BAG Urteil v. - 3 AZR 707/10

Instanzenzug: Az: 9 Ca 275/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 14 Sa 83/09 Urteilnachgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 14 Sa 35/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, nach welcher Versorgungsordnung sich die Versorgungsansprüche der Klägerin im Versorgungsfall richten.

2Die im März 1952 geborene Klägerin war seit dem Arbeitnehmerin der B AG Karlsruhe. Diese fusionierte im Jahr 1997 mit der E Schwaben AG zur E AG (im Folgenden: E AG). Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging später auf die Beklagte, ein durch Ausgliederung entstandenes, dem E-Konzern angehörendes Unternehmen über.

Am schlossen die B AG und der Gesamtbetriebsrat der B AG eine „Ruhegeldordnung über Gesamtversorgung“ (im Folgenden: RO B). Diese bestimmt in ihrer ab dem geltenden Fassung ua.:

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom wegen einer angespannten wirtschaftlichen Lage gegenüber dem Gesamtbetriebsrat „sämtliche Regelwerke über betriebliche Altersversorgung“ gekündigt hatte, schlossen die E AG und ihre Tochtergesellschaften, darunter die Beklagte, und die bei diesen bestehenden (Gesamt-)Betriebsräte am eine „Betriebsvereinbarung zur Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung“ (im Folgenden: BV Neuordnung). Diese lautet auszugsweise:

5Die Beklagte unterrichtete die Klägerin mit Schreiben vom darüber, dass sich ihr Versorgungsprozentsatz nach der Neuberechnung entsprechend der BV Neuordnung auf 20,08 vH des Vollzeiteinkommens belaufe. Zur Ermittlung dieses sog. „festgeschriebenen Versorgungsprozentsatzes“ hat die Beklagte die von der Klägerin bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres erreichbare Gesamtversorgung von 72,53 vH des ruhegeldfähigen Einkommens angesetzt - wobei ein Teilzeitfaktor von 96,706 vH berücksichtigt wurde - und aus dem von der Klägerin im Dezember 2004 bezogenen ruhegeldfähigen Einkommen iHv. 2.988,04 Euro monatlich eine Obergrenze für die Gesamtversorgung iHv. 2.167,23 Euro errechnet. Von diesem Betrag hat sie die hochgerechnete Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung iHv. 1.567,25 Euro in Abzug gebracht und damit ein erreichbares Ruhegeld iHv. 599,98 Euro ermittelt. Diesen Wert hat sie ins Verhältnis zum ruhegeldfähigen Einkommen iHv. 2.988,04 Euro gesetzt und dadurch den „festgeschriebenen Versorgungsprozentsatz“ von 20,08 vH errechnet.

6Gegen die Änderung der Versorgungsbestimmungen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihr bei Eintritt des Versorgungsfalls eine betriebliche Altersversorgung auf der Grundlage der RO B zu gewähren; zumindest dürfe ihr Versorgungsanspruch den Betrag nicht unterschreiten, der nach der RO B entsprechend ihrer Beschäftigungsdauer auf der Grundlage des ruhegeldfähigen Einkommens erdient wurde. Durch die BV Neuordnung seien ihre Ansprüche aus der RO B nicht wirksam abgelöst worden. Die Neuordnung greife nicht nur in dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge ein, sondern auch in die erdiente Dynamik, ohne dass hierfür triftige Gründe bestünden. Es lägen schon keine sachlich-proportionalen Gründe, die einen Eingriff in dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge rechtfertigen könnten, vor. Nach der RO B habe sie darauf vertrauen dürfen, bei Eintritt des Versorgungsfalls einschließlich der gesetzlichen Rente insgesamt über 75 vH bzw. unter Berücksichtigung des Teilzeitfaktors 72,53 vH der zuletzt erzielten Vergütung verfügen zu können. Nach der Neuregelung müsse sie demgegenüber mit Einbußen rechnen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die BV Neuordnung greife lediglich in dienstzeitabhängige Zuwächse ein, nicht aber in die erdiente Dynamik. Deshalb bedürfe es lediglich sachlich-proportionaler Gründe. Diese hätten vorgelegen. Im Übrigen habe sie der Klägerin die Zusicherung gegeben, den festgeschriebenen Versorgungsprozentsatz unter Zugrundelegung ihres ruhegeldfähigen Einkommens und der von ihr tatsächlich bezogenen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei Vollendung des 65. Lebensjahres auf den Ablösungsstichtag nachzuberechnen und der Klägerin ein Ruhegeld entsprechend dem nachberechneten festgeschriebenen Versorgungsprozentsatz und dem dann maßgeblichen ruhegeldfähigen Einkommen zu zahlen. Jedenfalls durch diese Zusicherung sei gewährleistet, dass die BV Neuordnung im Ergebnis nicht zu einem Eingriff in die erdiente Dynamik führe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit dem erstinstanzlich ausschließlich gestellten Hauptantrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem von der Klägerin zweitinstanzlich gestellten Hilfsantrag stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der die Klage abweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

10Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Klage nicht stattgegeben werden. Ob die zulässige Klage begründet ist, kann auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen vom Senat nicht abschließend beurteilt werden. Hierzu bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen und Würdigungen. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).

11I. Die Revision ist nicht schon deshalb begründet, weil die Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils unbestimmt oder die Klage unzulässig ist.

121. Das angefochtene Urteil unterliegt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb der Aufhebung, weil der Klageantrag, dem das Landesarbeitsgericht entsprochen hat, und damit die Urteilsformel nicht hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2, § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) wären (vgl. hierzu etwa  - zu II 1 der Gründe, NJW 2005, 2550). Dem Bestimmtheitsgebot ist genügt.

13Mit dem zunächst gestellten - vom Arbeitsgericht abgewiesenen - Klageantrag hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass sich ihr Ruhegeld im Versorgungsfall nach der RO B richtet. Diesen Antrag hat die Klägerin durch den vom Landesarbeitsgericht angeregten Hilfsantrag auf die Feststellung präzisiert, dass sie im Versorgungsfall zumindest die Rente erhält, die sich aus der RO B bei unveränderter Fortgeltung im Versorgungsfall errechnen würde. Damit soll ihr die Möglichkeit erhalten bleiben, das Ruhegeld nach der BV Neuordnung zu beziehen, falls dieses das Ruhegeld nach der RO B übersteigen sollte.

14Das Landesarbeitsgericht hat den Hilfsantrag daher zu Recht nicht als eigenständigen, den ursprünglich von der Klägerin gestellten Klageantrag einschränkenden Antrag verstanden, sondern als ein den Hauptantrag einschließendes, darüber hinausgehendes Begehren. Mit einer dem ursprünglichen Klageantrag stattgebenden Entscheidung würde feststehen, dass sich das Ruhegeld ausschließlich nach der RO B richtet, wohingegen mit einer dem Hilfsantrag stattgebenden Entscheidung zusätzlich noch die Möglichkeit erhalten bleibt, dass sich das Ruhegeld nach der BV Neuordnung richtet, soweit der Klägerin danach ein höheres Ruhegeld zusteht als nach der RO B. Damit hat das Landesarbeitsgericht eine Untergrenze für das Ruhegeld der Klägerin festgestellt, die im Versorgungsfall nicht unterschritten werden darf. Die Anträge stehen daher nicht in einem Eventualverhältnis zueinander, sondern bilden eine Einheit.

152. Mit diesem Inhalt ist die Klage auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 ZPO gerichtet. Zwar können nach § 256 Abs. 1 ZPO nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, nicht hingegen bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich allerdings nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken. Sie kann sich vielmehr, wie vorliegend, auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken ( - Rn. 12, EzA BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 6).

163. Der Feststellungsantrag weist auch das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse auf. Die Beklagte bestreitet, dass der Klägerin bei Eintritt des Versorgungsfalls mindestens eine Versorgungsleistung in Höhe der Versorgung nach der RO B zusteht. Dass der Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, ist unerheblich (vgl.  - Rn. 20, DB 2012, 1756; - 3 AZR 640/07 - Rn. 19, BAGE 130, 202; - 3 AZR 282/94 - zu A III 2 der Gründe, BAGE 79, 236). Der Vorrang der Leistungsklage greift vorliegend schon deshalb nicht ein, weil die streitige Forderung noch nicht fällig ist.

17II. Ob die Klage begründet ist, steht derzeit noch nicht fest. Das Landesarbeitsgericht hat zwar zu Recht erkannt, dass die BV Neuordnung möglicherweise in die erdiente Dynamik aus der RO B eingreift, dass dies jedoch erst bei Eintritt des Versorgungsfalls sicher festgestellt werden kann. Das Landesarbeitsgericht hat zudem zu Recht angenommen, dass für einen Eingriff in die erdiente Dynamik die dafür erforderlichen triftigen Gründe nicht vorliegen. Daraus folgt jedoch entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht, dass die Klägerin mindestens eine Versorgung in der Höhe beanspruchen kann, die sich ergäbe, wenn die RO B für sie bis zum Eintritt des Versorgungsfalls unverändert weitergelten würde. Dies wäre nur dann der Fall, wenn auch der mögliche Eingriff durch die BV Neuordnung in noch nicht erdiente Zuwächse nicht durch sachlich-proportionale Gründe gerechtfertigt wäre. Das hat das Landesarbeitsgericht bislang zu Unrecht nicht geprüft. Ebenso wenig hat es sich mit der Frage befasst, welche Bedeutung der während des Rechtsstreits seitens der Beklagten mehrfach wiederholten Zusicherung einer Nachberechnung bei Eintritt des Versorgungsfalls hinsichtlich des möglichen Eingriffs in die erdiente Dynamik beizumessen ist. Dies ist vom Landesarbeitsgericht nachzuholen.

181. Regeln mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen denselben Gegenstand, gilt das Ablösungsprinzip. Danach löst eine neue Betriebsvereinbarung eine ältere grundsätzlich auch dann ab, wenn die Neuregelung für den Arbeitnehmer ungünstiger ist (st. Rspr., vgl. ua.  - zu I 2 a der Gründe mwN, BAGE 103, 187). Das Ablösungsprinzip ermöglicht allerdings nicht jede Änderung. Soweit in bestehende Besitzstände eingegriffen wird, sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten ( - Rn. 18, EzA BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 6). Deshalb unterliegen Betriebsvereinbarungen, die Versorgungsansprüche aus einer früheren Betriebsvereinbarung einschränken, einer entsprechenden Rechtskontrolle (vgl.  - aaO; - 3 AZR 728/00 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 99, 75).

19Die bei Einschnitten in Versorgungsrechte zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit hat das Bundesarbeitsgericht durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert (st. Rspr. seit  - zu B II 3 c der Gründe, BAGE 49, 57). Den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer sind entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen ( - Rn. 30, AP BetrAVG § 9 Nr. 22 = EzA BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 47). Der unter der Geltung der bisherigen Ordnung und in dem Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag kann hiernach nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden. Das setzt zwingende Gründe voraus. Zuwächse, die sich - wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen - dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe (vgl. etwa  - Rn. 25, DB 2012, 1756).

20Ob eine spätere Betriebsvereinbarung in Besitzstände eingreift und deshalb eine Überprüfung anhand des dreistufigen Prüfungsschemas erforderlich ist, kann nur im jeweiligen Einzelfall und auf das Einzelfallergebnis bezogen festgestellt werden (vgl.  - Rn. 26, DB 2012, 1756; - 3 AZR 674/07 - Rn. 36, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 53). Dazu ist es erforderlich, dass die Versorgungsrechte bzw. Anwartschaften nach den beiden unterschiedlichen Versorgungsordnungen berechnet und gegenübergestellt werden. Deshalb kann etwa bei endgehaltsbezogenen Versorgungszusagen regelmäßig erst beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis festgestellt werden, ob mit der ablösenden Neuregelung in bestehende Besitzstände eingegriffen wird. In diesen Fällen kann regelmäßig erst zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis beurteilt werden, welche Versorgungsordnung sich als günstiger erweist (vgl. für einen Eingriff in die erdiente Dynamik  - BAGE 100, 105).

212. Die BV Neuordnung lässt den erdienten Teilbetrag aus der RO B unberührt. Ob sie in die erdiente Dynamik eingreift, kann derzeit ebenso wenig sicher beurteilt werden wie die Frage, ob ein Eingriff in künftige dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge vorliegt.

22a) Ein Eingriff in den unter Geltung der RO B im Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdienten und nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ermittelten Teilbetrag zum Ablösungsstichtag wird von der Klägerin nicht geltend gemacht. Ein solcher Eingriff liegt auch nicht vor.

23Bis zum hatte die Klägerin - ausgehend von den von ihr nicht in Zweifel gezogenen Daten aus der Rentenberechnung der Beklagten - nach der RO B einen erreichbaren Ruhegeldanspruch iHv. 599,98 Euro iSv. Nr. 4.2.1 BV Neuordnung erworben. Nach der zeitratierlichen Kürzung entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG ergibt sich daraus eine zum erdiente Anwartschaft iHv. 425,82 Euro. In diesen erdienten Teilbetrag iHv. 425,82 Euro greift die BV Neuordnung schon deshalb nicht ein, weil sich im Versorgungsfall nach Nr. 4.2.2 BV Neuordnung - ausgehend vom ruhegeldfähigen Einkommen der Klägerin am Ablösungsstichtag iHv. 2.988,04 Euro und dem von der Klägerin erreichten sog. festgeschriebenen Versorgungsprozentsatz von 20,08 vH - ein Ruhegeld iHv. 599,98 Euro ergibt und dieses den erdienten Teilbetrag iHv. 425,82 Euro übersteigt.

24b) Durch die BV Neuordnung wird möglicherweise in die erdiente Dynamik eingegriffen. Die BV Neuordnung greift zwar nicht in den Berechnungsfaktor „Endgehalt“ ein. Der Endgehaltsbezug bleibt vielmehr bei der ablösenden Betriebsvereinbarung vollständig erhalten. Allerdings verändert die BV Neuordnung die Dynamik der Versorgungszusage insoweit, als eine Abkopplung des Ruhegeldanspruchs von der weiteren Entwicklung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt und damit jedenfalls dieser variable Berechnungsfaktor nicht fortgeschrieben wird. Die ursprünglich gegebene Zusage eines Ruhegelds, das zusammen mit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Gesamtversorgung iHv. 75 vH des letzten ruhegeldfähigen Einkommens erreicht, besteht damit nicht mehr.

25aa) Die erdiente Dynamik baut auf dem nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 1, Abs. 5 BetrAVG errechneten, erdienten Teilbetrag auf. Zwar fallen künftige Rentensteigerungen, die sich erst aus der Dauer der Betriebszugehörigkeit ergeben (dienstzeitabhängige Steigerungsraten), nicht unter den Schutz des erdienten Besitzstandes, weil die Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Änderung der Versorgungszusage die für künftige Zuwächse erforderliche Betriebszugehörigkeit noch nicht erbracht, diesen Teilwert also noch nicht erdient haben. Demgegenüber wird die Dynamisierung des erdienten Teilbetrags grundsätzlich geschützt. Der Wertzuwachs der Anwartschaft folgt hier allein der künftigen Entwicklung variabler Berechnungsfaktoren, ohne dabei an die Dienstzeit des Arbeitnehmers anzuknüpfen. Der Zweck einer solchen dienstzeitunabhängigen Steigerung (Dynamik) besteht nicht darin, fortdauernde Betriebszugehörigkeit des Versorgungsanwärters proportional zu vergüten und zum Maßstab der Rentenberechnung zu machen. Vielmehr geht es darum, einen sich wandelnden Versorgungsbedarf flexibel zu erfassen und den durch die Höhe des Arbeitsentgelts geprägten Lebensstandard des begünstigten Arbeitnehmers bis zum Eintritt des Versorgungsfalls anzupassen. Eine solche Dynamik ist im Zeitpunkt der Veränderung einer Versorgungszusage bereits im Umfang der bis dahin geleisteten Betriebszugehörigkeit anteilig erdient, denn insoweit hat der Arbeitnehmer die von ihm geforderte Gegenleistung bereits teilweise erbracht (vgl. etwa  - Rn. 74 ff., BGHZ 174, 127).

26bb) Bei der Gesamtversorgung nach der RO B stellen zum einen das ruhegeldfähige Einkommen iSv. § 8 RO B und zum anderen die anzurechnenden Bezüge iSv. § 10 RO B variable, für die erdiente Dynamik bedeutsame Berechnungsfaktoren dar. Die Dynamik des bereits erdienten Teils der Anwartschaft wird durch die Neuregelung nur hinsichtlich des Endgehaltsbezugs erhalten, nicht jedoch hinsichtlich der im Rahmen des Gesamtversorgungssystems anrechenbaren Versorgungsleistungen. Vielmehr führt die Regelung in Nr. 4.2.1 BV Neuordnung dazu, dass die sog. Veränderungssperre („Festschreibeeffekt“) des § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG hinsichtlich der nach § 10 RO B anzurechnenden Leistungen und damit auch der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eingreift, nach welcher Veränderungen der maßgeblichen Parameter nach dem Ablösungsstichtag nicht mehr in die Berechnung einfließen.

27(1) In den Endgehaltsbezug der Dynamik wird durch die BV Neuordnung nicht eingegriffen.

28(a) Nr. 4.2.1 BV Neuordnung bestimmt, dass zunächst für jeden Mitarbeiter die auf der Grundlage der RO B im Alter von 65 Jahren erreichbare Gesamtversorgung nach dem individuellen ruhegeldfähigen Einkommen gemäß § 8 RO B am ermittelt wird.

29Das ruhegeldfähige Gehalt der Klägerin am Ablösungsstichtag belief sich auf 2.988,04 Euro. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin bereits einen Versorgungsprozentsatz iHv. 71,0 vH bzw. mit dem Teilzeitfaktor gewichtet iHv. 68,53 vH erreicht, der bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres dienstzeitabhängig auf 75 vH bzw. mit dem Teilzeitfaktor gewichtet auf 72,53 vH anwachsen konnte. Unter Zugrundelegung des ruhegeldfähigen Einkommens der Klägerin am Ablösungsstichtag ergibt sich eine erreichbare Gesamtversorgung iHv. 2.167,23 Euro.

30(b) Im nächsten Schritt ist nach Nr. 4.2.1 BV Neuordnung die anzurechnende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Basis einer individuellen Rentenauskunft zum Stand auf das Alter 65 hochzurechnen. Hierzu hat die Beklagte eine Rentenauskunft vom herangezogen. Daraus hat sie entsprechend § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG anhand der am erreichten Entgeltpunkte die ab dem Jahr 2005 jährlich zuzurechnenden Entgeltpunkte ermittelt und unter Zugrundelegung des aktuellen Rentenwerts am sowie der noch möglichen Beschäftigungsdauer bis zum 65. Lebensjahr die dann zu erwartende gesetzliche Rente hochgerechnet. Den sich daraus ergebenden Betrag iHv. 1.567,25 Euro hat sie auf die Gesamtversorgung iHv. 2.167,23 Euro angerechnet. Daraus ergibt sich ein Betrag iHv. 599,98 Euro.

31(c) In einem dritten Schritt wird das nach Nr. 4.2.1 Abs. 3 BV Neuordnung errechnete erreichbare Ruhegeld iHv. ca. 599,98 Euro zu dem individuellen ruhegeldfähigen Einkommen der Klägerin am Stichtag ins Verhältnis gesetzt, woraus sich der sog. „festgeschriebene Versorgungsprozentsatz“ von 20,08 vH ergibt (599,98 Euro / 2.988,04 Euro x 100).

32(d) Bei Eintritt des Versorgungsfalls wird nach Nr. 4.2.2 BV Neuordnung das zu diesem Zeitpunkt bezogene ruhegeldfähige Einkommen mit dem festgeschriebenen Versorgungsprozentsatz multipliziert. Dieser Wert stellt das Ruhegeld bei Inanspruchnahme im Alter von 65 Jahren sowie bei Erwerbsminderung dar. Damit bleibt der Endgehaltsbezug aus der RO B vollständig erhalten. Auch nach der BV Neuordnung richtet sich das Ruhegeld der Klägerin nach ihrem zuletzt bezogenen ruhegeldfähigen Einkommen iSv. § 8 RO B.

33(2) Jedoch kann die Abkopplung der Versorgung von der künftigen Entwicklung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu einem Eingriff in die erdiente Dynamik führen. Bei Gesamtversorgungssystemen wie demjenigen der RO B erhält der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer für die geleistete Betriebstreue nicht nur feste Steigerungsbeträge. Er darf vielmehr erwarten, dass seine Anwartschaften den geänderten Verhältnissen angepasst werden, und zwar dem Anwachsen einer Versorgungslücke als Folge der Entwicklung seiner Rentenbiografie und der Sozialgesetzgebung. Die entsprechende Wertsteigerung der Anwartschaften, die sich aus dem ansteigenden Versorgungsbedarf ergibt, gehört ebenfalls zum erdienten Besitzstand, soweit sie auf den bereits erdienten Anwartschaftsteil entfällt (so schon  - zu II 3 a der Gründe, BAGE 54, 261).

34(3) Ob durch die BV Neuordnung bei Eintritt des Versorgungsfalls tatsächlich in die erdiente Dynamik hinsichtlich des am erdienten Teilbetrags iHv. 425,82 Euro eingegriffen wird, kann erst durch eine Berechnung bei Eintritt des Versorgungsfalls unter Berücksichtigung des dann maßgeblichen ruhegeldfähigen Einkommens und der tatsächlich bezogenen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt werden.

35c) Die BV Neuordnung könnte - wovon sowohl die Parteien als auch das Landesarbeitsgericht ausgehen - in künftige dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge eingreifen. Ob ein solcher Eingriff tatsächlich vorliegt, kann ebenfalls erst durch eine Vergleichsberechnung bei Eintritt des Versorgungsfalls sicher festgestellt werden.

363. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass für einen möglicherweise vorliegenden Eingriff in die erdiente Dynamik keine triftigen Gründe bestanden haben.

37a) Ein triftiger Grund, der einen Eingriff in die erdiente Dynamik rechtfertigen kann, liegt vor, wenn ein unveränderter Fortbestand des Versorgungswerks langfristig zu einer Substanzgefährdung des Versorgungsschuldners führen würde. Dies ist dann der Fall, wenn die Kosten des bisherigen Versorgungswerks nicht mehr aus den Unternehmenserträgen und etwaigen Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens erwirtschaftet werden können, so dass eine die Entwicklung des Unternehmens beeinträchtigende Substanzauszehrung droht. Dabei können die zu § 16 BetrAVG vom Senat entwickelten Regeln, bei deren Erfüllung eine Anpassung der laufenden Betriebsrenten aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers verweigert werden kann, als Orientierungsmaßstab dienen ( - zu I 3 b aa der Gründe, BAGE 100, 105; - 3 AZR 76/92 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 71, 372; - 3 AZR 299/87 - zu B 2 der Gründe, BAGE 61, 273). Es geht bei der Prüfung, ob ein triftiger Grund für einen Eingriff vorlag, also um die Frage, ob dem Versorgungsschuldner im Interesse einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung seines Unternehmens eine Entlastung im Bereich der Versorgungsverbindlichkeiten verwehrt werden darf ( - aaO; - 3 AZR 299/87 - aaO).

38b) Gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass solche triftigen Gründe der Beklagten nicht zur Seite standen, wendet sich die Revision nicht. Die Beklagte macht nicht geltend, dass das Landesarbeitsgericht die von ihr angeführten Gründe für die BV Neuordnung unzutreffend nicht als triftige Gründe gewertet hat.

394. Ob die Beklagte sachlich-proportionale Gründe für einen möglichen Eingriff in noch nicht erdiente Zuwächse hatte, hat das Landesarbeitsgericht nicht geprüft. Die Prüfung erübrigt sich nicht deswegen, weil bereits keine triftigen Gründe für einen Eingriff in die erdiente Dynamik vorlagen. Die Klägerin begehrt eine Versorgung, die den Betrag nicht unterschreitet, der sich in Anwendung der RO B bei Eintritt des Versorgungsfalls unter Berücksichtigung des dann erzielten ruhegeldfähigen Einkommens und der tatsächlich bezogenen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ergibt. Der hierauf gerichteten Klage hat das Landesarbeitsgericht stattgegeben. Dabei hat das Landesarbeitsgericht übersehen, dass die Klägerin auf eine solche Versorgung nur dann einen Anspruch hat, wenn auch ein möglicher Eingriff durch die BV Neuordnung in die nach der RO B am noch nicht erdienten Zuwächse den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit nicht genügt, wenn also für diesen möglichen Eingriff sachlich-proportionale Gründe nicht vorlagen. Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann dies vom Senat nicht abschließend beurteilt werden.

40a) Unter sachlich-proportionalen Gründen sind willkürfreie, nachvollziehbare und anerkennenswerte Gründe zu verstehen, die auf einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung des Unternehmens oder einer Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung beruhen können (vgl.  - zu III 2 c bb der Gründe, BAGE 91, 310). Dabei müssen wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht das für einen triftigen Grund erforderliche Ausmaß erreicht haben. Eine langfristige Substanzgefährdung oder eine dauerhaft unzureichende Eigenkapitalverzinsung ist nicht erforderlich. Zur Rechtfertigung des Eingriffs bedarf es auch weder der sachverständigen Feststellung einer insolvenznahen wirtschaftlichen Notlage noch eines ausgewogenen, die Sanierungslasten angemessen verteilenden Sanierungsplans (vgl.  - Rn. 61, BAGE 133, 181). Ebenso wenig ist es notwendig, dass Maßnahmen zur Kosteneinsparung ausgeschöpft sind, bevor Eingriffe in künftige Zuwächse vorgenommen werden (vgl.  - zu B II 2 b dd der Gründe, AP BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 9 = EzA BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 43). Es geht nur darum, die Willkürfreiheit des Eingriffs in noch nicht erdiente Zuwächse zu belegen ( - Rn. 73, AP BetrAVG § 1 Auslegung Nr. 13 = EzA BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 9).

41Allerdings reicht regelmäßig allein der allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht aus, um einen sachlichen Grund für einen Eingriff in nicht erdiente Zuwächse zu belegen. Vielmehr sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Einzelnen darzutun. Anderweitige Sanierungsmöglichkeiten müssen zumindest erwogen worden sein und ihre Unterlassung muss plausibel erläutert werden. Maßnahmen, die auf den ersten Blick dem Sanierungszweck offen zuwiderlaufen, müssen erklärt werden und einleuchtend sein. Hat ein unabhängiger Sachverständiger Feststellungen getroffen, die einen dringenden Sanierungsbedarf begründen, ist davon auszugehen, dass sachlich-proportionale Gründe vorliegen, die die Annahme willkürlichen Arbeitgeberverhaltens ausschließen. Allenfalls offensichtliche und ergebnisrelevante Fehler oder die Erstellung der Bilanz entgegen den anerkannten Regeln können dann der Annahme entgegenstehen, ein Eingriff zu Sanierungszwecken sei nicht willkürlich erfolgt (vgl.  - Rn. 62, BAGE 133, 181).

42Darüber hinaus hat der Arbeitgeber darzulegen, inwieweit die Eingriffe in die betriebliche Altersversorgung in der eingetretenen wirtschaftlichen Situation verhältnismäßig waren. Es sind sämtliche Maßnahmen darzutun, die unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Kosteneinsparung zu dienen bestimmt waren. Der Eingriff in das betriebliche Versorgungswerk muss sich in ein nachvollziehbar auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ausgerichtetes Gesamtkonzept einpassen (vgl.  - zu B II 4 c der Gründe, BAGE 92, 203).

43b) Die Beklagte hat in den Tatsacheninstanzen - von der Klägerin bestritten - vorgetragen, die wirtschaftliche Lage des gesamten E-Konzerns, dem die Beklagte angehört, sei im Jahr 2003 bedrohlich gewesen. Die Eigenkapitalquote sei Anfang des Jahres 2003 auf 6,1 % abgesunken gewesen und die E AG habe im ersten Halbjahr einen Nettoverlust iHv. 950 Millionen Euro erwirtschaftet. Mit dem umfassenden Ergebnisverbesserungs- und Sparprogramm „TOP FIT“ sei die nachhaltige Einsparung von jährlich einer Milliarde Euro im Konzern angestrebt worden, um das wirtschaftliche Überleben zu sichern und für die Zukunft wieder handlungsfähig zu werden. In diesem Rahmen seien zehn Millionen Euro aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung zur Einsparung beigesteuert worden. Im Bereich Personal seien konzernweit durch Lohnverzichte, Arbeitszeitverkürzungen und sonstige Maßnahmen insgesamt Einsparungen im Umfang von 350 Millionen Euro erfolgt. Zwischen der E AG (Konzernobergesellschaft) und der Beklagten bestehe ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vom , dem die Gesellschafterversammlung der Beklagten am zugestimmt habe.

44Zu ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage hat die Beklagte lediglich unter Hinweis auf ihre Abhängigkeit von der Konzernobergesellschaft vorgetragen. Aufgrund des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags mit der Konzernobergesellschaft und der engen Einbindung der Beklagten als Vertriebsgesellschaft für die Konzernobergesellschaft und andere Gesellschaften in den Konzern könnte eine mögliche schlechte wirtschaftliche Lage der Konzernobergesellschaft im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens sachlich-proportionaler Gründe berücksichtigt werden (vgl.  - zu B 3 b der Gründe, BAGE 61, 273; - 3 AZR 468/04 - zu B II 2 c der Gründe, AP BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 9 = EzA BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 43). Hierzu wird das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Berücksichtigung weiteren Sachvortrags der Parteien - die erforderlichen Tatsachen festzustellen und zu würdigen haben.

5. Das Landesarbeitsgericht wird sich auch mit der Frage zu befassen haben, welche Auswirkungen die von der Beklagten sowohl im Berufungsverfahren als auch in der Revision gegebene ausdrückliche Zusicherung hat, im Versorgungsfall werde mindestens der dynamische Besitzstand auf Basis der tatsächlichen Entwicklung des individuellen ruhegeldfähigen Einkommens und der tatsächlich erzielten gesetzlichen Rente, berechnet nach § 2 Abs. 1 BetrAVG ohne Festschreibeeffekt nach § 2 Abs. 5 BetrAVG bezogen auf den Neuordnungszeitpunkt, aufrechterhalten. Damit könnte die Klägerin hinsichtlich des denkbaren Eingriffs in die erdiente Dynamik klaglos gestellt sein.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
CAAAE-35540