes Korrelat der kommunalen Selbstverwaltung (, 2 BvR 974/83 - BVerfGE 78, 331 <341>; 8 C 29.63 - BVerwGE 19, 121 <122 f.> und vom - 8 C 43.09 - BVerwGE 138, 89 <97>). Bei der Erhebung der Kreisumlage besteht im Hinblick auf die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG lediglich eine staatliche Rechts-, aber keine Fachaufsicht. Dies sieht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch Art. 137 Abs. 3 der Hessischen Verfassung (HV) vor.

193. Die Voraussetzung für ein kommunalaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegenüber dem Kläger im Wege einer Anweisung nach § 54 HKO i.V.m. § 139 HGO, die Verletzung einer dem Kläger obliegenden Verpflichtung, war hier gegeben.

20a) aa) Das Berufungsgericht hat den landesrechtlichen Normen des § 52 Abs. 1 HKO i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 HGO eine Pflicht des Klägers zum Haushaltsausgleich entnommen, von der nur in Ausnahmefällen abgewichen werden dürfe. Lasse die Haushaltsnotlage eines kommunalen Aufgabenträgers einen vollständigen Ausgleich trotz äußerster Sparsamkeit und Ausschöpfung aller Einnahmequellen nicht zu, so bestehe jedenfalls eine Pflicht, das Haushaltsdefizit so gering wie möglich zu halten.

21Diese Auslegung des Landesrechts ist mit der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar (vgl. dazu bereits 8 C 43.09 - BVerwGE 138, 89 <98>). Die landesrechtliche Verpflichtung, einen Haushaltsausgleich herbeizuführen, jedenfalls aber sich ihm so weit wie möglich anzunähern, sichert den Gestaltungsspielraum des Trägers der kommunalen Selbstverwaltung in der Zukunft. Sie schränkt zwar den gegenwärtigen Entscheidungsspielraum der Kommune ein, kommt jedoch dem langfristigen Erhalt ihrer Handlungsmöglichkeiten zugute und dient damit der Gewährleistung der in Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Autonomie. Auf welchem Wege das Ziel des Haushaltsausgleichs erreicht wird, liegt dabei - soweit unterschiedliche Konsolidierungsmaßnahmen in Betracht kommen - in der Gestaltungsfreiheit des kommunalen Trägers. Lässt die gegenwärtige Haushaltsnotlage einen vollständigen Haushaltsausgleich nicht zu, ist auch eine Pflicht zur Defizitminimierung bei Wahrung eines vorhandenen Gestaltungsspielraumes des Trägers der kommunalen Selbstverwaltung mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar.

22Keiner Erörterung bedarf, ob auch die Verpflichtungen von Bund und Ländern aus den verfassungsrechtlichen Regelungen zur Haushaltsdisziplin (sog. Schuldenbremse, vgl. Art. 109 Abs. 3 GG) sowie ihre unionsrechtlich begründeten Stabilitätsverpflichtungen (Art. 126 Abs. 2 AEUV, Art. 109 Abs. 2 GG) auf die Rechtsposition der in Art. 109 Abs. 3 GG nicht ausdrücklich genannten Träger der kommunalen Selbstverwaltung einwirken (kritisch hierzu Waldhoff, Rechtsfragen der Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse in der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, Rechtsgutachten für den Landtag Nordrhein-Westfalen vom , LT-Information 16/249, S. 37 ff.). Auf die rechtlichen Folgen der Schuldenbremse für das Verhältnis zwischen dem Kreis und dem Land kommt es hier schon deswegen nicht an, weil das Haushaltsjahr 2010 noch nicht vom zeitlichen Anwendungsbereich der grundgesetzlichen Schuldenbremse erfasst wird (vgl. Art. 143 d Abs. 1 GG).

23bb) Der Kläger hat seine aus § 52 Abs. 1 HKO i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 HGO folgende Pflicht zur Aufstellung eines für das Jahr 2010 ausgeglichenen Haushalts verletzt. Nach den unbestrittenen Feststellungen des Tatsachengerichts war für jenes Haushaltsjahr nach dem vom Kreistag beschlossenen Haushalt ein Defizit von 34 Mio. € zu erwarten. Infolge dessen hätte die Bilanz für 2010 sogar ein negatives Eigenkapital erreicht.

24Die berufungsgerichtliche Annahme einer Pflichtverletzung ist revisionsrechtlich nicht schon deshalb zu beanstanden, weil dem Kläger ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung trotz aller Anstrengungen nicht möglich gewesen wäre. Neben der vom Beklagten verfügten Erhöhung der Kreisumlage waren im Verlaufe der Verhandlungen der Beteiligten auch Einsparmöglichkeiten auf der Ausgabenseite des klägerischen Haushaltes genannt worden, deren Anrechnung auf die Erhöhung des Kreisumlagesatzes der Beklagte in seiner aufschiebend bedingten Haushaltsgenehmigung zunächst zugestanden hatte. Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, dass er noch Ausgabenkürzungen hätte beschließen können. Sein Vortrag, er nehme zu 99 % Pflichtaufgaben wahr, schließt nicht aus, dass er die ihm übertragenen Aufgaben im Einzelnen noch sparsamer hätte erledigen können. Unabhängig davon, welches Ausmaß an Einsparungen dabei erreichbar gewesen wäre, war der Kläger jedenfalls im Umfang der ihm möglichen Sparmaßnahmen und Umlageerhöhung landesrechtlich zur Annäherung an einen Haushaltsausgleich verpflichtet.

25Seiner gesetzlichen Pflicht zur Minimierung des Haushaltsdefizits kann sich der klagende Kreis auch nicht durch Verweis auf eine seiner Auffassung nach unzureichende Finanzierung durch das beklagte Land entziehen. Solange es ihm möglich ist, Maßnahmen zur Haushaltssanierung zu ergreifen, ist es aus Sicht der Garantie der Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden, wenn er landesrechtlich zu entsprechendem Handeln verpflichtet ist. Hiervon ist die Frage zu trennen, ob eine kommunalaufsichtliche Verfügung zur Verringerung des Haushaltsdefizits verhältnismäßig ist, wenn das Land als Träger der Kommunalaufsicht wegen unzureichender Finanzierung eine Mitverantwortung am Haushaltsnotstand des Kreises trägt (dazu unten 6.).

26b) aa) Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber hinaus den landesrechtlichen Vorschriften der § 53 Abs. 2 HKO und § 37 FAG-HE über die Erhebung der Kreisumlage wegen der anhaltenden Haushaltsnotlage des Klägers dessen Verpflichtung entnommen, den Kreisumlagesatz auf das unter Berücksichtigung der Belange der kreisangehörigen Gemeinden Höchstmögliche festzusetzen. Auch hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

27Nach § 53 Abs. 2 HKO kann der Landkreis, soweit seine sonstigen Einnahmen oder Erträge und Einzahlungen nicht ausreichen, um seinen Bedarf zu decken, nach den hierfür geltenden Vorschriften eine Kreisumlage von den kreisangehörigen Gemeinden erheben. § 37 Abs. 1 FAG-HE sieht eine Verpflichtung der Landkreise zur Erhebung einer Kreisumlage von ihren Gemeinden vor, soweit die sonstigen Erträge und Einzahlungen der Landkreise und die Leistungen nach dem Finanzausgleichsgesetz zum Ausgleich des Haushalts und zum Ausgleich von Fehlbeträgen aus Vorjahren nicht ausreichen. Das Berufungsurteil sieht in § 37 Abs. 1 FAG-HE eine Vorschrift, welche die Ermächtigung zur Umlageverpflichtung nach § 53 Abs. 2 HKO ausfüllt und wegen der defizitären Haushaltssituation des Klägers zu einer Rechtspflicht verdichtet, die Grenze des bei Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden Möglichen auszuschöpfen.

28Diese Auslegung der landesrechtlichen Vorschriften steht mit den Grundsätzen in Einklang, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden bei der Erhebung der Kreisumlage entwickelt hat. Hiernach darf der Kreis seine eigenen Aufgaben und Interessen nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber denjenigen der kreisangehörigen Gemeinden durchsetzen. Dies folgt aus dem in Art. 28 Abs. 2 GG angelegten Grundsatz des Gleichrangs des Finanzbedarfes eines jeden Verwaltungsträgers im kreiskommunalen Raum. Neben dem Gebot der interkommunalen Gleichbehandlung der kreisangehörigen Gemeinden, dem Verbot der Einebnung von Steuerkraftunterschieden zwischen den Gemeinden und der Achtung der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine eigene gemeindliche Steuerhoheit hat der umlageerhebende Kreis auch zu gewährleisten, dass die durch Art. 28 Abs. 2 GG gebotene finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden nicht unterschritten wird. Die Garantie des Kerngehalts der kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden zieht der Kreisumlageerhebung eine absolute Grenze dort, wo sie zu einer strukturell unzureichenden Finanzausstattung der kreisangehörigen Gemeinden führen und ihnen dadurch die Möglichkeit zu einem eigenständigen und eigenverantwortlichen Handeln nehmen würde (vgl. 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 <380 ff., 391>). Die eigene finanzielle Notlage stellt den Kreis nicht von der Pflicht zur Beachtung des Kernbereichs der gemeindlichen Selbstverwaltung frei. Vielmehr muss sich der Kreis bei unzureichender eigener Finanzausstattung seinerseits an das Land (den Landesgesetzgeber) halten und kann seine Finanznot nicht auf die kreisangehörigen Gemeinden abwälzen ( a.a.O. Rn. 37).

29Die Grenze für den höchstmöglichen Kreisumlagesatz, den der finanziell notleidende Kreis nach § 37 Abs. 1 FAG-HE festzusetzen hat, liegt nach dem Berufungsurteil dort, wo die Leistungsfähigkeit der zahlungspflichtigen Gemeinden endet. Diese Auslegung der nur beschränkt revisionsgerichtlich zu überprüfenden landesrechtlichen Norm trägt dem Schutz der finanziellen Mindestausstattung der Gemeinden aus Art. 28 Abs. 2 GG hinreichend Rechnung.

30bb) Nach den tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils hätte der Kläger den Kreisumlagesatz für das Haushaltsjahr 2010 weit über die Grenze des den zahlungspflichtigen Gemeinden Zumutbaren hinaus bei ca. 70 % festsetzen müssen, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Angesichts der Größenordnung seines Defizits musste er aufgrund des dargestellten Landesrechts den höchstmöglichen Kreisumlagesatz unabhängig davon ausschöpfen, ob auch auf der Ausgabenseite des Haushaltes noch Einsparungen möglich waren. Es begegnet daher aus Sicht des Bundesrechts keinen Bedenken, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Kläger bei der Entscheidung über den konkreten Kreisumlagesatz abverlangt hat, seine Kräfte zur Sanierung des notleidenden Haushalts bis zur Grenze des ihm rechtlich Möglichen anzuspannen.

31Das Berufungsurteil stellt ausdrücklich fest, dass die Grenze des unter Berücksichtigung der Belange der zahlungspflichtigen Gemeinden Möglichen nach den Berechnungen des Beklagten bei insgesamt 58 % der Bemessungsgrundlagen einschließlich einer Kreisumlage von 35,5 % lag und dass dieser Hebesatz den Finanzbedarf des Klägers wie auch die Leistungsfähigkeit der zahlungspflichtigen Städte und Gemeinden berücksichtigte. Gegen diese tatsächlichen Feststellungen ist der Kläger nicht mit revisionsrechtlichen Verfahrensrügen vorgegangen. Er hat auch in der Sache nicht geltend gemacht, mit der vom Beklagten angewiesenen Höhe der Kreisumlage werde die Leistungsfähigkeit aller oder einzelner kreisangehöriger Gemeinden überschritten. Nach dem von den Tatsacheninstanzen ermittelten Ablauf des kommunalaufsichtlichen Verfahrens wie auch nach eigenem Vortrag hat der Kläger die finanzielle Belastbarkeit der betroffenen Gemeinden im Übrigen selbst nicht konkret ermittelt, sondern sich auf Angaben in einer Bürgermeisterversammlung gestützt, wonach die Gemeinden bei einer Anhebung des Umlagesatzes in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.

324. Lagen nach alldem die Voraussetzungen für ein aufsichtliches Einschreiten vor, so war der Beklagte nicht auf das Aufsichtsmittel einer Beanstandung nach § 54 HKO i.V.m. § 138 HGO beschränkt, sondern durfte dem Kläger durch eine Anweisung nach § 54 HKO i.V.m. § 139 HGO eine Erhöhung des Kreisumlagesatzes um 3 % vorgeben.

33Nach § 54 HKO i.V.m. § 138 HGO (Beanstandung) kann die Aufsichtsbehörde Beschlüsse und Anordnungen des Kreises, die das Recht verletzen, aufheben, während sie den Kreis nach § 54 HKO i.V.m. § 139 HGO bei Vorliegen einer Pflicht- oder Aufgabenverletzung anweisen kann, innerhalb einer bestimmten Frist das Erforderliche zu veranlassen. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass eine reine Beanstandung des Beschlusses des Kreistages über den Kreisumlagesatz nicht geeignet gewesen wäre, um eine Verringerung des Defizits des Klägers zu gewährleisten. Dagegen lässt sich nichts erinnern.

34a) Die Kommunalaufsicht darf allerdings nicht im Wege einer "Einmischungsaufsicht" in Entscheidungsspielräume eindringen, die sich den kommunalen Aufgabenträgern eröffnen (, 974/83 - BVerfGE 78, 331 <341, 343>). Einnahmen- wie ausgabenseitig Maßnahmen zum Haushaltsausgleich zu ergreifen, ist Aufgabe der Entscheidungsgremien des kommunalen Aufgabenträgers. Innerhalb eines bestehenden Gestaltungsspielraums ist es der Kommunalaufsicht untersagt, der Kommune bestimmte Maßnahmen alternativlos vorzuschreiben. Auf der Ausgabenseite ist die Aufsichtsbehörde grundsätzlich darauf beschränkt, eine Reduzierung der Mittel für freiwillige Leistungen insgesamt anzumahnen, ohne konkrete Mittel oder einzelne Ansätze vorzuschreiben. Entsprechendes muss für die Einnahmenseite gelten ( 8 C 43.09 - BVerwGE 138, 89 Rn. 24 f.).

35Erfüllt der kommunale Aufgabenträger seine Pflichten nicht, ist die Aufsichtsbehörde freilich nach sachgerechter Ausübung ihres Entschließungs- und Auswahlermessens zur Beanstandung und Aufhebung einer pflichtwidrigen Maßnahme befugt ( 8 C 43.09 - BVerwGE 138, 89 Rn. 26). Besteht zudem in Anbetracht der haushaltswirtschaftlichen Beschlüsse des kommunalen Aufgabenträgers und des unmittelbar bevorstehenden zeitlichen Auslaufens einer realisierbaren Handlungsmöglichkeit, um der Rechtswidrigkeit des kommunalen Handelns abzuhelfen, keine Auswahl alternativ zu ergreifender verschiedener Maßnahmen mehr, darf die Aufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht auch weitergehend in die Selbstverwaltung der Kommune eingreifen und ihr aufgeben, in welcher Weise sie einen gesetzeskonformen Zustand herzustellen hat. Dabei hat sie die schonendste, am wenigsten in die Gestaltungsautonomie des kommunalen Aufgabenträgers eingreifende Maßnahme zu wählen.

36b) Nach diesem Maßstab ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte den Kläger zu einer Erhöhung des Kreisumlagesatzes angewiesen hat. Er hat damit eine effektive Aufsichtsmaßnahme gewählt, ohne durch Vorgaben zu konkreten Haushaltseinsparungen noch weitergehend in den kommunalpolitischen Gestaltungsspielraum des Klägers einzugreifen. Hinzu kommt, dass eine Kreisumlageerhöhung nach § 37 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 FAG-HE nur noch bis zum 31. August des Haushaltsjahres 2010 zulässig war. Angesichts des drohenden Auslaufens des Zeitraumes für diese Haushaltsmaßnahme war die Aufsichtsbehörde unabhängig davon, ob eine Fortführung der vorläufigen Haushaltsführung nach § 52 HKO i.V.m. § 99 HGO rechtlich möglich und haushaltswirtschaftlich geeignet gewesen wäre, nicht gehalten, sich auf rein kassatorische aufsichtliche Maßnahmen gegenüber dem Kläger zu beschränken. Sie musste im Rahmen des nach Art. 28 Abs. 2 GG Zulässigen ein möglichst effektives Aufsichtsmittel wählen und mit Blick auf den herannahenden Zeitpunkt des § 37 Abs. 5 FAG-HE auch berücksichtigen, dass zur rechtswirksamen Umsetzung eines Haushaltskonsolidierungsbeitrages noch Zeit für eine Ersatzvornahme bleiben musste. Dies schränkte den Spielraum des Beklagten, dem klagenden Kreis erneut Gelegenheit zu eigenem gestalterischen Handeln zu geben, zusätzlich ein. Der Beklagte musste nach den über mehrere Monate geführten erfolglosen Verhandlungen mit dem Kläger und dessen ausdrücklichen Bekundungen außerdem davon ausgehen, dass der Kreistag weder eine Erhöhung des Umlagesatzes noch Einsparmaßnahmen in gleich wirksamer Höhe erlassen würde.

37Der Beklagte war in diesem Stadium des Aufsichtsverfahrens auch nicht verpflichtet, in seiner Anweisung eine Möglichkeit der Anrechnung von Einsparmaßnahmen, welche der Kreistag etwa noch hätte fassen können, auf den Umfang der Kreisumlageerhöhung vorzusehen. Zwar hatte er noch in seiner aufschiebend bedingten Genehmigung der Haushaltssatzung eine solche Anrechnung in Aussicht gestellt und dadurch besondere Rücksicht auf den zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Gestaltungsspielraum des Kreises genommen. Er war aber nicht verpflichtet, nach fruchtlosem Ablauf der in der Genehmigung gesetzten Frist beim Erlass seiner kommunalaufsichtlichen Anweisung dasselbe, dem Kreis entgegenkommende Aufsichtskonzept beizubehalten. Um einen spürbaren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung des Klägers zu erzielen, war die angewiesene Umlageerhöhung unabhängig von etwaigen zusätzlichen Sparmaßnahmen auf der Ausgabenseite erforderlich. Es war nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen deutlich, dass eine dreiprozentige Hebesatzerhöhung angesichts der Größenordnung des klägerischen Haushaltsdefizits für sich genommen bei weitem nicht zu einem Haushaltsausgleich führen, gleichwohl in jedem Falle einen greifbaren Beitrag zur Defizitminimierung darstellen würde. Eine Anrechnungsmöglichkeit für Einsparungen auf die Umlageerhöhung wäre zudem in der Kürze der bis Ende August 2010 verbleibenden Zeit kaum mehr praktikabel gewesen, weil sich die Aufsichtsbehörde vor einer Reduzierung der angewiesenen Umlageerhöhung hätte vergewissern müssen, dass angebotene Einsparmaßnahmen tatsächlich umsetzbar waren.

38Nimmt man den gesamten Verlauf des kommunalaufsichtlichen Einwirkens des Beklagten auf den Kläger für das Haushaltsjahr 2010 in den Blick, dann ist dem Kläger nicht alternativlos eine einzelne Konsolidierungsmaßnahme vorgegeben worden. Vielmehr hat die Aufsichtsbehörde ihm Gelegenheit zu eigenen Gestaltungsentscheidungen gegeben, bevor sie ihre Verfügung auf eine effektive Maßnahme konzentriert hat, die nach dem 31. August nicht mehr hätte getroffen werden können. Damit hat sie sich im Interesse der langfristigen Sanierung der Kreisfinanzen im Rahmen einer zulässigen Kommunalaufsicht gehalten.

395. a) Auch die in der angefochtenen Verfügung angewiesene Höhe des Hebesatzes für die Kreisumlage begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken. Zwar kommt es für die Frage, ob eine dem Finanzbedarf des Kreises dienende Kreisumlageerhöhung hinreichend Rücksicht auf den Finanzbedarf der Gemeinden nimmt, auf die Verhältnisse der konkreten kreisangehörigen und umlagepflichtigen Gemeinden an (vgl. 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 14). Dem wird ein landesweit angelegter rechnerischer Maßstab, wie ihn hier der Beklagte und das Berufungsgericht der hessischen Konsolidierungsleitlinie entnommen haben, nicht ohne Weiteres gerecht. Wie oben ausgeführt, hat der Kläger jedoch keine Verfahrensrügen gegen die Feststellung in dem Berufungsurteil erhoben, dass eine Umlageverpflichtung in der angewiesenen Höhe die hier konkret zu betrachtenden kreisangehörigen Gemeinden nicht über Gebühr in Anspruch nahm. Revisionsgerichtlich ist daher davon auszugehen, dass der vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport für die Kommunalaufsicht vorgegebene Orientierungswert einer Umlagehöhe von insgesamt 58 % im Haushaltsjahr 2010 nicht in die von Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistete finanzielle Mindestausstattung der kreisangehörigen Gemeinden eingriff.

40b) Der Beklagte hat nach dem revisionsrechtlich bindend festgestellten Sachverhalt auch nicht seine Ermittlungspflichten verletzt, die ihm bei der Wahrnehmung seiner kommunalaufsichtlichen Befugnisse oblagen, um eine gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden hinreichend rücksichtsvolle Erhöhung des Hebesatzes zu gewährleisten. Auch insoweit hat der Kläger keine Verfahrensrügen gegenüber den berufungsgerichtlichen Feststellungen erhoben, dass der Rückgriff auf den landesweiten Erfahrungswert - der wohl eher einen verwaltungsinternen Orientierungswert darstellte - den Verhältnissen im klägerischen Landkreis angemessen war und dieser Wert vom Kläger inzwischen akzeptiert werde.

41Legt der Kreis selbst den Kreisumlagesatz fest, so ist er verpflichtet, den eigenen Finanzbedarf und denjenigen der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und seine Entscheidungen in geeigneter Form offen zu legen, um den Gemeinden und gegebenenfalls den Gerichten eine Überprüfung zu ermöglichen (vgl. 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 14). Dafür wäre es nicht ausreichend, wenn sich der Kreis allein auf einen landesweiten Orientierungswert stützen würde. Der kreiseigene Finanzbedarf wird von diesem konkret ermittelt. Für den gleichrangigen Bedarf der umlagepflichtigen Gemeinden kann nichts anderes gelten.

42Weist die Kommunalaufsicht den Kreis zu einer konkret bemessenen Umlageerhöhung an und hat der Kreis bislang keine hinreichenden eigenen Ermittlungen zum Finanzbedarf aller betroffenen kommunalen Träger durchgeführt, dann muss sie ihrerseits gewährleisten, dass der angewiesene Umlagesatz auf ausreichende Feststellungen gestützt werden kann. Sie darf den Kreis nicht zu einer rechtswidrigen Maßnahme anhalten, sondern hat allein auf die Einhaltung seiner Verpflichtungen hinzuwirken. Kommt der Kreis der Anweisung nicht nach und muss diese im Wege der kommunalrechtlichen Ersatzvornahme umgesetzt werden, dann wirkt die getroffene Maßnahme für und gegen den Kreis, als wenn dieser sie selbst getroffen hätte (vgl. Lange, Kommunalrecht, 2013, S. 1162 f.). Der Kreis sieht sich möglicherweise Rechtsmitteln der umlagebelasteten Gemeinden gegen die von der Kommunalaufsicht verfügte Erhöhung des Hebesatzes ausgesetzt. Die Aufsichtsbehörde muss daher sicherstellen, dass die Maßnahme einer gerichtlichen Überprüfung anhand der für den Kreis geltenden rechtlichen Anforderungen standhält. Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Aufsichtsbehörde die zur Festlegung des Umlagesatzes erforderlichen Ermittlungen angesichts ihrer eingeschränkteren praktischen Handlungsmöglichkeiten anders führt als der Kreis bei eigenem Handeln. Soweit die Kommunalaufsicht in einem ersten Schritt von einem landesweiten Richtwert für eine maximale Umlagehöhe ausgeht, so ist es Sache des Kreises, im Rahmen der gebotenen Anhörung vor einer rechtswirksamen Verfügung zur Festsetzung des Hebesatzes konkret darzutun, dass die Grenze der Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden mit diesem Wert überschritten wäre. Dies hat der Kläger hier jedoch weder im kommunalaufsichtlichen Verwaltungsverfahren noch im Verfahren vor den Tatsachengerichten geltend gemacht.

436. Die angegriffene Anweisungsverfügung greift schließlich nicht unverhältnismäßig in die Finanzhoheit des Klägers ein.

44Die Auswahl des aufsichtlichen Mittels ist nicht zu beanstanden. Sie war darauf gerichtet und geeignet, dem Kläger zur Sicherung seiner künftigen Gestaltungsfreiheit Mehreinnahmen zu verschaffen. Weniger intensiv in die Finanzhoheit des Klägers eingreifende und dabei gleich geeignete Maßnahmen standen nicht zur Verfügung.

45Die Maßnahme war auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Hierzu hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen, die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Anweisungsverfügung werde durch eine etwaige unzureichende Finanzausstattung des Klägers nicht in Frage gestellt. Das Berufungsgericht hat eine solche Minderausstattung seitens des beklagten Landes im Hinblick auf Art. 137 Abs. 5 HV und § 28 Abs. 2 FAG-HE zwar für möglich gehalten, hat hierzu aber - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

46Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob auch den Gemeindeverbänden entsprechend ihrer aus Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG folgenden Garantie eines Mindestaufgabenbestandes (vgl. , 2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331 <352>) wie den Gemeinden (vgl. 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 <379>) ein Recht auf aufgabenadäquate finanzielle Ausstattung sowie auf eine abwägungsfeste finanzielle Mindestausstattung im "Kernbereich" ihrer Selbstverwaltungsgarantie zukommt (offen gelassen auch in: - BVerfGE 83, 363 <386>; Urteil vom - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331 <361>). Denn der Kläger hat nicht alle Möglichkeiten genutzt, auf Grundlage bestehenden Landesrechts zusätzliche Finanzmittel beim Land zu erwirken (a). Zudem würde sich ein Anspruch auf (ergänzende) Finanzierung zur Gewährleistung der angemessenen Ausstattung des Kreises an den Landesgesetzgeber richten. Er würde jedoch nicht die Kommunalaufsicht als Exekutivbehörde in die Lage versetzen, von Maßnahmen abzusehen, deren es nach geltendem Gesetzesrecht zur Sicherung rechtmäßigenden Handelns der Kreise bedarf (b).

47a) Wie das Berufungsgericht angemerkt hat, könnten sich weitere Finanzierungspflichten des Landes gegenüber dem Kläger für das hier relevante Haushaltsjahr 2010 bereits aus der bestehenden einfachgesetzlichen Regelung des § 28 Abs. 2 FAG-HE ergeben haben. Diese Vorschrift sieht bei außergewöhnlichen Belastungen oder Härten bei der Durchführung des Finanzausgleichsgesetzes sowie des Gemeindefinanzreformgesetzes des Landes Hessen die Möglichkeit einer Gewährung von Zuweisungen nicht nur an Gemeinden, sondern ausdrücklich auch an Landkreise vor. Zwar sehen die entsprechenden "Richtlinien über die Gewährung von Zuweisungen aus dem Landesausgleichsstock" des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom (StAnz. 2009, S. 581 ff.) in Ziffer I Abs. 3 ab dem Jahr 2003 im Hinblick auf die Regelung in § 37 Abs. 1 FAG-HE keine Gewährung von Zuweisungen an Landkreise mehr vor und verweisen die Kreise damit auf das ihnen zur Finanzierung ihrer Aufgabenwahrnehmung gesetzlich gewährte Instrument der Kreisumlage; die Möglichkeit des Belastungs- oder Härteausgleichs soll dann nur die Folgen einer Überspannung der Gemeindehaushalte infolge der Kreisumlageerhebung mildern. Ob diese Richtlinie mit der gesetzlichen Regelung in § 28 Abs. 2 FAG-HE vereinbar ist, ist offen. Wie das Berufungsurteil feststellt, hat der Kläger Mittel aus dem Landesausgleichsstock nicht beantragt und damit auf eine rechtliche Klärung etwaiger gesetzlicher Ansprüche verzichtet. Bereits dies schließt eine Unverhältnismäßigkeit der kommunalaufsichtlichen Durchsetzung seiner Pflicht zur Annäherung an einen Haushaltsausgleich aus.

48Des Weiteren hätte der Kläger verfassungsgerichtlich gegen eine seiner Auffassung nach unzureichende Finanzausstattung durch das Land vorgehen können. Auch insoweit hat er es unterlassen, über seine bisherigen Finanzierungsmittel hinausgehende Finanzierungsansprüche gerichtlich klären zu lassen.

49b) Dass der Kreis sich wegen einer unzureichenden finanziellen Ausstattung an das Land (den Landesgesetzgeber) halten muss, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden ( 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 37). Mit dem jeweiligen Landesfinanzausgleichsgesetz gestaltet der Landesgesetzgeber ein differenziert austariertes Gesamtsystem der wechselseitigen Finanzierungspflichten und Zuweisungsrechte der Aufgabenträger im Lande. Hierbei kommt ihm nach der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte ein nur beschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum zu (vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom - 9/12 - Städte- und Gemeinderat 2014, Nr. 7-8, 45 = juris Rn. 36; StGH Baden-Württemberg, Urteil vom - GR 2/97 - DÖV 1999, 687 <690>; VerfGH Rheinland-Pfalz, VGH N 3/11 - NVwZ 2012, 1034 <1035>; Thüringer VerfGH, Urteil vom - VerfGH 28/03 - NVwZ-RR 2005, 665 <671>; Thüringer VerfGH, Urteil vom - VerfGH 52/08 - ThürVBl. 2010, 152 <153>; im Kontext des Länderfinanzausgleichs nach Art. 107 GG vgl. u.a. - BVerfGE 72, 330 <391, 395 ff.>). Innerhalb seines Gestaltungsspielraums hat der Landesgesetzgeber auch eine fehlerfreie Ermittlungs- und Verteilungsmethodik zu wählen (vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom a.a.O. Rn. 37; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom a.a.O. S. 1036 f.). Eine entsprechende gestalterische Kompetenz, um die Angemessenheit des Teilbereichs des Finanzausgleichs zwischen Land und Kreis zu ermitteln und zu bewerten, kommt der Kommunalaufsichtsbehörde demgegenüber nicht zu.

50Zu den maßgeblichen Finanzierungsquellen des Kreises gehört auch die in § 37 FAG-HE verankerte Kreisumlage selbst. Sie ist damit ihrerseits Verteilungsregel des Finanzausgleichs (vgl. 8 B 130.96 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 109, 40 <41>; Urteil vom - 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 <380 f.>; zur historischen Entwicklung vgl. - BVerfGE 23, 353 <366 f.>) und Teil des Systems, welches insgesamt eine hinreichende Finanzausstattung u.a. der Kreise sicherstellen soll. Die Kommunalaufsichtsbehörde ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die im Finanzausgleichsgesetz enthaltenen Vorgaben für die Umlageerhebungspflicht des Kreises gebunden und hat deren Einhaltung durch den Kreis zu gewährleisten. Auch insofern kommt ihr eine Befugnis zur Korrektur der dort getroffenen gesetzgeberischen Entscheidungen nicht zu; das Aufsichtsermessen ist zu einer solchen Korrektur nicht eröffnet.

517. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2015:160615U10C13.14.0

Fundstelle(n):
RAAAF-01132