BAG Urteil v. - 9 AZR 292/11

(Urlaubsrecht - Verfall tariflichen Mehrurlaubs nach § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD)

Gesetze: § 26 TVöD vom , § 7 Abs 4 BUrlG, § 13 Abs 1 BUrlG

Instanzenzug: ArbG Rheine Az: 3 Ca 1029/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 16 Sa 727/10 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt von der Beklagten, gesetzlichen Mindesturlaub, Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (Zusatzurlaub) und tariflichen Mehrurlaub aus den Jahren 2007 und 2008 abzugelten.

2Die Beklagte beschäftigte den 1945 geborenen, als schwerbehindert anerkannten Kläger bis zum im Bereich der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West. Die monatliche Bruttovergütung des Klägers, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbrachte, betrug zuletzt 2.304,29 Euro.

Die Parteien wendeten auf ihr Arbeitsverhältnis den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom (TVöD) an. Dieser lautet auszugsweise:

4Die Beklagte gestattete den im Bereich der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West beschäftigten Mitarbeitern, Urlaubsansprüche bis zum 30. September des Folgejahres zu übertragen. Der Kläger übertrug drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2007 in das Jahr 2008. Im Zeitraum vom 30. Mai bis zum war der Kläger, der im Jahr 2008 keinen Urlaub erhielt, arbeitsunfähig krank.

5Mit Schreiben vom , das bei der Beklagten am Folgetag einging, verlangte der Kläger, drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2007 sowie 20 Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub, fünf Arbeitstage Zusatzurlaub und drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 abzugelten.

6Nachdem die Beklagte zur Abgeltung der Klageforderung an den Kläger einen Bruttobetrag iHv. 1.920,25 Euro gezahlt hat, haben die Parteien den Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht in diesem Umfang übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

8Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Kläger habe lediglich Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindest- und des Zusatzurlaubs, nicht jedoch des tariflichen Mehrurlaubs.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.

Gründe

10Soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, 20 Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub und fünf Arbeitstage Zusatzurlaub unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlung iHv. 1.920,25 Euro brutto mit einem Restbetrag iHv. 738,50 Euro brutto abzugelten und hierauf Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen, war die Revision als unzulässig zu verwerfen, da die Beklagte sie nicht begründet hat (§ 552 Abs. 1, § 551 ZPO). Soweit sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Abgeltung von sechs Tagen tariflichen Mehrurlaub mit einem Bruttobetrag iHv. 638,10 Euro und zur Zahlung von Verzugszinsen hierauf wendet, ist die Revision teilweise begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 mit einem Bruttobetrag iHv. 319,05 Euro abzugelten. Einen Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen hat der Kläger erst ab dem .

11I. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber Urlaub abzugelten, wenn dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am . Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger Anspruch auf drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub für das Jahr 2008.

12Am erwarb der Kläger, der das 40. Lebensjahr vollendet hat, einen Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub (§ 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD aF). Infolge seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis am reduzierte sich dieser Anspruch im Nachhinein auf 22,5 Arbeitstage (§ 26 Abs. 2 Buchst. b Halbs. 1 TVöD). Aus der Regelung des § 26 Abs. 2 Buchst. b Halbs. 2 TVöD, der zufolge § 5 BUrlG unberührt bleibt, folgt nichts anderes. Die Tarifbestimmung stellt lediglich sicher, dass ein Arbeitnehmer, der in der zweiten Hälfte des Urlaubsjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, Urlaub in einem Umfang erhält, der dem gesetzlichen Mindesturlaub entspricht (vgl. Sponer in Sponer/Steinherr TVöD Stand Februar 2013 Ordner 3 § 26 Rn. 185, 192, 209). Dies ist bei dem Kläger der Fall. Der gekürzte Urlaubsanspruch des Klägers ist gemäß § 26 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 TVöD auf 23 Arbeitstage aufzurunden. Unter Berücksichtigung des ungekürzten gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs von 20 Arbeitstagen bei einer Fünftagewoche (vgl. § 3 Abs. 1 BUrlG) entspricht dies einem Anspruch auf drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub, den die Beklagte mit einem zwischen den Parteien unstreitigen Tagessatz iHv. 106,35 Euro brutto abzugelten hat.

13II. Hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubs aus dem Jahr 2007 ist die Revision der Beklagten unbegründet.

141. Der tarifliche Mehrurlaubsanspruch aus dem Jahr 2007 ist unabhängig davon nicht abzugelten, dass die Beklagte den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern gestattete, Urlaubsansprüche entgegen der Regelung in § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD nicht nur bis zum 31. März respektive bis zum 31. Mai, sondern bis zum 30. September des Folgejahres zu übertragen. Der noch nicht erfüllte tarifliche Mehrurlaubsanspruch aus dem Jahr 2007 verfiel mit Ablauf des Übertragungszeitraums am . Ein Abgeltungsanspruch entsteht nicht, wenn der Arbeitnehmer mit dem Ende des Übertragungszeitraums ausscheidet und der nicht genommene Urlaub wegen Fristablaufs erlischt (ErfK/ Gallner 13. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 71; so im Ergebnis auch  - Rn. 42, NZA 2012, 1216; vgl. ferner  - zu I 3 der Gründe, BAGE 75, 171).

152. Die vom 30. Mai bis zum währende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers ändert hieran nichts. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom (- 9 AZR 575/10 - Rn. 11 ff., NZA-RR 2013, 48) im Einzelnen ausgeführt hat, haben die Tarifvertragsparteien in § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD hinsichtlich der Befristung und damit mittelbar bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende, eigenständige Regelungen getroffen. Gestattet der Arbeitgeber den Arbeitnehmern, den Urlaub aus dem Vorjahr über den tariflich bestimmten Zeitraum hinaus zu übertragen, geht der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub grundsätzlich am Ende des verlängerten Übertragungszeitraums unter. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank ist (vgl. zur betrieblichen Übung:  - Rn. 19 f., NZA 2013, 104). Dem Erlöschen steht weder § 13 Abs. 1 BUrlG noch Unionsrecht entgegen. Da nicht der durch die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom S. 9) gewährleistete Mindestjahresurlaub von vier Wochen betroffen ist, besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.

163. Die Beklagte ist zwar verpflichtet, auf einen Bruttobetrag iHv. 319,05 Euro Verzugszinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu entrichten (§ 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB). Der Zinslauf begann allerdings nicht, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, am , sondern erst am . Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des ihm zustehenden Urlaubs entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird zu diesem Zeitpunkt fällig. § 7 Abs. 4 BUrlG enthält jedoch keine Bestimmung einer Leistungszeit iSd. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl.  - Rn. 45, NZA 2012, 1216). Der Verzug trat daher erst infolge der Geltendmachung durch den Kläger ein. Das Geltendmachungsschreiben vom ging der Beklagen am Tag danach zu. Der Verzug trat gemäß § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag ein.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, §§ 91a97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1076 Nr. 18
BB 2014 S. 2038 Nr. 34
MAAAE-34530