BAG Urteil v. - 6 AZR 650/13

Stufenaufstieg im TV-N Hessen

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 3 Ca 307/11 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 8 Sa 1508/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten noch über die Stufenzuordnung des Klägers.

2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten, einem Nahverkehrsunternehmen, als Busfahrer beschäftigt. Zuvor war er vom bis bei der N GmbH tätig. Im Arbeitsvertrag vom vereinbarten die Parteien ua. die Geltung des Bundesmanteltarifvertrags für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom (BMT-G II) und der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge sowie der Tarifvertraglichen Vereinbarung Nr. 746 vom in der jeweils geltenden Fassung. Bei Letzterer handelte es sich um Sonderregelungen ua. zum BMT-G II für die Arbeiter und Arbeiterinnen im Fahrdienst der Beklagten. Die Eingruppierung in die Entgeltgruppen des Entgeltgruppenverzeichnisses (Anlage 1 zur Tarifvertraglichen Vereinbarung Nr. 746) erfolgte abhängig von der Anzahl der Beschäftigungsmonate. Für die höchste Entgeltgruppe 3 war eine Mindestzahl von 73 Beschäftigungsmonaten Eingruppierungsvoraussetzung. In diese Entgeltgruppe war der Kläger im Juni 2010 eingruppiert.

3Zum trat als Landesbezirkstarifvertrag Nr. 11/2010 der Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe (TV-N Hessen) vom in Kraft. Dieser ersetzte ua. den BMT-G II. Ebenfalls zum wurde der Landesbezirkstarifvertrag Nr. 25/2010 wirksam, der den TV-N Hessen für die Beklagte ergänzt und die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 746 ablöste. Der Kläger wurde bei seiner Überleitung in den TV-N Hessen nach Maßgabe des § 2 des Landesbezirkstarifvertrags Nr. 25/2010 der Entgeltgruppe 4 TV-N Hessen zugeordnet. Über diese Zuordnung streiten die Parteien in der Revisionsinstanz nicht mehr.

4§ 5 Abs. 2 TV-N Hessen regelt zu den Entgeltstufen Folgendes:

5§ 4 TV-N Hessen bestimmt:

6Die Überleitung der vor dem bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer in die Entgeltstufen ist in § 23 Abs. 3 TV-N Hessen wie folgt geregelt:

7Die Beklagte ordnete den Kläger bei seiner Überleitung in den TV-N Hessen innerhalb der Entgeltgruppe 4 der Stufe 3 zu. Sie berücksichtigte dabei aufgrund der Regelung in § 2 Nr. 2 Unterabs. 2 Satz 2 des Landesbezirkstarifvertrags Nr. 25/2010 auch die Betriebszugehörigkeit des Klägers bei der N GmbH. Das Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 4 Stufe 3 TV-N Hessen betrug im Zeitpunkt der Überleitung 1.927,40 Euro und überstieg das Vergleichsentgelt von 1.801,40 Euro, so dass der Kläger keine persönliche Zulage nach § 23 Abs. 5 TV-N Hessen erhielt, mit der durch die Überleitung entstehende finanzielle Nachteile ausgeglichen worden wären. Seit dem zahlt die Beklagte ihm ein Entgelt der Stufe 4 der Entgeltgruppe 4 TV-N Hessen.

8Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm sei rückwirkend ab dem Entgelt aus der Stufe 4 der Entgeltgruppe 4 TV-N Hessen zu zahlen. Unter Berücksichtigung der Zeit seiner Beschäftigung bei der N GmbH weise er seit dem die erforderliche Beschäftigungszeit von neun Jahren auf. Jede andere Auslegung führe zu einer eklatanten Ungleichbehandlung.

9Der Kläger hat zuletzt beantragt

10Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit sie Gegenstand der Revision ist, stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage auch insoweit abgewiesen. Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Gründe

11Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen.

12I. Die Revision ist entgegen der Ansicht der Beklagten zulässig. Der Kläger hat sich in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise (dazu  - Rn. 16) mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts auseinandergesetzt. Bereits mit seiner Rechtsauffassung, § 23 Abs. 3 Satz 2 TV-N Hessen sei nach seinem Wortlaut auf § 5 Abs. 2 TV-N Hessen nur anzuwenden, soweit es um die Verkürzung bzw. Verlängerung der Stufen sowie die Berechnung der „förderlichen Zeiten“ gehe, hat der Kläger das angefochtene Urteil insgesamt in Frage gestellt und den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind.

13II. Die Klage ist nur teilweise zulässig. Ihr fehlt für die Zeit seit dem das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Seitdem ist der Kläger der Stufe 4 seiner Entgeltgruppe zugeordnet.

14III. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die Stufenlaufzeit des § 5 Abs. 2 TV-N Hessen für den weiteren Aufstieg des Klägers in den Entgeltstufen nach seiner Überleitung in den TV-N Hessen begann erst mit dem zu laufen. Beschäftigungsmonate aus der Zeit vor dem , die bei der erstmaligen Stufenzuordnung des Klägers im TV-N Hessen nicht verbraucht worden waren, fanden dabei keine Berücksichtigung. Das ergibt die Auslegung des § 5 Abs. 2 iVm. § 23 Abs. 3 TV-N Hessen bereits aufgrund des eindeutigen Wortlauts dieser Bestimmungen. Ein Rückgriff auf weitere Auslegungskriterien ist deshalb nicht erforderlich.

151. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass § 23 Abs. 3 TV-N Hessen eindeutig zwischen der in Satz 1 geregelten erstmaligen Stufenzuordnung nach der Überleitung in das neue Stufensystem und der von Satz 2 erfassten Stufenlaufzeit differenziert. Die bisherige Betriebszugehörigkeit und damit die Beschäftigungszeit im Sinne des abgelösten Tarifsystems ist nur für die erstmalige Stufenzuordnung maßgeblich. Dabei werden allerdings die bei der erstmaligen Stufenzuordnung nicht verbrauchten Zeiten (Restlaufzeiten, vgl. für die Stufenzuordnung nach Einstellung in § 16 Abs. 2 TV-L  - Rn. 17, BAGE 144, 263) nicht berücksichtigt. Die Beschäftigungszeit, die vor dem erworben worden ist, ist für den Stufenaufstieg im neuen Tarifsystem ohne Bedeutung. Satz 2 bestimmt vielmehr eindeutig und unmissverständlich, dass die Stufenlaufzeit erst am beginnt. Durch den Verweis auf § 5 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 TV-N Hessen macht § 23 Abs. 3 Satz 2 TV-N Hessen auch ohne jeden Zweifel deutlich, welche Bedeutung der Begriff der „Stufenlaufzeit“ im tariflichen Regelungszusammenhang hat. In der Gesamtschau dieser Regelungen erfolgt der Aufstieg in die nächsthöhere Stufe erst dann, wenn die nach § 5 Abs. 2 TV-N Hessen erforderliche Laufzeit nach dem in vollem Umfang zurückgelegt worden ist. Nach Durchführung der Überleitung ist die Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten nicht mehr vorgesehen.

16a) Entgegen der Ansicht der Revision ist § 23 Abs. 3 TV-N Hessen nicht inhaltlich unbestimmt und unklar oder missverständlich. Es ist eindeutig, welche Bestimmungen in § 5 Abs. 2 TV-N Hessen von § 23 Abs. 3 Satz 2 TV-N Hessen in Bezug genommen sind.

17aa) Die Revision meint, nach dem objektiven Empfängerhorizont, jedenfalls aber nach der Unklarheitenregelung sei Unterabsatz 1 des § 5 Abs. 2 TV-N Hessen dessen Satz 2, wonach bei durchschnittlicher Leistung die nächste Stufe nach drei Jahren erreicht werde. Unterabsatz 2 seien Satz 3 und 4 (tatsächlich Satz 3 bis 5) des § 5 Abs. 2 TV-N Hessen, die die Verkürzung und Verlängerung der Stufenlaufzeit bei über- bzw. unterdurchschnittlichen Leistungen sowie die Einrichtung einer Beschwerdestelle bei Streitigkeiten über die Abänderung der Regelstufenlaufzeit betreffen. Unterabsatz 3 sei Satz 5 (tatsächlich Satz 6) des § 5 Abs. 2 TV-N Hessen, der festlegt, dass förderliche Zeiten bei Neueinstellungen für die Stufenzuordnung berücksichtigt werden können.

18bb) Diese Lesart ist unzutreffend. Sie verkennt zum einen den für Tarifnormen geltenden Auslegungsmaßstab. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln ( - Rn. 17, BAGE 134, 184). Eine Unklarheitenregel wie im AGB-Recht gilt bei der Auslegung von Tarifverträgen nicht (vgl.  - Rn. 27). Zum anderen verwiese § 23 Abs. 3 Satz 2 TV-N Hessen nach dieser Lesart, wovon die Revision ausdrücklich ausgeht, nur auf die Verkürzung bzw. Verlängerung der Stufenlaufzeit bei über- bzw. unterdurchschnittlichen Leistungen und auf die Möglichkeit der Anrechnung förderlicher Zeiten. Diese Lesart führte zu einem widersinnigen Ergebnis: Dann wäre gerade der Regelfall der Stufenlaufzeit, nämlich die durchschnittliche Leistung und der daran anknüpfende Stufenaufstieg nach drei Jahren, ungeregelt. Auch ergibt der Verweis auf die Möglichkeit, förderliche Zeiten für die Stufenzuordnung bei Neueinstellungen zu berücksichtigen, für die Berechnung der Stufenlaufzeit keinen Sinn. Im Regelfall kann aber nicht angenommen werden, dass Tarifvertragsparteien sinnentleerte Normen schaffen wollen ( - Rn. 23). § 23 Abs. 3 Satz 2 TV-N Hessen ist darum wie folgt zu lesen:

Die Stufenlaufzeit (§ 5 Abs. 2 Unterabs. 2 [= Beginnend mit der Stufe 1 erreicht der Arbeitnehmer, der eine durchschnittliche Leistung erbringt, die jeweils nächste Stufe innerhalb seiner Entgeltgruppe unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit <§ 4> nach jeweils drei Jahren.] und Unterabs. 3 [= Bei Leistungen, die erheblich über dem Durchschnitt liegen, kann die erforderliche Zeit in den Stufen jeweils verkürzt, bei Leistungen, die erheblich unter dem Durchschnitt liegen, jeweils verlängert werden. …]) beginnt am .

19b) Auf das individuelle Stufenprofil der übergeleiteten Arbeitnehmer soll es für den weiteren Stufenaufstieg gemäß § 23 Abs. 3 iVm. § 5 Abs. 2 TV-N Hessen nach dem Willen der Tarifvertragsparteien offenkundig nicht ankommen. Sie haben mit der Formulierung „innerhalb seiner Entgeltgruppe“ deutlich gemacht, dass nach der Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Stufe bei der Überleitung für den weiteren Stufenaufstieg allein die Stufenlaufzeit in dieser „seiner“ Entgeltgruppe maßgeblich sein soll (vgl.  - Rn. 23 für die vergleichbare Bestimmung des § 5 Abs. 2 Satz 2 TV-V). Besitzstände, die sich aus dem aufgrund einer bestimmten Beschäftigungsdauer erreichten Verdienst ergaben, werden im hier interessierenden Zusammenhang ausschließlich über das Vergleichsentgelt gemäß § 23 Abs. 5 TV-N Hessen gesichert (vgl.  - Rn. 14).

202. Aus der in § 5 Abs. 2 Unterabs. 2 TV-N Hessen in Bezug genommenen Vorschrift des § 4 TV-N Hessen folgt entgegen der Annahme der Revision nicht, dass sich die jeweilige Stufe der Entgeltgruppe ausgehend vom Beginn der Betriebszugehörigkeit errechnet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich dieser Verweis nur auf die Dauer der Stufenlaufzeit nach der Überleitung bezieht. Er soll lediglich klarstellen, dass nur die Zeiten in einem der in § 4 TV-N Hessen aufgezählten Arbeitsverhältnisse berücksichtigungsfähig sind. Verlangt wird ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis in derselben Entgeltgruppe bei einem der in § 4 TV-N Hessen angeführten Arbeitgeber seit der erstmaligen Zuordnung zu der Entgeltstufe. Weiter gehende Bedeutung kommt dem Verweis nicht zu (vgl.  - Rn. 24 für die vergleichbare Bestimmung des § 5 Abs. 2 Satz 2 TV-V; - 6 AZR 752/08 - Rn. 15). Folgte man der Auffassung der Revision, verbliebe für § 23 Abs. 3 Satz 2 TV-N Hessen kein Anwendungsbereich. Darauf hat bereits das Landesarbeitsgericht zutreffend abgestellt.

213. Zu Unrecht folgert die Revision daraus, dass die Tarifvertragsparteien in § 23 Abs. 4 ff. TV-N Hessen keine Nachteilsregelung für die „Herausrechnung“ von Zeiten der Betriebszugehörigkeit getroffen hätten, dass sich die Stufe der Entgeltgruppe ausgehend von der Betriebszugehörigkeit berechne. Sie übersieht dabei, dass die Tarifvertragsparteien mit § 23 Abs. 4 ff. TV-N Hessen ausschließlich die durch die Überleitung entstehenden finanziellen Nachteile ausgleichen wollten. Im hier maßgeblichen Regelungszusammenhang haben sie dies durch die Sicherung des im Vergleichsentgelt ausgedrückten Entgeltniveaus in Form der persönlichen Zulage nach § 23 Abs. 5 TV-N Hessen gewährleistet. Sofern - wie beim Kläger - durch die Einordnung in die neue Entgeltstruktur finanzielle Nachteile selbst dann nicht eintraten, wenn bei der Stufenzuordnung nicht alle Jahre der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt wurden, bestand aus Sicht der Tarifvertragsparteien keine Notwendigkeit für eine Ausgleichsregelung.

224. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass § 23 Abs. 3 Satz 2 TV-N Hessen in dieser Auslegung entgegen der Ansicht der Revision mit höherrangigem Recht in Einklang steht.

23a) Der Kläger hält sich im Wesentlichen deshalb für ungleich behandelt, weil die Tarifvertragsparteien ihm rund zwei Jahre und acht Monate „genommen“ und als Betriebszugehörigkeit „aberkannt“ hätten. Im Ergebnis werde er damit zu Unrecht einem Arbeitnehmer gleichgestellt, der bei seiner Überleitung in den TV-N Hessen erst sechs Jahre Betriebszugehörigkeit aufgewiesen habe. Bei dieser Argumentation, die sich an die des Arbeitsgerichts anschließt, übersieht der Kläger, dass es für den Aufstieg in den Stufen des neuen Entgeltsystems nicht auf die im alten System erworbene Zeit der Betriebszugehörigkeit bzw. Beschäftigung ankommt, sondern auf Leistung und Erwerb von Berufserfahrung in den Tätigkeiten der neuen Entgeltgruppe. Es entspricht diesem Zweck der neuen Stufenregelung, die im alten Entgeltsystem zurückgelegte Beschäftigungszeit bei der Stufenlaufzeit nicht zu berücksichtigen. Soweit die Beschäftigungszeit bei der erstmaligen Zuordnung zu einer Stufe berücksichtigt wurde, erfolgte dies aus Gründen der Besitzstandswahrung und der Praktikabilität.

24b) Der Kläger hat bei der Ausgestaltung der Besitzstandswahrung keine Systemwidrigkeit der tariflichen Regelung, die einen Gleichheitsverstoß indizierte (vgl.  - Rn. 35, BAGE 140, 83), aufgezeigt. Er erhält im neuen Entgeltsystem unstreitig ein höheres Entgelt als im alten System. Im alten Entgeltsystem hatte er bereits die aufgrund der Beschäftigungsdauer höchstmögliche Vergütung erreicht. Dagegen hat er im neuen Entgeltsystem zwischenzeitlich einen weiteren Entgeltzuwachs aufgrund zunehmender Berufserfahrung erlangt und kann noch die mit einem weiteren Stufenaufstieg verbundene weitere Entgeltsteigerung erwarten. Tatsächlich strebt der Kläger nicht die Wahrung seines Besitzstands, sondern die Verknüpfung der Vorteile der bisherigen und der neuen Entgeltstruktur an. Das gewährleistet Art. 3 Abs. 1 GG jedoch nicht. Daraus ergibt sich zugleich, dass die Revision zu Unrecht annimmt, das Verbot einer (unechten) Rückwirkung (dazu  - Rn. 46) sei verletzt (vgl.  - Rn. 20).

25IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:150115.U.6AZR650.13.0

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 692 Nr. 12
ZAAAE-85872