BAG Urteil v. - 5 AZR 256/13

Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay")

Gesetze: § 9 Nr 2 AÜG, § 10 Abs 4 AÜG, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 13 AÜG, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Trier Az: 3 Ca 880/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 2 Sa 172/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des „equal pay“.

2Der 1968 geborene Kläger ist seit dem bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt. Seit 2006 wurde er einem Unternehmen des R-Konzerns als Stromableser überlassen.

3Dem Arbeitsverhältnis lag zunächst ein Formulararbeitsvertrag vom zugrunde, in dem es ua. heißt:

4Weitere Zusatzvereinbarungen von 2006 und 2007 betrafen den Einsatz und die Vergütung des Klägers.

5Am schlossen die Parteien rückwirkend zum eine von der Beklagten vorformulierte „Zusatzvereinbarung“, die lautet:

6In einem anderen Rechtsstreit schlossen die Parteien einen Vergleich, wonach ab dem auf das Arbeitsverhältnis die zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. (BZA) und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit (DGB) geschlossenen Tarifverträge Anwendung finden.

7Auf Anfrage des Klägers erteilte ihm die R AG mit Schreiben vom folgende Auskunft:

8Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 25. Februar und hat der Kläger mit der am eingereichten Klage unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll, auf der Grundlage der Vergütungsgruppen B 1 und B 2 verlangt. Darüber hinaus hat er Differenzfahrtkostenerstattung sowie die Zahlung von Weihnachtsgeld und Sonderzuwendungen beansprucht.

9Der Kläger hat die Ansicht vertreten, nachdem die Tarifunfähigkeit der CGZP durch das Bundesarbeitsgericht festgestellt worden sei, laufe die arbeitsvertragliche Verweisung auf die mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge leer. Er habe daher Anspruch auf Vergütung zu den im Entleiherbetrieb gültigen Bedingungen, namentlich den Tarifverträgen der Tarifgruppe RWE.

10Der Kläger hat zuletzt beantragt,

11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, ein Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt sei nicht entstanden, zumindest zum Teil verjährt. Zudem habe der Kläger die Höhe des Anspruchs nicht dargelegt. Auf die von der R AG erteilte Auskunft könne er sich nicht stützen, weil diese nicht Entleiherin sei. Der Kläger habe sein Zahlenwerk nicht an die erteilte Auskunft angepasst.

12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

13Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Kläger für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an ein Unternehmen des R-Konzerns das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt hätte (I.). Der Kläger musste keine Ausschlussfristen einhalten (II.). Die Ansprüche sind jedoch unter Umständen teilweise verjährt (III.). In welcher Höhe dem Kläger Differenzvergütung zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (IV.).

14I. Der Kläger hat für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an ein Unternehmen des R-Konzerns Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG. Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Nr. 1 Arbeitsvertrag verweist auf wegen der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP unwirksame Tarifverträge. Die Zusatzvereinbarung vom könnte die Beklagte allenfalls für die Zeit ab dem von der Pflicht zur Gleichbehandlung entbinden. Sie ist aber mit dem von der Beklagten gewollten Inhalt intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (vgl.  - Rn. 11 ff., 18).

15II. Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist nicht verfallen.

161. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksamen Tarifverträgen der CGZP oder aus den nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen Tarifverträgen zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP) und Einzelgewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbunds vom (fortan: AMP-TV 2010) einzuhalten. Derartige „tarifliche“ Ausschlussfristenregelungen sind auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden (vgl.  - Rn. 21 f.).

172. Ob Nr. 14 Arbeitsvertrag eine eigenständige, bei Unwirksamkeit der in Bezug genommenen „Tarifverträge“ oder bei einer unwirksamen Bezugnahme auf Tarifverträge zum Tragen kommende vertragliche Ausschlussfristenregelung enthält, kann dahingestellt bleiben. Als solche würde sie einer AGB-Kontrolle nicht standhalten. Die Kürze der Fristen auf beiden Stufen benachteiligte den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl.  - BAGE 115, 19; - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66).

183. Die Ansprüche des Klägers sind nicht nach § 16 MTV BZA/DGB oder gemäß Nr. 14 des mit Wirkung zum im Wege des Prozessvergleichs vor dem Arbeitsgericht Trier (- 3 Ca 985/11 -) geschlossenen Änderungsvertrags verfallen.

19Die Klausel erfasst (nur) Ansprüche, die nach Änderung der Bezugnahmeklausel fällig geworden sind. Die von der Beklagten intendierte Rückwirkung der Ausschlussfristenregelung wäre - als Vertragsbestandteil gedacht - nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Kläger durch die nachträgliche zeitliche Begrenzung eines bereits entstandenen Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligte (vgl.  - Rn. 23; - 5 AZR 920/12 - Rn. 16 ff., 25).

20III. Soweit der Kläger Ansprüche aus 2007 und im Laufe des Rechtsstreits im Wege der Klageerweiterungen weitere Ansprüche geltend gemacht hat, sind diese unter Umständen verjährt.

211. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ist ein die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch, der mit der Überlassung entsteht und mit dem arbeitsvertraglich für die Vergütung bestimmten Zeitpunkt fällig wird. Mangels Eingreifens der besonderen Tatbestände der §§ 196, 197 BGB unterliegt er der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB. Für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist kommt es - neben dem Entstehen des Anspruchs - nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB darauf an, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis des Gläubigers ist vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass sie dem Gläubiger zumutbar ist. Die erforderliche Kenntnis setzt keine zutreffende rechtliche Würdigung voraus, es genügt vielmehr die Kenntnis der den Anspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Danach hat der Leiharbeitnehmer von dem Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ausreichende Kenntnis iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn er Kenntnis von der Tatsache hat, dass vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers mehr verdienen als er. Dagegen kommt es nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung der arbeitsvertraglichen Klausel an, mit der der Verleiher von der in § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG eröffneten Möglichkeit, von dem Gebot der Gleichbehandlung abzuweichen, Gebrauch macht. Vertraut der Leiharbeitnehmer auf deren Rechtswirksamkeit und in diesem Zusammenhang auf die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition, ist dieses Vertrauen ebenso wenig geschützt wie das des Verleihers. Etwas anderes gilt nur dann, wenn und solange dem Leiharbeitnehmer die Erhebung einer die Verjährung hemmenden Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) unzumutbar war ( - Rn. 16).

222. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob dem Kläger die Tatsachen bekannt waren, aus denen er im vorliegenden Rechtsstreit gefolgert hat, vergleichbare Stammarbeitnehmer hätten mehr verdient als er.

23IV. In welcher Höhe dem Kläger - nicht verjährte - Ansprüche auf Differenzvergütung zustehen, kann der Senat wegen fehlender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Auch dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

241. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es unerheblich, ob die Entleiherin tatsächlich vergleichbare Stammarbeitnehmer beschäftigt. Wendet der Entleiher in seinem Betrieb ein allgemeines Entgeltschema an, kann auf die fiktive Eingruppierung des Leiharbeitnehmers in dieses Entgeltschema abgestellt werden. Maßstab ist in diesem Fall das Arbeitsentgelt, das der Leiharbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit beim Entleiher eingestellt worden wäre. Das gebietet schon die unionsrechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 4 AÜG im Lichte des Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit (fortan: RL). Es fehlt zudem jeglicher Anhaltspunkt, dass nach nationalem Recht der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt entfallen soll, wenn der Entleiher für eine bestimmte Tätigkeit nur noch Leih-, aber keine Stammarbeitnehmer mehr beschäftigt ( - Rn. 15).

25Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass - entsprechend der von der R AG erteilten Auskunft - im R-Konzern ein allgemeines Entgeltschema, nämlich die Tarifverträge der Tarifgruppe RWE, Anwendung findet. Maßgeblich ist damit das Entgelt, das der Kläger erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit bei der Entleiherin angestellt worden wäre.

262. Die Auskunft der R ist ordnungsgemäß. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger der R GmbH zur Arbeitsleistung überlassen war, die Auskünfte aber von der R AG erteilt wurden. Denn § 13 AÜG hindert den Entleiher nicht, zur Erstellung und Bekanntgabe der Auskunft Hilfspersonen hinzuzuziehen, sofern diese über das für eine ordnungsgemäße Auskunft erforderliche Wissen verfügen ( - Rn. 27 mwN).

273. Das Landesarbeitsgericht wird festzustellen haben, ob der Kläger als Stammarbeitnehmer die tariflichen Voraussetzungen einer Vergütung nach Vergütungsgruppe B 2 erfüllt hätte. Dabei kann sich der Kläger für die Darlegung des Entgelts vergleichbarer Stammarbeitnehmer auf die Auskunft der R stützen. Deshalb ist es im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast Sache der Beklagten, die Auskunft zu erschüttern (vgl.  - Rn. 22). Dazu hat sie - bislang - keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, die Tätigkeit des Klägers im Streitzeitraum habe nicht der in der Auskunft zugrunde gelegten Tätigkeit entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht konsequent - keine Feststellungen über das Entgelt vergleichbarer Stammarbeitnehmer getroffen. Sollte die Beklagte die Auskunft insoweit erschüttern, wird der die Auskunft ergänzende Sachvortrag des Klägers zu den Eingruppierungsvoraussetzungen der beanspruchten Vergütungsgruppe und deren tatsächlicher Handhabung bei der Entleiherin zu werten sein.

284. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs nach § 10 Abs. 4 AÜG ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen.

29a) Zutreffend hat der Kläger als Ausgangspunkt für die Berechnung der Differenzvergütung zuletzt ein Monatsgehalt angesetzt.

30Im erneuten Berufungsverfahren wird festzustellen sein, ob der Kläger für die bei der Entleiherin zu beanspruchende Monatsvergütung die dort geschuldete regelmäßige Arbeitszeit (§ 4 MTV RWE) erbracht bzw. durch gesetzliche Entgeltfortzahlungstatbestände „abgedeckt“ hat.

31b) Hat der Kläger nach den von der Beklagten abgerechneten und damit streitlos gestellten Stunden Mehrarbeit iSv. § 5 MTV RWE geleistet - was bislang allerdings nicht ausreichend substantiiert dargelegt ist -, kann er dafür Differenzvergütung nach den tariflich vorgesehenen Regeln beanspruchen. Der Abgeltung von Mehrarbeit kann die Beklagte nicht den Vorrang von Freizeitausgleich (§ 5 Nr. 4 MTV RWE) entgegenhalten, wenn sie keinen Freizeitausgleich gewährt, sondern die Mehrarbeitsstunden - wenn auch zu niedrig - vergütet hat.

325. Der Senat kann nicht feststellen, ob und in welcher Höhe der Antrag zu 11., mit dem der Kläger Fahrtkostenersatz geltend macht, begründet ist.

33a) Echter Aufwendungsersatz ist kein Arbeitsentgelt. Er ist auch keine wesentliche Arbeitsbedingung iSv. § 10 Abs. 4 AÜG. Solche sind ausschließlich die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. f, i RL genannten Regelungsgegenstände ( - Rn. 29, BAGE 137, 249). Dazu gehört Aufwendungsersatz nicht. Nur soweit sich Aufwendungsersatz als „verschleiertes“ und damit steuerpflichtiges Arbeitsentgelt darstellt, ist er beim Gesamtvergleich der Entgelte zu berücksichtigen ( - Rn. 35, aaO).

34b) Der Kläger hat die Zahlung weiteren (Brutto-)Entgelts in Form steuerlich nicht begünstigter Fahrgelder bislang nicht näher substantiiert. Dass die Entleiherin tatsächlich 0,33 Euro/km gezahlt und es nicht bei 0,30 Euro/km - steuerlich privilegiert - belassen hätte, ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb im erneuten Berufungsverfahren - ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - entsprechende Feststellungen treffen müssen.

Fundstelle(n):
YAAAE-81341